Mit Abriegelung eine Seuche überstanden
Im Winter 1948 verbreitet sich in Tafertsweiler ein unbekanntes Virus
TAFERTSWEILER - Ein neuartiges Virus, kein Gegenmittel, Schulschließung und Abschottung. Die aktuelle Situation rund um das Coronavirus ruft bei manch einem in Tafertsweiler Erinnerungen wach. Wie sich bei einer mehrwöchigen Epidemie im Winter 1948 in dem heutigen Ostracher Teilort zeigte, war eine gewisse soziale Distanz zur Außenwelt wohl das richtige Rezept, um eine weitläufige Ausbreitung zu verhindern.
Kaum war der zweite Weltkrieg zu Ende gegangen und kontrollierten Besatzungssoldaten das Dorfgeschehen, brach die Grippe buchstäblich über Nacht so heftig aus, dass das Leben im Ort von heute auf morgen zum Erlahmen kam. Wer nicht krank war, stellte sich für die Pflege und Betreuung der mit hohem Fieber behafteten bettlägerigen Angehörigen und Nachbarn zur Verfügung. Unter ihnen befand sich Margarete, die Mutter des späteren Kardinals Karl Lehmann, dessen Vater Karl Lehrer an der Volkschule Tafertsweiler war. Zeitzeuge Konrad Reck, der damals elf Jahre alt war und dessen Eltern ebenfalls erkrankt waren, erinnert sich noch ganz genau, dass die schwerkranken Menschen sich saures Essen wünschten, hauptsächlich Rettichsalat und Bismark-Heringe. Die damalige virusbedingte Lungenentzündung sei nur lokal in Tafertsweiler aufgetreten, habe aber auch Eingang in medizinische Fachartikel gefunden.
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Die zu Rate gezogenen Ärzte standen bei dem neuartigen Erscheinungsbild der Krankheit vor einem Rätsel. Alle gebräuchlichen Arzneimittel, die den Kranken verordnet wurden, um das hohe Fieber zu beeinflussen, blieben machtlos. Nachdem sich auch der Verdacht auf eine Art Typhus durch die unternommenen Blutproben nicht bestätigte, wurden namhafte Ärzte mit der Untersuchung beauftragt. Sie stellten sofort die genaue Diagnose auf Viruspneumonie, eine Art Lungenentzündung fest. Die in Deutschland bis dahin nicht vorgekommene Krankheit wurde sechs Jahre zuvor zum ersten Mal von einem amerikanischen Arzt beschrieben. Ernste organische Mängel sollen jedoch nach der Krankheit nicht zurückbleiben. Gegenmittel sind bisher nicht bekannt, da der Erreger nicht entdeckt ist.
Seitdem das Coronavirus sich so stark verbreitet, denkt auch Franz Kerle aus Eschendorf öfter wieder an den Vorfall. Er kennt die Seuche nur aus Erzählungen seiner Familie. „Damals gab es keine medizinischen Gegenmittel und trotzdem schien die Epidemie sich schließlich wieder zurückzuziehen. Und zwar so sehr, dass heute nur wenige hier noch davon wissen“, sagt Kerle.