Unterm Strich: 15 Jahre Krattenmacher
Kißleggs Bürgermeister zieht beim Bürgerabend Bilanz – und verkündet Neuigkeiten
KISSLEGG - Eine persönliche Bilanz, gepackt in eine rund anderthalbstündige Rede: Bürgermeister Dieter Krattenmacher hat beim Bürgerabend am Donnerstag die Entwicklung der Gemeinde in seiner Amtszeit vorgestellt. Die Neuigkeiten zusammengefasst: Am Erlenweg wird ein Drogeriemarkt entstehen, das Seniorenzentrum in der Becherhalde kommt, das Areal rund um den ehemaligen Gasthof Adler wird rundum erneuert und erweitert. Wie es in Bärenweiler weitergeht, bleibt offen. Ein Altersheim wird es aber wohl nie mehr werden. Auch die Pläne für einen Kunstrasenplatz werden auf Eis gelegt. Dazu gab es einen Appell gegen Wohnungsnotstand. Einige Schwerpunkte:
Zuwanderung, Kindersegen, Demographie: Wie wächst Kißlegg?
„Ein Dorf wie Immenried ist einwohnermäßig dazu gewachsen“, stellte Krattenmacher fest. Die Zusammensetzung der Bevölkerung habe sich verändert. „Weniger durch die sogenannte Flüchtlingskrise, wesentlich mehr durch Arbeitsmigration aus Osteuropa.“Laut Krattenmacher wäre kein größerer Betrieb in der Gemeinde erfolgreich ohne Zuwanderer und viele kleinere Betriebe würde es gar nicht geben.
Die Zahl der Kindergartenkinder stieg, so der Bürgermeister, um 60 Prozent zwischen seinem Amtsantritt 2005 und dem Jahr 2018 (neuere amtliche Statistiken sind noch nicht veröffentlicht), individuelle Förderungen seien dazu gekommen. Er nannte das Kinderhaus Regenbogen, getragen von Kirche, KBZO und Gemeinde, daneben den Kindergarten Waltershofen als Millionenprojekt („Baubeginn soll im Mai sein“) und der geplante Bauernhofkindergarten in Unterhaid.
„Wir wollen uns aber vom Kindersegen nicht täuschen lassen: Das größte Wachstum aller Bevölkerungsteile verzeichnen die Senioren.“Den Satz verknüpfte Dieter Krattenmacher mit der Frage, ob die Bevölkerung auch einsamer wird. „Der knappe Wohnraum wird nicht nur durch den Kindersegen ausgelöst, sondern durch die Versingelung und Zuwanderung.“
Krattenmacher appellierte: „Wenn Ihnen der soziale Friede am Herzen liegt, sollten sie handeln. Wenn Ihnen das egal ist, dann sollten sie trotzdem handeln, denn sozialer Friede ist die Grundlage für die Eigentumsgarantie.“Er kenne in Kißlegg selber mehr als 30 Wohnungen, „wo ich nicht weiß, warum sie leerstehen.“Das sei „nicht nur im fernen Tübingen“ein Problem. Dennoch halte er es für unerträglich, wenn „nur mit staatlichen Zuschüssen oder staatlichem Zwang“Bewegung in die Sache komme.
Bärenweiler, Becherhalde, Löhleweg: Welche Wohnformen sind erwünscht?
Seit vergangenem September steht das Pflegeheim in Bärenweiler leer. „Die Anforderungen an eine soziale Nutzung sind heute so hoch, dass dies in diesen historischen Gebäuden von niemandem mehr bezahlt werden möchte, und unsere Gemeinde ist finanziell nicht leistungsfähig genug, dies auch noch zu stemmen.“Etwas geheimnisvoll sagte Krattenmacher zur möglichen Zukunft: „Ja, es gibt Interessenten, die sich in dem behütenden Geist der Gebäude wiederfinden. Schauen wir mal, ob dieses Projekt gelingt.“
Zuversichtlich gab sich der Bürgermeister, dass noch in diesem Jahr der Bau eines Seniorenzentrums auf der Becherhalde startet. Er stellte klar, dass es „kein Ersatz für Bärenweiler“sein wird. Aber eine „selbstbestimmte Heimat“für Pflegebedürftige und „für Menschen, die in Sicherheit überschaubar leben wollen“.
