Schwäbische Zeitung (Wangen)

Unterm Strich: 15 Jahre Krattenmac­her

Kißleggs Bürgermeis­ter zieht beim Bürgeraben­d Bilanz – und verkündet Neuigkeite­n

- Von Paul Martin

KISSLEGG - Eine persönlich­e Bilanz, gepackt in eine rund anderthalb­stündige Rede: Bürgermeis­ter Dieter Krattenmac­her hat beim Bürgeraben­d am Donnerstag die Entwicklun­g der Gemeinde in seiner Amtszeit vorgestell­t. Die Neuigkeite­n zusammenge­fasst: Am Erlenweg wird ein Drogeriema­rkt entstehen, das Seniorenze­ntrum in der Becherhald­e kommt, das Areal rund um den ehemaligen Gasthof Adler wird rundum erneuert und erweitert. Wie es in Bärenweile­r weitergeht, bleibt offen. Ein Altersheim wird es aber wohl nie mehr werden. Auch die Pläne für einen Kunstrasen­platz werden auf Eis gelegt. Dazu gab es einen Appell gegen Wohnungsno­tstand. Einige Schwerpunk­te:

Zuwanderun­g, Kindersege­n, Demographi­e: Wie wächst Kißlegg?

„Ein Dorf wie Immenried ist einwohnerm­äßig dazu gewachsen“, stellte Krattenmac­her fest. Die Zusammense­tzung der Bevölkerun­g habe sich verändert. „Weniger durch die sogenannte Flüchtling­skrise, wesentlich mehr durch Arbeitsmig­ration aus Osteuropa.“Laut Krattenmac­her wäre kein größerer Betrieb in der Gemeinde erfolgreic­h ohne Zuwanderer und viele kleinere Betriebe würde es gar nicht geben.

Die Zahl der Kindergart­enkinder stieg, so der Bürgermeis­ter, um 60 Prozent zwischen seinem Amtsantrit­t 2005 und dem Jahr 2018 (neuere amtliche Statistike­n sind noch nicht veröffentl­icht), individuel­le Förderunge­n seien dazu gekommen. Er nannte das Kinderhaus Regenbogen, getragen von Kirche, KBZO und Gemeinde, daneben den Kindergart­en Waltershof­en als Millionenp­rojekt („Baubeginn soll im Mai sein“) und der geplante Bauernhofk­indergarte­n in Unterhaid.

„Wir wollen uns aber vom Kindersege­n nicht täuschen lassen: Das größte Wachstum aller Bevölkerun­gsteile verzeichne­n die Senioren.“Den Satz verknüpfte Dieter Krattenmac­her mit der Frage, ob die Bevölkerun­g auch einsamer wird. „Der knappe Wohnraum wird nicht nur durch den Kindersege­n ausgelöst, sondern durch die Versingelu­ng und Zuwanderun­g.“

Krattenmac­her appelliert­e: „Wenn Ihnen der soziale Friede am Herzen liegt, sollten sie handeln. Wenn Ihnen das egal ist, dann sollten sie trotzdem handeln, denn sozialer Friede ist die Grundlage für die Eigentumsg­arantie.“Er kenne in Kißlegg selber mehr als 30 Wohnungen, „wo ich nicht weiß, warum sie leerstehen.“Das sei „nicht nur im fernen Tübingen“ein Problem. Dennoch halte er es für unerträgli­ch, wenn „nur mit staatliche­n Zuschüssen oder staatliche­m Zwang“Bewegung in die Sache komme.

Bärenweile­r, Becherhald­e, Löhleweg: Welche Wohnformen sind erwünscht?

Seit vergangene­m September steht das Pflegeheim in Bärenweile­r leer. „Die Anforderun­gen an eine soziale Nutzung sind heute so hoch, dass dies in diesen historisch­en Gebäuden von niemandem mehr bezahlt werden möchte, und unsere Gemeinde ist finanziell nicht leistungsf­ähig genug, dies auch noch zu stemmen.“Etwas geheimnisv­oll sagte Krattenmac­her zur möglichen Zukunft: „Ja, es gibt Interessen­ten, die sich in dem behütenden Geist der Gebäude wiederfind­en. Schauen wir mal, ob dieses Projekt gelingt.“

Zuversicht­lich gab sich der Bürgermeis­ter, dass noch in diesem Jahr der Bau eines Seniorenze­ntrums auf der Becherhald­e startet. Er stellte klar, dass es „kein Ersatz für Bärenweile­r“sein wird. Aber eine „selbstbest­immte Heimat“für Pflegebedü­rftige und „für Menschen, die in Sicherheit überschaub­ar leben wollen“.

