So lähmt Corona auch das Leben in Ecuador
Leonie Werner hat Biberacher Wurzeln, erlebt die Corona-Pandemie aber derzeit in Quito, wo sie arbeitet – Ein Erfahrungsbericht
BIBERACH/QUITO (sz) - In diesen Wochen erfährt man viel darüber, wie sich das Coronavirus in Europa, Asien oder Nordamerika auswirkt. Aus kleineren Staaten, wie dem südamerikanischen Ecuador, erfährt man hierzulande wenig bis nichts, aber auch dort sind das Virus und seine Folgen allgegenwärtig. Leonie Werner, die familiäre Wurzeln in Biberach hat und 2012/ 13 als Redaktionsprakitkantin für die „Schwäbische Zeitung Biberach“tätig war, lebt und arbeitet seit vergangenem Jahr in der Hauptstadt Quito. Von dort schildert die 25-Jährige aktuell ihre Eindrücke.
„Es ist das zweite Mal, dass ich hier in Quito die Außenwelt nur von meinem Fenster aus beobachte, seit ich im Juli 2019 für die zweite Hälfte meines Masterstudiums hierhergezogen bin. Beim ersten Mal, im Oktober 2019, haben politische Unruhen das Land in einen Ausnahmezustand versetzt – elf Tage lang arbeiteten wir weitestgehend von zu Hause und bekamen nur sporadisch neue Informationen aus den Medien mitgeteilt. Ein Wochenende lang unterlagen wir der Ausgangssperre, die so kurzfristig angeordnet worden war, dass nicht mehr alle rechtzeitig nach Hause kamen, so wie ich zum Beispiel. Ich hatte aber das Glück, bei den Eltern meines Freunds gewesen zu sein und dort bleiben zu können. So ähnlich fühlt es sich auch jetzt an, denn ich sitze in der gleichen Wohnung wie damals, nur diesmal aufgrund einer Situation mit deutlich größerer Tragweite. Auch diesmal werden fast stündlich neue Informationen herausgegeben und Regelungen mit wenigen Stunden Vorlaufzeit erlassen. Auch diesmal kommt das öffentliche Leben weitestgehend zum Stillstand, und es wurde eine landesweite Ausgangssperre verhängt.
Dass Ecuador genausowenig vorbereitet war auf die Corona-Pandemie wie viele andere Länder, zeigt sich daran, dass unterschiedliche Informationen kursieren, selbst öffentliche Stellen widersprüchlich handeln oder nicht ausreichend informiert sind. So hatte die ecuadorianische Botschaft in Berlin am Morgen des 11. März noch mitgeteilt, dass alle Reisen von Deutschland nach Ecuador problemlos möglich seien. Am Abend wurde die Pandemie ausgerufen und am Morgen des 12. März führte die Regierung eine 14-tägige Quarantäne für Reisende aus vielen Gebieten ein, die ab Mitternacht gelten solle.
Mein Freund, ein ecuadorianischer Staatsbürger, der wenige Tage zuvor aus Seoul angereist war, musste sich lediglich einem Gesundheitscheck am Flughafen unterziehen und einen Zettel ausfüllen mit Kontaktdaten, unterlag aber keiner offiziellen Quarantäne. Er entschied, freiwillig in häusliche Quarantäne zu gehen, und erst nach Einführung der Regelung rief ihn das Gesundheitsministerium an, er solle doch bitte zu Hause bleiben.
Meine Schwester, die einen Tag
Leonie Werner, deren Mutter aus Biberach und deren Vater aus Nordrhein-Westfalen stammt, ist in Berlin geboren und lebte mit ihrer Familie in der ganzen Welt: York (England), Budapest, München und Jakarta. Sie studierte Political and Social Studies/öffentliches Recht in Würzburg mit einem Auslandsjahr in Seoul, Südkorea. Inzwischen studiert sie Global Development an der Universität Kopenhagen und befindet sich im Praktikum bei UNFPA in Quito, um ihre Masterarbeit im Themenbereich Gewalt gegen Frauen in Zusammenarbeit mit der Nichregierungsorganisation CEPAM zu schreiben, wo sie auch als Freiwillige arbeitet. „Weihnachten und das Schützenfest verbringe ich aber grundsätzlich in Biberach“, sagt sie. nach ihm und ebenfalls vor der offiziellen Quarantäneregelung eintraf, wurde ohne Kontrollen ins Land gelassen, ihr Zettel mit Kontaktdaten wurde nicht einmal eingesammelt. Nach der Einführung der Quarantäneregelung meldeten wir uns beim Gesundheitsministerium, um zu fragen, wie wir am besten mit der Situation umgehen. Uns wurde gesagt, meine Schwester könne sich frei bewegen. Wir entschieden uns dennoch für die selbstgewählte Isolation, da sich generelle Unsicherheit breit machte.
