Immer mehr Vogelarten sterben aus
Arten aus Feld und Flur sind besonders gefährdet – Experten warnen vor Konsequenzen
BODENSEEKREIS - Immer mehr Vogelarten sind vom Aussterben bedroht. Laut der Roten Liste der Brutvögel, die von einem vom Deutschen Rat für Vogelschutz e. V. (DRV) eingesetzten Experten-Gremium erstellt wird, gelten drei Viertel der auf Feld und Flur lebenden Arten als gefährdet. In der Region sind unter anderem die Feldlerche, das Braunkehlchen und der Brachvogel bedroht. Schuld an dem Rückgang der Arten sind nach Meinung von Experten hauptsächlich die Intensivierung der Landwirtschaft, der Bau von Straßen und Wohnsiedlungen.
„Dramatisch“nennt den Rückgang der Arten Peter Berthold. Der Ornithologe und ehemalige Leiter der Vogelwarte Radolfzell forscht seit Jahrzehnten zum Thema Vögel. Seit 1800 sei die Zahl der Individuen um 80 Prozent eingebrochen, sagt er. Am Bodensee sei die Lage „genauso schlimm wie überall in Deutschland.“Von Arten wie dem Wiederhopf gab es hier einst etwa 1000 Brutpaare. „In den vergangenen 20 Jahren hat die Art lediglich zweimal gebrütet“, sagt Berthold.
Auch Gerhard Knötzsch, langjähriges Mitglied beim Naturschutzbund (Nabu) Friedrichshafen-Tettnang, hat beobachtet, dass Vogelarten am Bodensee verschwinden. Innerhalb von 60 Jahren sei die Zahl der brütenden Arten von 130 auf 96 gesunken.
Lebensraum geht verloren
Die Ursachen für das Artensterben sind Knötzsch zufolge komplex, viele Einflüsse greifen ineinander. So gehe beispielsweise durch die Zunahme landwirtschaftlicher Flächen, Straßen und Wohngebiete Lebensraum für Vögel verloren. Hochspezialisierte Arten, die auf eine bestimmte Umgebung angewiesen sind, leiden besonders darunter. Zugleich schadeten die auf Feldern eingesetzten Pestizide auch Insekten, Pflanzen und Samen, von denen sich die Tiere ernähren.
Laut Berthold mache auch die Lichtverschmutzung den Vögeln zu schaffen. Damit meint er das völlige Fehlen natürlicher Dunkelheit, wie es beispielsweise in Städten auftritt, wo die Straßen nachts durch Lampen hell erleuchtet sind. Häufig fliegen Insekten gegen die Laternen, sterben und können so den Vögeln nicht mehr als Nahrung dienen. Eine Besserung der Lage ist laut den Experten nicht in Sicht. Eher werde das Artensterben weiter an Tempo aufnehmen. „Die Weltbevölkerung wächst. Dadurch gibt es einen steigenden Nahrungsmittelbedarf, der zu einer weiteren Intensivierung der Landwirtschaft führen wird“, sagt Berthold. Ihm zufolge könne sich auch der Klimawandel teilweise schädlich auf die Vogelwelt auswirken. „Das Auerhuhn reagiert zum Beispiel empfindlich auf Hitze.“Daneben könne die globale Erwärmung Nadelbäume wie die Fichte zurückdrängen. Darunter leiden würden Meisen, die auf die Bäume angewiesen sind.
Wenn die Vögel verschwinden, könnte das Berthold zufolge verheerende Folgen für die Menschen haben. „Schon drei Kohlmeisen-Paare können etwa 50 Prozent der Schädlinge auf einer Obstanlage vernichten.“Ohne sie müsse vermehrt Gift eingesetzt werden, gegen das die Insekten Resistenzen entwickeln. „Das könnte dazu führen, dass es in zehn bis zwanzig Jahren keinen Obstbau mehr gibt, weil die Insekten die Ernte vernichten“, sagt der Ornithologe.
Biotope könnten helfen
Für ihn ist es daher höchste Zeit, das Vogelsterben zu beenden. Dabei helfen könnten von Menschen angelegte Biotope. Die Tiere bekommen so einen Rückzugsort. Auch „Guerilla Guardening“– das Gärtnern in Städten – ein reduzierter Fleischkonsum und der Verzicht auf das Auto würden den Vögeln und Insekten gut tun, sagt Berthold. Am effektivsten würde ihm zufolge jedoch eine „mittlere Katastrophe“wirken: „Wenn hierzulande beispielsweise eine Vogelseuche ausbricht, würde das die Leute vielleicht wachrütteln – sodass sie endlich darüber nachdenken, was das Verschwinden der Vögel bedeutet.“