„Es gibt immer jemanden, der Dir geholfen hätte…“
Schüler und Ethiker setzten sich vor der Corona-Krise mit einem Tabu-Thema auseinander
WANGEN (rohm) - „Es gibt immer jemand, der Dir nachtrauern würde oder der Dir geholfen hätte. Genieße die Zeit auf Erden, alle Traurigkeit wird vergehen.“Es sind beeindruckende Worte, die eine 16-jährige Schülerin vom Beruflichen Schulzentrum Wangen (BSW) ins Gästebuch der Ausstellung „Suizid – ein doppeltes Tabu“in der Badstube eingetragen hat. Und es wird wohl eine der letzten Veranstaltungen gewesen sein, ehe die Corona-Krise für deren generelles „Aus“sorgte.
Worte, die zum Nachdenken anregen. Sie zeigen, dass nicht nur ältere Menschen sich mit dem TabuThema Suizid auseinandersetzen, sondern auch jüngere Menschen, die fast ihr ganzes Leben noch vor sich haben. Für Bruno Schmid aus Weingarten, bis 2018 Mitglied des Ethikkomitees der Stiftung Liebenau, war die aktuelle Ausstellung und das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) Karlsruhe zum Recht auf den selbstbestimmten Tod und zur Suizid-Beihilfe ein Grund mehr, sich mit dem Dilemma zwischen Selbstbestimmung und Lebensschutz auseinanderzusetzen.
„Ist Suizid strafbar?“„Wie steht die christliche Kirche zum Suizid und zur Suizidbeihilfe?“„Was sind die Gründe für Suizid?“„Sind es mehr jüngere oder ältere Menschen, die sich das Leben nehmen?“„Wie kann man Suizide verhindern?“„Wie ist das aktuelle Urteil des BVerfG zur Suizid-Beihilfe zu werten?“. Es sind Fragen wie diese, die sich junge und ältere Erwachsene stellen, wenn es um Suizid und Suizid-Beihilfe geht.
Die zweiwöchige Ausstellung mit den begleitenden Vorträgen von Fachleuten versuchte, Antworten zu finden auf all diese Fragen. Manche dieser Fragen lassen keine letzten Antworten zu. Wichtig aber ist in der Auseinandersetzung mit dem schwierigen Tabuthema Suizid, die
Sprachlosigkeit zu überwinden und miteinander ins Gespräch zu kommen. Dazu trug die Ausstellung jedenfalls bei.
Die christliche Ethik hat seit jeher ein gespaltenes Verhältnis zur Selbsttötung. Bruno Schmid zeigte in seinen theologisch-ethischen Überlegungen, wie schwer sich die christliche Kirche tat, Verständnis für Suizidenten aufzubringen. Jahrhundertelang verweigerte die Kirche Suizidenten ein kirchliches Begräbnis. Suizid galt als Todsünde.
Erst Mitte des 20.Jahrhundert hat sich sowohl in der evangelischen als auch in der katholischen Kirche hier ein Wandel vollzogen. Evangelische Theologen wie Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer, Jochen Klepper und das Zweite Vatikanische Konzil in der katholischen Kirche regten zum Umdenken an: Respekt und Verständnis für die Not des Suizidenten prägen seitdem das Denken in der christlichen Ethik.
Suizid und Suizid-Beihilfe ist aus Sicht von Bruno Schmid immer auch „Ausdruck der Freiheit des Individuums“, eine Gewissensfrage („Was ist angemessen?“) und ein Dilemma, wenn es um die Beihilfe geht. Am Ende steht für ihn die Frage: „Was erhält Vorrang? Der Lebensschutz oder das Recht auf Selbstbestimmung?“
Für eine Schulklasse des BSW, die im Rahmen ihres Religionsunterrichtes diese Ausstellung besuchte, standen ganz andere Fragen und Antworten im Vordergrund: „Warum nimmt sich ein junger Mensch das Leben?“„Wie kann man Suizid-Absichten erkennen?“„Welche Hilfen gibt es zur Suizid-Prävention?“
Erstaunlich war, welche Antworten die Jugendlichen in der Auseinandersetzung mit diesem Thema fanden. Eine davon war diese: „Es gibt immer jemand, der Dir nachtrauern würde oder der Dir geholfen hätte. Genieße die Zeit auf Erden, alle Traurigkeit wird vergehen.“