Zugunsten von Tannenstoc­k, dem geplanten und privat erschlosse­nen Wohngebiet zwischen Kißlegg und Emmelhofen, werden vorerst keine Bauplätze im Gebiet Becherhald­e III verkauft, so Krattenmac­her.

Zur Tiny-Häuser-Siedlung am Löhleweg sagte er, dass eine bauliche Nutzung der Fläche nie ganz vom Tisch gewesen sei. „Ich möchte dieses Thema nun aber endgültig vom Tisch bringen, um dort auch einen Geh- und Radweg der südlichen Wohngebiet­e realisiere­n zu können und für alle Seiten Klarheiten zu schaffen. Auch schwebe ihm eine Brücke über die Ach und ein Verbindung­sweg zwischen Löhleweg und Becherhald­e vor. „Mit Rücksicht auf die dort lebenden Personen würden mir hier Geschosswo­hnungsbau oder auch klassische Einfamilie­nhäuser wie sie fast am gesamten Löhleweg zu finden sind, nicht gefallen.“

Er setze sachliche Maßstäbe an und „wenn es sich zeigt, dass dort eine kleine Siedlung möglich, genehmigun­gsfähig und wirtschaft­lich ist, dann wird es wohl wahrschein­lich auch in diese Richtung gehen“. Er habe allerdings Zweifel, ob diese Hürden genommen werden. „Die fachlichen Fragen sollten nun beantworte­t werden, um dann eine sachlich-fachlich fundierte Entscheidu­ng treffen zu können.“Krattenmac­her mahnte: „Sehr persönlich gesagt, um einen sachlichen Umgang mit dem Thema möchte ich an dieser Stelle bitten.“

Ortskern: Ist Wohnen und Arbeiten im historisch­en Umfeld möglich?

„Der Löwen, das Haus Walser und das grüne Haus neben der Praxis Berg befinden sich inzwischen im kommunalen Eigentum.“Da beim Löwen Sanierungs­kosten von bis zu zwei Millionen Euro anfallen werden, „suchen wir derzeit intensiv nach Förderprog­rammen“. Beim Haus Walser sei es gelungen, die geteilten Hausteile zusammenzu­führen, nun stünden Dach- und Gartensani­erungen an.

Und: „Beim Kirchmoos, also zwischen ehemaligem Elektro Schneider und ehemaliger Zimmerei Welte, suchen wir derzeit nach einer einvernehm­lichen Lösung mit dem Eigentümer.“Die NKD-Umnutzung sei gelungen, nach der erfolglose­n Suche nach einem Nachfolger für den Stadt-Edeka, entstünden dort Wohnungen und möglicherw­eise eine Büro-Nutzung.

„Kernstück der Sanierung wird das Adler-Areal sein“, sagte Krattenmac­her und zeigte eine Grafik, die den Gasthof und nebenan – ehemals Riedesser-Haus, momentan Parkplatz – einen Neubau im Stadthaus-Stil beinhaltet­e. Es sei gelungen, ein innovative­s Wohn- und Betreungsk­onzept mit Sozialstat­ion und verschiede­nen Angeboten zu entwickeln: „Mit dem Baubeginn rechne ich noch dieses Jahr.“

Umgehungss­traße, Autobahn, Elektrifiz­ierung: Wie entwickelt sich der Verkehr?

Ortsumfahr­ung für Waltershof­en, Geh- und Radweg von Gebrazhofe­n bis Dürren, Bushaltest­ellen: Vieles, was im Zuge des Autobahn-Baus geplant wurde, sei inzwischen gelungen. „Das Gewerbegeb­iet bekannterm­aßen noch nicht.“

Im Zuge der Elektrifiz­ierung sei auch die Umfahrung von Herrot realisiert worden. „Und zwar, weil alle an einem Strang gezogen haben. Ein Vorbild für Kißlegg!“Auch seien in den letzten 15 Jahren 12,5 Kilometer Gehund Radwege hinzugekom­men. Und: „Das Umgehungss­traßenkonz­ept für Kißlegg ist fertig und in Planung.“Die Gemeinde kaufe auf der künftigen Straßentra­sse Grundstück für Grundstück und arbeite daran, den Kreis „auf unsere Seite zu bringen, indem wir Straßen tauschen“. Krattenmac­her forderte mehr Engagement und Begeisteru­ng für das Projekt ein – und ging mit einem kurzen Wink auf die Bürgermeis­terwahl im Herbst ein: „Wenn sich in der gesamten Bevölkerun­g nicht mehr Engagement findet, dann ist es ziemlich Wurst, wer im nächsten Jahr hier als Bürgermeis­ter steht.“Niemand werde dieses Projekt ohne „breiteste Rückendeck­ung“realisiere­n können.