Die Gebäudeverwaltung meiner Wohnung verbot uns, diese als Quarantäneort zu nutzen und wies uns an, die Wohnung zu verlassen, als andere Bewohner des Hauses in Panik verfielen ob des Besuchs einer neu angekommenen Europäerin. Da keiner von uns offiziellen Regelungen unterlag, uns aber alle entschieden, zu Hause zu bleiben, blieb uns als einziger Rückzugsort die Wohnung der Eltern meines Freunds.
Ursprünglich wollte meine Schwester drei Wochen bleiben. Am Morgen des 14. März häuften sich dann die Nachrichten über Grenzschließungen in Europa und die Aussetzung von immer mehr Flügen sowie die Reduzierung des öffentlichen Lebens in Ecuador und andernorts. Daher beschlossen wir, einen Flug noch für denselben Tag zu suchen, um zu verhindern, dass meine Schwester auf unbestimmte Zeit keinen Rückflug mehr bekommen würde. Tatsächlich berichteten immer mehr Länder auch in Südamerika von Grenzschließungen. Als wir bereits auf dem Weg zum Flughafen waren, am Nachmittag des 14. März, erreichte uns die Nachricht, dass Ecuador seine Grenzen in der Nacht zum 16. März dicht machen würde. Da die Regelung aber noch nicht in Kraft war, war die Maschine, mit der meine Schwester zurück nach Europa fliegen sollte, gerade aus Madrid eingetroffen und wurde für den Rückflug dorthin vorbereitet. Sie wartete eine Stunde, dann zwei, schließlich fragte sie am Schalter, wann man in etwa mit dem Abflug rechnen könne. Die Passagiere seien alle noch an Bord, hieß es. Ein Passagier zeige Symptome, weshalb noch alles desinfiziert werden müsse. Insgesamt sieben Stunden später war das Flugzeug bereit zum Abflug. Meine Chefin hier in Quito erlebte die Situation von der anderen Seite aus. Sie war auf einer Dienstreise in Spanien gewesen und saß mehrere Stunden in dem Flugzeug fest, in dem der Passagier mit Symptomen gereist war.
Mittlerweile befinden sich beide in häuslicher Quarantäne: Meine Chefin in Quito aufgrund einer Verordnung des ecuadorianischen Gesundheitsministeriums, meine Schwester in München auf Basis freiwilliger Entscheidung, da auch in München niemand ihren Zettel mit Kontaktdaten und Reiseinformationen einsammelte oder sie medizinisch untersuchte.
Am nächsten Morgen wachte ich zu den Nachrichten auf, dass die Zahl der Erkrankten von 28 Fällen am Samstag auf 37 am Sonntag gestiegen war und das Virus bereits zwei Todesopfer gefordert hatte. Auch hier wird damit gerechnet, dass das Gesundheitssystem überfordert sein wird. Auch hier ist das Prinzip „Flatten The Curve“im Lauf des Sonntags langsam angekommen. Am 15. März waren in vielen Städten Ecuadors die Straßen um einiges leerer als sonst. Jeden Sonntag schließt eine der größten Straßen in Quito, die vom Norden in den Süden der Stadt führt, für Fahrzeuge, um sie für Fahrradfahrer, Inlinefahrer und Fußgänger zu öffnen. Im benachbarten Park finden normalerweise Sportveranstaltungen statt, Leute gehen joggen, spielen Fußball und Basketball, machen Picknick und hören Musik. Am Sonntag vor einer Woche war der Park nahezu leer und die wenigen Leute, die unterwegs waren, wurden von der Polizei gebeten, Solidarität zu zeigen und nach Hause zu gehen. Am Montag waren wieder etwas mehr Autos unterwegs, weil die Menschen zur Arbeit mussten, aber es war immer noch vergleichsweise ruhig für die sonst sehr von Staus geplagte Hauptstadt.
Wie überall derzeit ist die größte Informationsquelle neben dem Fernsehen das Internet. Menschen aktualisierten ihren Status in den sozialen Medien und riefen ihre Freunde mit dem Hashtag #Yomequedoencasa (#Ichbleibezuhause) oder #Quédateencasa (#Bleibzuhause) dazu auf, das Haus nicht zu verlassen und teilten offizielle Publikationen der Regierung zum aktuellsten Stand.
Die meisten zumindest. Ein paar wenige posteten auch Videos und Fotos ihres Polterabends, der Trauerfeier, des Dorffests oder der Hausparty, einige sogar mit Kommentaren, dass ihnen Corona egal sei und sie ihr Leben normal leben wollen. Auch wurden viele Fake News verbreitet, und sorgen für Unruhe.
Fakt ist: Nicht jeder möchte sich einschränken, der es könnte und nicht jeder kann sich einschränken, der es gerne würde. Marktfrauen zum Beispiel rufen online dazu auf, bitte auf dem Markt und nicht im Supermarkt einkaufen zu gehen (auch hier „hamstern“viele), um ihre Existenz nicht zu gefährden. Sie stehen weiterhin an ihren Ständen und verkaufen ihre Waren. Die Ungleichheiten, von denen die ecuadorianische Gesellschaft geprägt ist, zeichnen sich in dieser Zeit noch viel deutlicher ab. Wer nicht von offiziellen Hilfsmaßnahmen aufgefangen wird, steht unter Umständen in kürzester Zeit vor dem finanziellen Ruin und kann es sich nicht erlauben, zu Hause zu bleiben. Manche Kinder bekommen ihre einzige gute Mahlzeit in der Schule, die nun für drei Wochen ausgesetzt ist, und viele Frauen, die unter häuslicher
Gewalt leiden, haben nun keine Möglichkeit mehr, dieser zu entfliehen, um nur einige der Probleme zu nennen. Auf lange Sicht wird auch Ecuador mit riesigen wirtschaftlichen
Verlusten und vielen persönlichen Schicksalen zu kämpfen haben. Die Regierung verspricht, diese aufzufangen, wenn die Gesundheitskrise überstanden ist.
Mittlerweile gibt es auch strengere Auflagen und Geldstrafen, wenn man sich nicht an die Einschränkungen hält, bis hin zu Freiheitsstrafen für eine unterbrochene Quarantäne, die auch schon in einigen Fällen verhängt wurde. Wurde zunächst im Fernsehen dazu aufgerufen, freiwillig zu Hause zu bleiben, und gezeigt, wie man richtig Hände wäscht, verhängte die Regierung am Abend des 16. März eine landesweite Ausgangssperre, der sanitäre Ausnahmezustand gilt für 60 Tage. Bis zum 21. März galt die Ausgangssperre von 21 bis 5 Uhr, mittlerweile wurde sie ausgeweitet auf 19 bis 5 Uhr, in den Regionen mit den meisten Fällen auf 16 bis 5 Uhr. Derzeit gilt diese Regelung bis Ende des Monats, jedoch unter dem Vorbehalt, diese auszuweiten, falls notwendig.
Parks, Kinos oder andere öffentliche Orte dürfen nicht mehr betreten und das Haus nur noch für unvermeidbare Angelegenheiten verlassen werden, wie zum Beispiel zur Arbeit zu gehen (falls kein Homeoffice erlaubt oder möglich ist), zum Supermarkt, zur Apotheke, oder um sich um Angehörige zu kümmern, die auf einen angewiesen sind.
Schulen und Universitäten sind bereits seit Längerem geschlossen. Überlandbusse fahren nicht mehr und es ist streng reguliert, welche Privatautos mit welchen Kennzeichen an welchen Tagen noch fahren dürfen. Es wurde von Seiten der Regierung versprochen, dass die Versorgung mit Nahrungsmitteln nicht knapp werden wird, dass keiner vom Stromnetz abgeschnitten wird, der derzeit die Rechnung nicht begleichen kann, und dass kein Arbeitgeber seine Mitarbeiter entlassen darf, sondern Möglichkeiten suchen muss, sie von zu Hause aus arbeiten zu lassen. Die Regierung räumt jedoch ein, dass ohne die Solidarität der Bevölkerung, ein größeres Ausmaß der Krise nicht verhindert werden kann. Wie sich die Situation entwickelt, wird sich jedoch erst Ende des Monats zeigen.
Jetzt sind die Grenzen für Einreisende geschlossen, nur wenige Landwege sind noch offen und diese dürfen nur von ecuadorianischen Staatsangehörigen oder Ausländern mit Aufenthaltstitel mit besonderer Begründung genutzt werden. Die deutsche Botschaft organisiert letzte Rückholflüge für deutsche Touristen. Der Vater meines Freunds, der für die Rückholung von letzten Einheimischen zuständig ist, ist von frühmorgens bis spätabends am Telefon, weil sehr viele Menschen noch an Flughäfen oder Grenzgebieten feststecken.