Zugunsten von Tannenstock, dem geplanten und privat erschlossenen Wohngebiet zwischen Kißlegg und Emmelhofen, werden vorerst keine Bauplätze im Gebiet Becherhalde III verkauft, so Krattenmacher.
Zur Tiny-Häuser-Siedlung am Löhleweg sagte er, dass eine bauliche Nutzung der Fläche nie ganz vom Tisch gewesen sei. „Ich möchte dieses Thema nun aber endgültig vom Tisch bringen, um dort auch einen Geh- und Radweg der südlichen Wohngebiete realisieren zu können und für alle Seiten Klarheiten zu schaffen. Auch schwebe ihm eine Brücke über die Ach und ein Verbindungsweg zwischen Löhleweg und Becherhalde vor. „Mit Rücksicht auf die dort lebenden Personen würden mir hier Geschosswohnungsbau oder auch klassische Einfamilienhäuser wie sie fast am gesamten Löhleweg zu finden sind, nicht gefallen.“
Er setze sachliche Maßstäbe an und „wenn es sich zeigt, dass dort eine kleine Siedlung möglich, genehmigungsfähig und wirtschaftlich ist, dann wird es wohl wahrscheinlich auch in diese Richtung gehen“. Er habe allerdings Zweifel, ob diese Hürden genommen werden. „Die fachlichen Fragen sollten nun beantwortet werden, um dann eine sachlich-fachlich fundierte Entscheidung treffen zu können.“Krattenmacher mahnte: „Sehr persönlich gesagt, um einen sachlichen Umgang mit dem Thema möchte ich an dieser Stelle bitten.“
Ortskern: Ist Wohnen und Arbeiten im historischen Umfeld möglich?
„Der Löwen, das Haus Walser und das grüne Haus neben der Praxis Berg befinden sich inzwischen im kommunalen Eigentum.“Da beim Löwen Sanierungskosten von bis zu zwei Millionen Euro anfallen werden, „suchen wir derzeit intensiv nach Förderprogrammen“. Beim Haus Walser sei es gelungen, die geteilten Hausteile zusammenzuführen, nun stünden Dach- und Gartensanierungen an.
Und: „Beim Kirchmoos, also zwischen ehemaligem Elektro Schneider und ehemaliger Zimmerei Welte, suchen wir derzeit nach einer einvernehmlichen Lösung mit dem Eigentümer.“Die NKD-Umnutzung sei gelungen, nach der erfolglosen Suche nach einem Nachfolger für den Stadt-Edeka, entstünden dort Wohnungen und möglicherweise eine Büro-Nutzung.
„Kernstück der Sanierung wird das Adler-Areal sein“, sagte Krattenmacher und zeigte eine Grafik, die den Gasthof und nebenan – ehemals Riedesser-Haus, momentan Parkplatz – einen Neubau im Stadthaus-Stil beinhaltete. Es sei gelungen, ein innovatives Wohn- und Betreungskonzept mit Sozialstation und verschiedenen Angeboten zu entwickeln: „Mit dem Baubeginn rechne ich noch dieses Jahr.“
Umgehungsstraße, Autobahn, Elektrifizierung: Wie entwickelt sich der Verkehr?
