Landwirten fehlen Saisonarbeiter
Arbeitskräfte bleiben wegen geschlossener Grenzen aus – Bauern im Bodenseekreis hoffen auf Solidarität
FRIEDRICHSHAFEN - Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft sind knapp. Das Coronavirus verschärft das Problem gravierend. „Viele Länder schließen ihre Grenzen. Arbeiter, die trotz gültigem Arbeitsvertrag aus Polen und Rumänien nach Deutschland einreisen wollen, werden an den Grenzen abgewiesen.“All das berichtet Hubert Hengge, Geschäftsführer des Maschinenrings Tettnang. Wie lange diese Situation andauern wird, ist unklar.
Hengge: „Das ist für die heimischen Landwirte keine leichte Zeit.“Schließlich steht die Spargelernte unmittelbar bevor und auch die Erdbeeren reifen, bei diesen frühsommerlichen Temperaturen, rasant unter den Folientunneln heran. „Unsere Landwirte machen sich große Sorgen“, sagt Hengge. „Sie wissen nicht, wie sie die Ernte und die laufenden Arbeiten ohne Saisonarbeiter bewältigen sollen.“
Aber nicht allein die Sorge um die Ernte beschert den Bauern derzeit schlaflose Nächte. Auch im Frühjahr stehen viele saisonvorbereitende Arbeiten an: Drähte spannen, an denen sich die Hopfenpflanzen über den Sommer emporranken können, Bäume setzen, Felder einsäen und viele Tätigkeiten mehr, die bei Großbetrieben meist von Arbeitern aus Osteuropa übernommen werden. Nach Angaben des Bauernverbands sind es jährlich rund 300 000 ausländische Saisonarbeiter, die auf deutschen Feldern und Anlagen zupacken. Doch ein Großteil derer bleibt in Zeiten von Grenzschließungen aus.
Um dem Mangel an Arbeitskräften entgegenzuwirken, haben die Bodensee-Bauern, eine Gruppe junger Landwirte aus der Region, kurzerhand einen Aufruf in den sozialen Meiden gestartet. Am Dienstagmorgen setzten sie ihre Hilfeaufruf ins Netz: „Wir brauchen dich/Sie! Lust auf Kontakt mit Mutter Erde? wir suchen dringend HELFENDE HÄNDE!“Damit der Spargel gestochen wird, der Hopfen an den Draht kommt und die Erdbeeren geerntet werden können, setzen die Bodensee-Bauern auf die Hilfsbereitschaft der Menschen, die wegen der Krise derzeit nicht in ihrem regulären Arbeitsumfeld arbeiten können. „Wir suchen ambitionierte Mitschaffer (Studenten, vitale Rentner, Hausfrauen...) mit frei verfügbarer Zeit – auch halbtags. Natürlich gegen Entlohnung.“
Der Hilferuf wurde gehört – die Resonanz auf den Post ist riesig: Mehr als 790 Kommentare stehen inzwischen unter der Anzeige, mehr als 18 300 Mal wurde sie geteilt und Hunderte Freiwillige meldeten sich – Tendenz weiter steigend. „Wir haben inzwischen mehr als 1000 Rückfragen, in denen hilfsbereite Menschen die Rahmenbedingungen abklären wollen, um zu entscheiden, ob sie uns helfen können“, berichtet Hengge. „Wie viele schlussendlich helfen, werden wir sehen, wenn wir Hilfesuchende und Helfer zusammenbringen konnten.“
Die Bodensee-Bauern sind überwältigt: „Eure Hilfsbereitschaft ist schier grenzenlos.“Nun gelte es die Angebote in Bahnen zu lenken. „Wir werden die Angebote bündeln“, sagt
Hengge. Damit soll die Flut an Bewerbungen bewerkstelligt und sinnvoll auf die Betriebe verteilt werden. Der Bodenseebauern-Aufruf wurde im Netz so oft geteilt, dass die Idee für eine bundesweite, landwirtschaftliche Jobbörse entstanden ist. Sie soll am Montag, 23. März, online gehen.
Diejenigen, die die BodenseeBauern bereits angeschrieben haben, mögen sich bitte auf der Jobbörse registrieren. „Wir bekommen das händisch und mit Excel sonst leider nicht in den Griff “, schreiben die heimischen Junglandwirte in einem aktuellen Facebook-Post. Diesen nutzen sie gleichzeitig für rührende Worte an die Gemeinschaft: „Obwohl wir Landwirte nicht gerade bekannt für unsere nach außen getragene Emotionalität sind, ist es uns ein Anliegen Euch zu sagen, wir sehr wir von dieser Welle der Solidarität berührt sind.“
Kreisbauernobmann Mainberger hat einen weiteren Tipp: Wer dem Landwirt seines Vertrauens helfen möchte, solle ihn direkt ansprechen: „Die kleinen Betriebe kommen möglicherweise mit Freunden, Familie und Bekannten über die Runde.“Bei Großbetrieben, die Sonderkulturen wie Beeren, Stein- und Kernobst, Wein, Spargel und Hopfen in großen Mengen anbauen, sei die Lage durchaus eine andere, so Mainberger.
Und so verwundert es nicht, dass auch Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner vor wenigen Tagen ihre Hoffnung auf „unkonventionelle
Wege“legt, um den Wegfall der Arbeitskräfte zu kompensieren. Ihr Vorschlag: Menschen aus der Gastronomie sollen bei der Ernte helfen. Mainberger wartet derweil darauf, dass die Politik in den nächsten Tagen verlässliche Zusagen macht: „Natürlich hoffen wir darauf, die Ernte mit unseren bewährten Helfern einholen zu können.“Denn die Landwirte könnten auf die Saisonarbeiter und ihre Erfahrung nur schlecht verzichten.
Wohin sich die Lage entwickelt, sei derzeit allerdings wie Glaskugel lesen, sagt der Fachmann vom Maschinenring, Hubert Hengge: „Der Blick in die Zukunft ist trübe. Die Situation ändert sich gefühlt stündlich. Das hat noch keiner von uns erlebt.“