Im Süden des Landes in Guayaquil hatte die Bürgermeisterin die Landung zweier Evakuierungsflugzeuge für Touristen verhindert. Einige meiner Freunde und Bekannten, die über ein Austauschprogramm hier sind, wurden in ihre Heimatländer zurückgerufen. Ich kann bleiben, weil ich im Besitz einer längerfristigen Aufenthaltsgenehmigung für Ecuador bin und die letzte verbleibende Pflicht an meiner Universität in Kopenhagen die Verteidigung der Masterarbeit zur Jahresmitte hin ist. Seit Februar arbeite ich an meiner Masterarbeit im Bereich Gewalt gegen Frauen und bin per selbstorganisiertem Aufenthalt vor Ort. Eine Nichtregierungsorganisation in Quito, die in diesem Bereich arbeitet, hilft mir bei der Datenerhebung, im Gegenzug unterstütze ich sie bei der Projektplanung.
Ich habe das Glück, dass ich derzeit das meiste sehr gut von zu Hause aus machen kann, ein paar Interviews führe ich per Skype, den Rest der Zeit nutze ich zum Schreiben und zum Ordnen der ersten Ergebnisse. Auf der Arbeit haben wir einen Notfallplan aufgestellt, um auch weiterhin mit den Frauen zusammenarbeiten zu können, die Gewalt erfahren haben, und um die Projekte fortlaufen zu lassen. In der Wohnung arbeiten wir per Homeoffice, spielen Karten, finden viel Zeit zum Reden und um in Ruhe zu essen und nutzen die Zeit auch, um mit meiner Familie zu skypen.
Wie so oft in den vergangenen Jahren, ist jeder in einem anderen Teil der Welt. Mein Vater ist in Tansania, wo meine Eltern leben, wird jedoch in ein paar Tagen nach Deutschland fliegen. Meine Schwester sitzt nach ihrem Rückflug über Spanien in unserem Haus in der Nähe von München in selbstgewählter Quarantäne und meine Mutter ist derzeit auf Heimatbesuch bei ihren Eltern in Biberach, wo sie sich alle ebenfalls dazu entschieden haben, zunächst einmal zu Hause zu bleiben. Da keiner von uns sich mit medizinischen Fähigkeiten aktiv einbringen kann, haben wir uns dazu entschieden, an Organisationen zu spenden, die den Menschen und Tieren helfen, die derzeit am meisten von den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise betroffen sind und nachbarschaftliche Solidarität zu zeigen.
Nach der Panik, die über alle Mitte des Monats hereingebrochen war, akzeptieren die Menschen in Ecuador die Lage nach und nach. Es ist Samstagnachmittag gegen 15 Uhr: Normalerweise hört man um diese Uhrzeit viele Menschen auf der Straße. Wir wohnen in der Nähe zweier Einkaufszentren. Heute fährt nur alle paar Minuten ein Auto vorbei. Seit knapp einer Woche breitet sich diese Stille nun aus, und die Luftqualität der Stadt hat sich deutlich verbessert. Freunde, die ich sonst auf ein Abendessen oder zum Tanzen treffe, rufe ich jetzt an, um zu hören, wie es ihnen geht. In den sozialen Medien teilen Paare Fotos davon, wie sie gemeinsam Filme schauen, es werden Skype-Partys veranstaltet und Links geteilt zu OnlineYogaoder Sportprogrammen, Gedichte publiziert über die sich erholende Natur und sich über OnlineLieferdienste informiert. Am vergangenen Freitagabend wurde aus allen Fenstern Quitos für diejenigen geklatscht, die derzeit das Land am Laufen halten.
Waren es vor fünf Tagen noch 58 registrierte Corona-Fälle in Ecuador, waren es am Samstag schon 506. Mit den ergriffenen Maßnahmen der Regierung und der Erfahrung aus Asien und Europa, hoffen wir derzeit, dass sich das Virus hier etwas kontrollierter und langsamer ausbreitet. Es gilt nun, zu Hause zu bleiben, abzuwarten und zu hoffen, Quito in absehbarer Zeit wieder von der Straße, anstatt vom Zimmerfenster aus erleben zu können und zwar so lebendig, quirlig und bunt, wie die Stadt normalerweise ist.
Liebe Grüße nach Biberach, bleibt gesund und bleibt zu Hause!“
„Die Gebäudeverwaltung meiner Wohnung verbot uns, diese als Quarantäneort zu nutzen, als andere Bewohner des Hauses in Panik verfielen ob des Besuchs einer neu angekommenen Europäerin.“
„Die Ungleichheiten, von denen die ecuadorianische Gesellschaft geprägt ist, zeichnen sich in dieser Zeit noch viel deutlicher ab.“