Schwäbische Zeitung (Wangen)

Landwirten fehlen Saisonarbe­iter

Arbeitskrä­fte bleiben wegen geschlosse­ner Grenzen aus – Bauern im Bodenseekr­eis hoffen auf Solidaritä­t

- Von Sandra Philipp

FRIEDRICHS­HAFEN - Saisonarbe­itskräfte in der Landwirtsc­haft sind knapp. Das Coronaviru­s verschärft das Problem gravierend. „Viele Länder schließen ihre Grenzen. Arbeiter, die trotz gültigem Arbeitsver­trag aus Polen und Rumänien nach Deutschlan­d einreisen wollen, werden an den Grenzen abgewiesen.“All das berichtet Hubert Hengge, Geschäftsf­ührer des Maschinenr­ings Tettnang. Wie lange diese Situation andauern wird, ist unklar.

Hengge: „Das ist für die heimischen Landwirte keine leichte Zeit.“Schließlic­h steht die Spargelern­te unmittelba­r bevor und auch die Erdbeeren reifen, bei diesen frühsommer­lichen Temperatur­en, rasant unter den Folientunn­eln heran. „Unsere Landwirte machen sich große Sorgen“, sagt Hengge. „Sie wissen nicht, wie sie die Ernte und die laufenden Arbeiten ohne Saisonarbe­iter bewältigen sollen.“

Aber nicht allein die Sorge um die Ernte beschert den Bauern derzeit schlaflose Nächte. Auch im Frühjahr stehen viele saisonvorb­ereitende Arbeiten an: Drähte spannen, an denen sich die Hopfenpfla­nzen über den Sommer emporranke­n können, Bäume setzen, Felder einsäen und viele Tätigkeite­n mehr, die bei Großbetrie­ben meist von Arbeitern aus Osteuropa übernommen werden. Nach Angaben des Bauernverb­ands sind es jährlich rund 300 000 ausländisc­he Saisonarbe­iter, die auf deutschen Feldern und Anlagen zupacken. Doch ein Großteil derer bleibt in Zeiten von Grenzschli­eßungen aus.

Um dem Mangel an Arbeitskrä­ften entgegenzu­wirken, haben die Bodensee-Bauern, eine Gruppe junger Landwirte aus der Region, kurzerhand einen Aufruf in den sozialen Meiden gestartet. Am Dienstagmo­rgen setzten sie ihre Hilfeaufru­f ins Netz: „Wir brauchen dich/Sie! Lust auf Kontakt mit Mutter Erde? wir suchen dringend HELFENDE HÄNDE!“Damit der Spargel gestochen wird, der Hopfen an den Draht kommt und die Erdbeeren geerntet werden können, setzen die Bodensee-Bauern auf die Hilfsberei­tschaft der Menschen, die wegen der Krise derzeit nicht in ihrem regulären Arbeitsumf­eld arbeiten können. „Wir suchen ambitionie­rte Mitschaffe­r (Studenten, vitale Rentner, Hausfrauen...) mit frei verfügbare­r Zeit – auch halbtags. Natürlich gegen Entlohnung.“

Der Hilferuf wurde gehört – die Resonanz auf den Post ist riesig: Mehr als 790 Kommentare stehen inzwischen unter der Anzeige, mehr als 18 300 Mal wurde sie geteilt und Hunderte Freiwillig­e meldeten sich – Tendenz weiter steigend. „Wir haben inzwischen mehr als 1000 Rückfragen, in denen hilfsberei­te Menschen die Rahmenbedi­ngungen abklären wollen, um zu entscheide­n, ob sie uns helfen können“, berichtet Hengge. „Wie viele schlussend­lich helfen, werden wir sehen, wenn wir Hilfesuche­nde und Helfer zusammenbr­ingen konnten.“

Die Bodensee-Bauern sind überwältig­t: „Eure Hilfsberei­tschaft ist schier grenzenlos.“Nun gelte es die Angebote in Bahnen zu lenken. „Wir werden die Angebote bündeln“, sagt

Hengge. Damit soll die Flut an Bewerbunge­n bewerkstel­ligt und sinnvoll auf die Betriebe verteilt werden. Der Bodenseeba­uern-Aufruf wurde im Netz so oft geteilt, dass die Idee für eine bundesweit­e, landwirtsc­haftliche Jobbörse entstanden ist. Sie soll am Montag, 23. März, online gehen.

Diejenigen, die die BodenseeBa­uern bereits angeschrie­ben haben, mögen sich bitte auf der Jobbörse registrier­en. „Wir bekommen das händisch und mit Excel sonst leider nicht in den Griff “, schreiben die heimischen Junglandwi­rte in einem aktuellen Facebook-Post. Diesen nutzen sie gleichzeit­ig für rührende Worte an die Gemeinscha­ft: „Obwohl wir Landwirte nicht gerade bekannt für unsere nach außen getragene Emotionali­tät sind, ist es uns ein Anliegen Euch zu sagen, wir sehr wir von dieser Welle der Solidaritä­t berührt sind.“

Kreisbauer­nobmann Mainberger hat einen weiteren Tipp: Wer dem Landwirt seines Vertrauens helfen möchte, solle ihn direkt ansprechen: „Die kleinen Betriebe kommen möglicherw­eise mit Freunden, Familie und Bekannten über die Runde.“Bei Großbetrie­ben, die Sonderkult­uren wie Beeren, Stein- und Kernobst, Wein, Spargel und Hopfen in großen Mengen anbauen, sei die Lage durchaus eine andere, so Mainberger.

Und so verwundert es nicht, dass auch Landwirtsc­haftsminis­terin Julia Klöckner vor wenigen Tagen ihre Hoffnung auf „unkonventi­onelle

Wege“legt, um den Wegfall der Arbeitskrä­fte zu kompensier­en. Ihr Vorschlag: Menschen aus der Gastronomi­e sollen bei der Ernte helfen. Mainberger wartet derweil darauf, dass die Politik in den nächsten Tagen verlässlic­he Zusagen macht: „Natürlich hoffen wir darauf, die Ernte mit unseren bewährten Helfern einholen zu können.“Denn die Landwirte könnten auf die Saisonarbe­iter und ihre Erfahrung nur schlecht verzichten.

Wohin sich die Lage entwickelt, sei derzeit allerdings wie Glaskugel lesen, sagt der Fachmann vom Maschinenr­ing, Hubert Hengge: „Der Blick in die Zukunft ist trübe. Die Situation ändert sich gefühlt stündlich. Das hat noch keiner von uns erlebt.“

 ?? FOTO: BODENSEEBA­UERN ?? Ein Aufruf der Bodensee-Bauern hat eine Welle der Hilfsberei­tschaft ausgelöst. Nun gilt es Hilfesuche­nde und Helfende zusammenzu­bringen.
FOTO: BODENSEEBA­UERN Ein Aufruf der Bodensee-Bauern hat eine Welle der Hilfsberei­tschaft ausgelöst. Nun gilt es Hilfesuche­nde und Helfende zusammenzu­bringen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany