Bürgermeister im Interessenkonflikt?
Was für und gegen Rathauschefs im Ravensburger Kreistag spricht
KREIS RAVENSBURG - Viele Sitze in den Kreistagen Baden-Württembergs gelten schon vor der Kommunalwahl als gesetzt. Denn hierzulande dürfen anders als in manchen anderen Bundesländern auch amtierende Bürgermeister als Kreisräte agieren. Sie sind in den Landkreisen bekannt, oft über die eigene Gemeinde hinaus beliebt und können bei der Kreistagswahl viele Stimmen erzielen. Doch dieses Thema bringt auch immer wieder Kritik auf. Ist es wirklich richtig, dass in einem Kreistag Personen sitzen, die sowohl die Interessen des Landkreises als auch Interessen der eigenen Gemeinde vertreten sollen? Gibt es da keinen Interessenkonflikt? Gerade, wenn es ums liebe Geld geht?
Die Bürgermeister seien die größte Fraktion im Kreistag, lästern spitze Zungen. Auch wenn das nicht ganz richtig ist, ist die Zahl der Rathauschefs im Gremium groß. Von den aktuell 72 Kreisräten im Ravensburger Kreistag sind 18 (Ober-)Bürgermeister, die entweder in der CDU oder bei den Freien Wählern sind. Das entspricht einer Quote von 25 Prozent. Das heißt: Jeder vierte Kreisrat ist/war ein Rathauschef. In anderen Kreistagen gibt es höhere Quoten. Bei der diesjährigen Kommunalwahl treten auf den Listen von CDU und Freien Wählern 26 amtierende oder ausgeschiedene Schultes an, was allerdings längst nicht heißt, dass alle ein Mandat bekommen.
Das Thema Bürgermeister im Kreistag birgt Zündstoff. Fachbücher und Arbeiten wurden darüber schon geschrieben. Die Grünen sehen das traditionell kritisch. Auch landesweit hat das die Partei in der Vergangenheit immer wieder kritisiert. Roland Zintl, der stellvertretende Fraktionssprecher der Grünen im Ravensburger Kreistag, schreibt auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“in einer Stellungnahme: „Obwohl wir mit den vielen Bürgermeistern (noch: ausschließlich Männer) im Kreistag menschlich sehr angenehm und inhaltlich gut zusammenarbeiten können, sehen wir deren so zahlreiche Anwesenheit im Kreistag dennoch insgesamt sehr kritisch.“
Knackpunkt Kreisumlage
Die Bürgermeister im Kreistag seien nämlich einem Interessenkonflikt ausgeliefert. „Beispielsweise bei der Festsetzung der Kreisumlage zeigt sich dieser Interessenkonflikt allzu deutlich: Wenn der Kreis zur Erfüllung seiner Aufgaben die Kreisumlage für die Kommunen erhöhen muss, fehlt dieses Geld in den Haushalten der Gemeinden, also der Bürgermeister. Sie stehen im Kreistag also zuweilen in einem ernsten Rollenkonflikt, der den Kreisthemen durchaus schaden kann“, so die Kreis-Grünen. Außerdem sei es auch kritisch zu bewerten, dass die Bürgermeister den Landrat, der in Baden-Württemberg vom Kreistag gewählt wird, mit bestimmen. „Sie wählen also den Chef ihrer Aufsichtsbehörde, ihren eigenen Kontrolleur. Das ist ein unguter Zustand, unter anderem, weil sich dies mit der Idee der Gewaltenteilung schlecht verträgt.“Das sind unter anderem Gründe, warum zum Beispiel in Brandenburg und Niedersachsen die Bürgermeister nicht im Kreis tag sitzen dürfen. In jüngster Zeit hatte OliverJunk, Ober bürgermeister der Stadt Goslar, geklagt, weil der Landkreis Goslar ihm das Mandat im Kreis tag verwehrte. Doch er scheiterte. Das V er wal tungs gericht Braunschweig sah sein Mandat im Kreistag nicht im Einklang mit der niedersächsischen Verfassung und wies die Klage ab.
Tatsächlich gibt es auch viele gute Gründe, warum es sinnvoll ist, dass Bürgermeister mit starken Mandaten aus der Wählerschaft Mitglied des Kreis tags sind. Sie bringen kommunal politische Expertise und Erfahrung in das Gremium mit ein. Die meisten Bürgermeister haben ein v er wal tungs wissenschaftliches Studium und sind Experten in vielen Bereichen, was die Diskussionen in den Sitzungen befruchten kann. So sieht das auch Vogts Bürgermeister Peter Smigoc. Er gehört dem Kreistag an und ist Sprecher des Bürgermeister sprengels .„ Der Kreis tag trifft viele Entscheidungen, die sich direkt auf die Gemeinden auswirken, und da möchte ich auch mitwirken“, sagt Peter Smigoc zu seinen Beweggründen, wieder bei der Wahl zu kandidieren. Viele Themen aus dem Kreistag kommen früher oder später in die Gemeinden. Einen Interessenkonflikt sieht er nicht .„ Uns hat es nicht geschadet, dass Bürgermeister im Kreistag sitzen. Wir bringen unser Fachwissen ein, wie es andere Berufsgruppen auch tun. Es ist wichtig, dass alle Bereiche vertreten sind. Und die Stimme eines Bürgermeisters zählt gleich viel wie die eines Landwirts, eines Lehrers oder einer Hausfrau“, so Smigoc. Schließlich entscheide immer „ganz demokratisch die Mehrheit im Kreistag und nicht die Bürgermeister“.
„Kirchturmdenken ist vorbei“
Zum ersten Mal tritt bei dieser Wahl Wilhelmsdorfs Bürgermeisterin Sandra Flucht auf der Liste der Freien Wähler für den Kreistag an. „Bürgermeister können Sachverstand einbringen. Gemeinden und Landkreis arbeiten Hand in Hand und sind aufeinander angewiesen. Das hat nicht zuletzt das Thema Flüchtlingsunterbringung gezeigt. Aber auch die Breitbandversorgung Wasser oder Müll“, sagt Flucht. Auch sie kann keinen Interessenkonflikt erkennen. „Die Zeiten, in denen man nur den eigenen Kirchturm im Blick hat, sind vorbei“, sagt Flucht. Sicher ist, dass auch nach dieser Kreistagswahl wieder viele Bürgermeister im Ravensburger Kreistag sitzen. Wie viele das sein werden, hat der Wähler am Sonntag wörtlich in der Hand.