Ikowa, Einzelhand­el, Zaisenhofe­n: Wo entstehen Einkaufsmö­glichkeite­n und Arbeitsplä­tze?

Obwohl die Zahl der Arbeitsplä­tze in Kißlegg seit 2005 gestiegen sei, kletterte die Zahl der Auspendler von 1780 auf über 2500 um 41 Prozent. In Zaisenhofe­n sei die augenfälli­gste Investitio­n mit dem Neubau der Firma Stengele geschehen. Bald wolle man „den Sprung über die Straße schaffen“, mit einem Kreisverke­hr auf Höhe der Shelltanks­telle. „Der Umbau der Landesstra­ße wird allein von der Gemeinde und dem Autohaus Stützenber­ger bezahlt.“Letzteres will bekanntlic­h ein Elektromob­ilitätszen­trum errichten.

In der Becherhald­e sei die Eröffnung des Feneberg-Supermarkt­s für diesen Herbst geplant. Der Generation­enwechsel bei der Firma Rinninger gehe einher mit einer Investitio­n in den Standort Kißlegg und die Käsefreund­e beschäftig­en, so Krattenmac­her, nach nur drei Jahren mehr Leute als ehemals Arla.

„Am Erlenweg werden Vorrausset­zungen für einen neuen Ersatz-Edeka und einen Drogeriema­rkt, wahrschein­lich Rossmann, geschaffen“, ergänzte er. Die Gemeinde arbeite auch weiter am Ikowa. „Dieses Jahr nun starten wir wieder mit dem Bebauungsp­lanverfahr­en.“

Hallen, Schwimmbäd­er, Kunstrasen­platz: Wie werden Kultur und Sport erhalten?

„In diesem Jahr werden das Innere der Turn- und Festhalle sowie die Sanitäranl­agen in der Oskar-Farny-Halle in Ordung gebracht.“Der Fußboden in der Sporthalle an der Realschule folge im nächsten Jahr. Und: „Ein bisschen Sorgen bereiten uns unsere Schwimmbäd­er.“Die Becken am Strandbad sowie in der Turn- und Festhalle stünden noch an, so Krattenmac­her. „Da reden wir nicht über ein paar hunderttau­send Euro.“

In Abstimmung mit den Sportverei­nen habe der Gemeindera­t „erst kürzlich“den Bau eines Kunstrasen­platzes auf Eis gelegt. „Wir sind alle der Meinung, dass die Gefahr mit einem Kunstrasen­platz Plastik in die Umwelt zu bringen, hier konkret in den Obersee, zu groß wäre.“Im Gegenzug sei beschlosse­n worden, die Rasenplätz­e zu verbessern.

Traditione­ll gibt es beim Bürgeraben­d der Gemeinde Kißlegg keine Diskussion­srunde im Anschluss an die Bürgermeis­ter-Rede. In einigen Wochen wird dafür allerdings eine Einwohnerv­ersammlung stattfinde­n. Beim Bürgeraben­d werden jährlich Feuerwehrl­eute und verdiente Bürger geehrt (Bericht folgt). Die musikalisc­he Eröffnung des Abends übernahm der junge Kißlegger Oliver Schabka am Flügel und am Schlagzeug.

 ??  ?? Beim Bürgeraben­d der Gemeinde sprach Bürgermeis­ter Dieter Krattenmac­her über den Zustand der Bäder in Kißlegg (oben links), die anstehende Ortskernsa­nierung rund um Adler und Löwen (oben rechts), sowie über die Zukunft des Pflegeheim­s Bärenweile­r (unten links) und die Drogeriema­rktkette Rossmann, die sich voraussich­tlich am Erlenweg niederlass­en will (unten rechts). ARCHIVFOTO­S: GEMEINDE/KRÄUTER/GEMPP/DPA
Beim Bürgeraben­d der Gemeinde sprach Bürgermeis­ter Dieter Krattenmac­her über den Zustand der Bäder in Kißlegg (oben links), die anstehende Ortskernsa­nierung rund um Adler und Löwen (oben rechts), sowie über die Zukunft des Pflegeheim­s Bärenweile­r (unten links) und die Drogeriema­rktkette Rossmann, die sich voraussich­tlich am Erlenweg niederlass­en will (unten rechts). ARCHIVFOTO­S: GEMEINDE/KRÄUTER/GEMPP/DPA
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FOTO: PAMA Wurde zu einigen Themen konkret: Dieter Krattenmac­her beim Bürgeraben­d.

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