Ortsumfahrung für Waltershofen, Geh- und Radweg von Gebrazhofen bis Dürren, Bushaltestellen: Vieles, was im Zuge des Autobahn-Baus geplant wurde, sei inzwischen gelungen. „Das Gewerbegebiet bekanntermaßen noch nicht.“
Im Zuge der Elektrifizierung sei auch die Umfahrung von Herrot realisiert worden. „Und zwar, weil alle an einem Strang gezogen haben. Ein Vorbild für Kißlegg!“Auch seien in den letzten 15 Jahren 12,5 Kilometer Gehund Radwege hinzugekommen. Und: „Das Umgehungsstraßenkonzept für Kißlegg ist fertig und in Planung.“Die Gemeinde kaufe auf der künftigen Straßentrasse Grundstück für Grundstück und arbeite daran, den Kreis „auf unsere Seite zu bringen, indem wir Straßen tauschen“. Krattenmacher forderte mehr Engagement und Begeisterung für das Projekt ein – und ging mit einem kurzen Wink auf die Bürgermeisterwahl im Herbst ein: „Wenn sich in der gesamten Bevölkerung nicht mehr Engagement findet, dann ist es ziemlich Wurst, wer im nächsten Jahr hier als Bürgermeister steht.“Niemand werde dieses Projekt ohne „breiteste Rückendeckung“realisieren können.
Ikowa, Einzelhandel, Zaisenhofen: Wo entstehen Einkaufsmöglichkeiten und Arbeitsplätze?
Obwohl die Zahl der Arbeitsplätze in Kißlegg seit 2005 gestiegen sei, kletterte die Zahl der Auspendler von 1780 auf über 2500 um 41 Prozent. In Zaisenhofen sei die augenfälligste Investition mit dem Neubau der Firma Stengele geschehen. Bald wolle man „den Sprung über die Straße schaffen“, mit einem Kreisverkehr auf Höhe der Shelltankstelle. „Der Umbau der Landesstraße wird allein von der Gemeinde und dem Autohaus Stützenberger bezahlt.“Letzteres will bekanntlich ein Elektromobilitätszentrum errichten.
In der Becherhalde sei die Eröffnung des Feneberg-Supermarkts für diesen Herbst geplant. Der Generationenwechsel bei der Firma Rinninger gehe einher mit einer Investition in den Standort Kißlegg und die Käsefreunde beschäftigen, so Krattenmacher, nach nur drei Jahren mehr Leute als ehemals Arla.
„Am Erlenweg werden Vorraussetzungen für einen neuen Ersatz-Edeka und einen Drogeriemarkt, wahrscheinlich Rossmann, geschaffen“, ergänzte er. Die Gemeinde arbeite auch weiter am Ikowa. „Dieses Jahr nun starten wir wieder mit dem Bebauungsplanverfahren.“
Hallen, Schwimmbäder, Kunstrasenplatz: Wie werden Kultur und Sport erhalten?
„In diesem Jahr werden das Innere der Turn- und Festhalle sowie die Sanitäranlagen in der Oskar-Farny-Halle in Ordung gebracht.“Der Fußboden in der Sporthalle an der Realschule folge im nächsten Jahr. Und: „Ein bisschen Sorgen bereiten uns unsere Schwimmbäder.“Die Becken am Strandbad sowie in der Turn- und Festhalle stünden noch an, so Krattenmacher. „Da reden wir nicht über ein paar hunderttausend Euro.“
In Abstimmung mit den Sportvereinen habe der Gemeinderat „erst kürzlich“den Bau eines Kunstrasenplatzes auf Eis gelegt. „Wir sind alle der Meinung, dass die Gefahr mit einem Kunstrasenplatz Plastik in die Umwelt zu bringen, hier konkret in den Obersee, zu groß wäre.“Im Gegenzug sei beschlossen worden, die Rasenplätze zu verbessern.
Traditionell gibt es beim Bürgerabend der Gemeinde Kißlegg keine Diskussionsrunde im Anschluss an die Bürgermeister-Rede. In einigen Wochen wird dafür allerdings eine Einwohnerversammlung stattfinden. Beim Bürgerabend werden jährlich Feuerwehrleute und verdiente Bürger geehrt (Bericht folgt). Die musikalische Eröffnung des Abends übernahm der junge Kißlegger Oliver Schabka am Flügel und am Schlagzeug.