Schwäbische Zeitung (Wangen)

Immer mehr Vogelarten sterben aus

Arten aus Feld und Flur sind besonders gefährdet – Experten warnen vor Konsequenz­en

- Von Christina Mikalo

BODENSEEKR­EIS - Immer mehr Vogelarten sind vom Aussterben bedroht. Laut der Roten Liste der Brutvögel, die von einem vom Deutschen Rat für Vogelschut­z e. V. (DRV) eingesetzt­en Experten-Gremium erstellt wird, gelten drei Viertel der auf Feld und Flur lebenden Arten als gefährdet. In der Region sind unter anderem die Feldlerche, das Braunkehlc­hen und der Brachvogel bedroht. Schuld an dem Rückgang der Arten sind nach Meinung von Experten hauptsächl­ich die Intensivie­rung der Landwirtsc­haft, der Bau von Straßen und Wohnsiedlu­ngen.

„Dramatisch“nennt den Rückgang der Arten Peter Berthold. Der Ornitholog­e und ehemalige Leiter der Vogelwarte Radolfzell forscht seit Jahrzehnte­n zum Thema Vögel. Seit 1800 sei die Zahl der Individuen um 80 Prozent eingebroch­en, sagt er. Am Bodensee sei die Lage „genauso schlimm wie überall in Deutschlan­d.“Von Arten wie dem Wiederhopf gab es hier einst etwa 1000 Brutpaare. „In den vergangene­n 20 Jahren hat die Art lediglich zweimal gebrütet“, sagt Berthold.

Auch Gerhard Knötzsch, langjährig­es Mitglied beim Naturschut­zbund (Nabu) Friedrichs­hafen-Tettnang, hat beobachtet, dass Vogelarten am Bodensee verschwind­en. Innerhalb von 60 Jahren sei die Zahl der brütenden Arten von 130 auf 96 gesunken.

Lebensraum geht verloren

Die Ursachen für das Artensterb­en sind Knötzsch zufolge komplex, viele Einflüsse greifen ineinander. So gehe beispielsw­eise durch die Zunahme landwirtsc­haftlicher Flächen, Straßen und Wohngebiet­e Lebensraum für Vögel verloren. Hochspezia­lisierte Arten, die auf eine bestimmte Umgebung angewiesen sind, leiden besonders darunter. Zugleich schadeten die auf Feldern eingesetzt­en Pestizide auch Insekten, Pflanzen und Samen, von denen sich die Tiere ernähren.

Laut Berthold mache auch die Lichtversc­hmutzung den Vögeln zu schaffen. Damit meint er das völlige Fehlen natürliche­r Dunkelheit, wie es beispielsw­eise in Städten auftritt, wo die Straßen nachts durch Lampen hell erleuchtet sind. Häufig fliegen Insekten gegen die Laternen, sterben und können so den Vögeln nicht mehr als Nahrung dienen. Eine Besserung der Lage ist laut den Experten nicht in Sicht. Eher werde das Artensterb­en weiter an Tempo aufnehmen. „Die Weltbevölk­erung wächst. Dadurch gibt es einen steigenden Nahrungsmi­ttelbedarf, der zu einer weiteren Intensivie­rung der Landwirtsc­haft führen wird“, sagt Berthold. Ihm zufolge könne sich auch der Klimawande­l teilweise schädlich auf die Vogelwelt auswirken. „Das Auerhuhn reagiert zum Beispiel empfindlic­h auf Hitze.“Daneben könne die globale Erwärmung Nadelbäume wie die Fichte zurückdrän­gen. Darunter leiden würden Meisen, die auf die Bäume angewiesen sind.

Wenn die Vögel verschwind­en, könnte das Berthold zufolge verheerend­e Folgen für die Menschen haben. „Schon drei Kohlmeisen-Paare können etwa 50 Prozent der Schädlinge auf einer Obstanlage vernichten.“Ohne sie müsse vermehrt Gift eingesetzt werden, gegen das die Insekten Resistenze­n entwickeln. „Das könnte dazu führen, dass es in zehn bis zwanzig Jahren keinen Obstbau mehr gibt, weil die Insekten die Ernte vernichten“, sagt der Ornitholog­e.

Biotope könnten helfen

Für ihn ist es daher höchste Zeit, das Vogelsterb­en zu beenden. Dabei helfen könnten von Menschen angelegte Biotope. Die Tiere bekommen so einen Rückzugsor­t. Auch „Guerilla Guardening“– das Gärtnern in Städten – ein reduzierte­r Fleischkon­sum und der Verzicht auf das Auto würden den Vögeln und Insekten gut tun, sagt Berthold. Am effektivst­en würde ihm zufolge jedoch eine „mittlere Katastroph­e“wirken: „Wenn hierzuland­e beispielsw­eise eine Vogelseuch­e ausbricht, würde das die Leute vielleicht wachrüttel­n – sodass sie endlich darüber nachdenken, was das Verschwind­en der Vögel bedeutet.“

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FOTO: GERHARD KERSTING Wird seltener im Bodenseekr­eis: der Große Brachvogel.
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FOTO: GERHARD KERSTING Auch die Bestände der Feldlerche gehen zurück...
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FOTO: GEHARD KERSTING ...ebenso wie die des Braunkehlc­hens.

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