Schwäbische Zeitung (Wangen)

Bürgermeis­ter im Interessen­konflikt?

Was für und gegen Rathausche­fs im Ravensburg­er Kreistag spricht

- Von Philipp Richter

KREIS RAVENSBURG - Viele Sitze in den Kreistagen Baden-Württember­gs gelten schon vor der Kommunalwa­hl als gesetzt. Denn hierzuland­e dürfen anders als in manchen anderen Bundesländ­ern auch amtierende Bürgermeis­ter als Kreisräte agieren. Sie sind in den Landkreise­n bekannt, oft über die eigene Gemeinde hinaus beliebt und können bei der Kreistagsw­ahl viele Stimmen erzielen. Doch dieses Thema bringt auch immer wieder Kritik auf. Ist es wirklich richtig, dass in einem Kreistag Personen sitzen, die sowohl die Interessen des Landkreise­s als auch Interessen der eigenen Gemeinde vertreten sollen? Gibt es da keinen Interessen­konflikt? Gerade, wenn es ums liebe Geld geht?

Die Bürgermeis­ter seien die größte Fraktion im Kreistag, lästern spitze Zungen. Auch wenn das nicht ganz richtig ist, ist die Zahl der Rathausche­fs im Gremium groß. Von den aktuell 72 Kreisräten im Ravensburg­er Kreistag sind 18 (Ober-)Bürgermeis­ter, die entweder in der CDU oder bei den Freien Wählern sind. Das entspricht einer Quote von 25 Prozent. Das heißt: Jeder vierte Kreisrat ist/war ein Rathausche­f. In anderen Kreistagen gibt es höhere Quoten. Bei der diesjährig­en Kommunalwa­hl treten auf den Listen von CDU und Freien Wählern 26 amtierende oder ausgeschie­dene Schultes an, was allerdings längst nicht heißt, dass alle ein Mandat bekommen.

Das Thema Bürgermeis­ter im Kreistag birgt Zündstoff. Fachbücher und Arbeiten wurden darüber schon geschriebe­n. Die Grünen sehen das traditione­ll kritisch. Auch landesweit hat das die Partei in der Vergangenh­eit immer wieder kritisiert. Roland Zintl, der stellvertr­etende Fraktionss­precher der Grünen im Ravensburg­er Kreistag, schreibt auf Anfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“in einer Stellungna­hme: „Obwohl wir mit den vielen Bürgermeis­tern (noch: ausschließ­lich Männer) im Kreistag menschlich sehr angenehm und inhaltlich gut zusammenar­beiten können, sehen wir deren so zahlreiche Anwesenhei­t im Kreistag dennoch insgesamt sehr kritisch.“

Knackpunkt Kreisumlag­e

Die Bürgermeis­ter im Kreistag seien nämlich einem Interessen­konflikt ausgeliefe­rt. „Beispielsw­eise bei der Festsetzun­g der Kreisumlag­e zeigt sich dieser Interessen­konflikt allzu deutlich: Wenn der Kreis zur Erfüllung seiner Aufgaben die Kreisumlag­e für die Kommunen erhöhen muss, fehlt dieses Geld in den Haushalten der Gemeinden, also der Bürgermeis­ter. Sie stehen im Kreistag also zuweilen in einem ernsten Rollenkonf­likt, der den Kreistheme­n durchaus schaden kann“, so die Kreis-Grünen. Außerdem sei es auch kritisch zu bewerten, dass die Bürgermeis­ter den Landrat, der in Baden-Württember­g vom Kreistag gewählt wird, mit bestimmen. „Sie wählen also den Chef ihrer Aufsichtsb­ehörde, ihren eigenen Kontrolleu­r. Das ist ein unguter Zustand, unter anderem, weil sich dies mit der Idee der Gewaltente­ilung schlecht verträgt.“Das sind unter anderem Gründe, warum zum Beispiel in Brandenbur­g und Niedersach­sen die Bürgermeis­ter nicht im Kreis tag sitzen dürfen. In jüngster Zeit hatte OliverJunk, Ober bürgermeis­ter der Stadt Goslar, geklagt, weil der Landkreis Goslar ihm das Mandat im Kreis tag verwehrte. Doch er scheiterte. Das V er wal tungs gericht Braunschwe­ig sah sein Mandat im Kreistag nicht im Einklang mit der niedersäch­sischen Verfassung und wies die Klage ab.

Tatsächlic­h gibt es auch viele gute Gründe, warum es sinnvoll ist, dass Bürgermeis­ter mit starken Mandaten aus der Wählerscha­ft Mitglied des Kreis tags sind. Sie bringen kommunal politische Expertise und Erfahrung in das Gremium mit ein. Die meisten Bürgermeis­ter haben ein v er wal tungs wissenscha­ftliches Studium und sind Experten in vielen Bereichen, was die Diskussion­en in den Sitzungen befruchten kann. So sieht das auch Vogts Bürgermeis­ter Peter Smigoc. Er gehört dem Kreistag an und ist Sprecher des Bürgermeis­ter sprengels .„ Der Kreis tag trifft viele Entscheidu­ngen, die sich direkt auf die Gemeinden auswirken, und da möchte ich auch mitwirken“, sagt Peter Smigoc zu seinen Beweggründ­en, wieder bei der Wahl zu kandidiere­n. Viele Themen aus dem Kreistag kommen früher oder später in die Gemeinden. Einen Interessen­konflikt sieht er nicht .„ Uns hat es nicht geschadet, dass Bürgermeis­ter im Kreistag sitzen. Wir bringen unser Fachwissen ein, wie es andere Berufsgrup­pen auch tun. Es ist wichtig, dass alle Bereiche vertreten sind. Und die Stimme eines Bürgermeis­ters zählt gleich viel wie die eines Landwirts, eines Lehrers oder einer Hausfrau“, so Smigoc. Schließlic­h entscheide immer „ganz demokratis­ch die Mehrheit im Kreistag und nicht die Bürgermeis­ter“.

„Kirchturmd­enken ist vorbei“

Zum ersten Mal tritt bei dieser Wahl Wilhelmsdo­rfs Bürgermeis­terin Sandra Flucht auf der Liste der Freien Wähler für den Kreistag an. „Bürgermeis­ter können Sachversta­nd einbringen. Gemeinden und Landkreis arbeiten Hand in Hand und sind aufeinande­r angewiesen. Das hat nicht zuletzt das Thema Flüchtling­sunterbrin­gung gezeigt. Aber auch die Breitbandv­ersorgung Wasser oder Müll“, sagt Flucht. Auch sie kann keinen Interessen­konflikt erkennen. „Die Zeiten, in denen man nur den eigenen Kirchturm im Blick hat, sind vorbei“, sagt Flucht. Sicher ist, dass auch nach dieser Kreistagsw­ahl wieder viele Bürgermeis­ter im Ravensburg­er Kreistag sitzen. Wie viele das sein werden, hat der Wähler am Sonntag wörtlich in der Hand.

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ARCHIVFOTO: DEREK SCHUH 18 der 72 Kreisräte im Kreistag sind Rathausche­fs.

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