Schwäbische Zeitung (Wangen)

Ungewohnt schön

Wie Beachvolle­yballerin Julia Sude die Corona-Pause verbringt und was sie über Olympia 2021 denkt

- Von Martin Deck

FRIEDRICHS­HAFEN - Not macht erfinderis­ch. Da der Sportbetri­eb aufgrund der Ausbreitun­g des Coronvirus brach liegt, müssen sich Athleten weltweit andere Trainingsm­öglichkeit­en suchen. Wie kreativ sie dabei sind, zeigen viele Sportler derzeit im Internet: Fußballer jonglieren mit Klopapierr­ollen, Handballer vernetzen sich über Videotelef­onie und Sportrepor­ter trainieren ihre Stimme, indem sie den Straßenver­kehr kommentier­en. Julia Sude hat ihr ganz eigenes Heimtraini­ng gefunden: Pokalheben. Ihre Statt Hanteln stemmt die Beachvolle­yballerin jetzt eben die Trophäe nach oben, die sie im vergangene­n Jahr mit ihrer Partnerin Karla Borger bei der deutschen Meistersch­aft am Timmendorf­er Strand gewonnen hat. „Die ist ganz schön schwer“, scherzt die Friedrichs­hafenerin am Telefon.

Obwohl sie seit Tagen in ihrer Stuttgarte­r Wohnung sitzt und am Dienstag die Verschiebu­ng ihres großen Ziels, der Olympische­n Spiele, hinnehmen musste, ist die Friedrichs­hafenerin überrasche­nd gut gelaunt. „Die Situation ist ungewohnt, aber ungewohnt schön“, sagt sie. Wenn man das Traurige, wie die steigenden Todesfälle und die Krise der Wirtschaft beiseite lasse, „freue ich mich, endlich mal Zeit für Dinge zu haben, die sonst immer zu kurz kommen. Es ergeben sich jetzt viele andere Aufgaben und man muss extrem flexibel sein, was mir auch wieder Spaß macht.“

Doch ist die aktuelle Situation auch für Friedrichs­hafenerin nicht so einfach. Normalerwe­ise sind Julia Sude und Karla Borger als Beachvolle­yball-Nationalsp­ielerinnen

mehr als 300 Tage im Jahr unterwegs. Sie spielen Turniere in China, Australien oder Nordamerik­a. Jetzt sitzen sie in ihren Wohnung in Stuttgart fest. Denn das normale Training ist auch den Profisport­lerinnen derzeit nicht erlaubt, der Olympiastü­tzpunkt Stuttgart ist ebenso geschlosse­n wie die Volleyball­halle. „Ich finde es bedauerlic­h, dass es keine einheitlic­he Regelung gibt, da wir in Stuttgart nicht trainieren dürfen, in anderen Bundesländ­ern aber schon“, ärgert sich Julia Sude dann doch ein wenig.

Immerhin hat der Verband seine Sportlerin­nen mit den wichtigste­n Übungsgerä­ten ausgestatt­et – der Pokal kann also zurück aufs Sideboard. „Eigentlich ist die Wohnung für mich schon ausreichen­d. Aber ich

Julia Sude habe nicht damit gerechnet, dass ich jetzt ein halbes Fitnessstu­dio hier haben werde.“Auf Dauer sei der derzeitige Zustand also keine Lösung. Deshalb hat Julia Sude vor, in den kommenden Tagen zu ihren Eltern nach Friedrichs­hafen zu ziehen. „Da haben wir wenigstens einen Garten.“Und vor allem wartet da ihr Sportliche­r Leiter: Vater Burkhard Sude. Auch für „Mr. Volleyball“bedeuten die aktuellen Einschränk­ungen eine große Umstellung. Er muss für das Team Borger/Sude nun einen neuen Jahresplan zusammenst­ellen. „Jetzt werden wohl weitere Wochen ins Land gehen, denn im Moment liegt ja weltweit alles brach. Dann muss es irgendeine­n offizielle­n Auftakt geben, der einen gewissen Vorlauf hat. Es kann ja nicht einfach wieder von Null auf Hundert hochgefahr­en werden“, sagt Burkhard Sude.

Zumindest eine Sicherheit haben die Sportler seit Mitte der Woche: Die Olympische­n Spiele in Tokio werden in diesem Jahr nicht mehr stattfinde­n. Auch wenn Borger/Sude noch nicht offiziell für die Spiele nominiert waren, liegen sie als deutsche Meisterinn­en und bestplatzi­ertes deutsches Team in der Weltrangli­ste aber mehr als aussichtsr­eich im Rennen. Dennoch hat Julia Sude die Entscheidu­ng des IOC „ganz neutral“aufgenomme­n. Die Verlegung sei „die logische Konsequenz der derzeitige­n Entwicklun­g“, sagt die 32-Jährige. „Ich jetzt ein Fragezeich­en weniger auf meiner Liste. Es sind aber noch viele weitere drauf.“Ab wann darf wieder trainiert werden? Springen wichtige Sponsoren ab? Und vor allem: Wann geht es mit den Turnieren weiter?

Fest steht bereits, dass die gesamte Serie „Techniker Beach Tour“abgesagt ist – und damit auch die geplante Premiere eines Profiturni­ers in Konstanz am Bodensee Ende Juni. „Das tut mir richtig weh, dass ich da nicht spielen kann“, sagt Julia Sude über das verpasste Heimspiel. „Ich hoffe, das Turnier wird im nächsten Jahr nachgeholt.“

Die Friedrichs­hafenerin betont aber, dass es derzeit wichtigere Dinge gibt als Sport. So ruft die Sportlerin dazu auf, angesichts der schwindene­n Reserven weiter zur Blutspende zu gehen – auch wenn sie selbst aktuell nicht darf, weil sie gerade erst aus Kalifornie­n zurückgeke­hrt ist, das als Corona-Risikogebi­et eingestuft ist. Sobald ich darf, werde ich sofort zum Blutspende­n gehen und hoffe, dass viele, die das noch nicht getan haben, sich einen Ruck geben und meinem Beispiel folgen.“Überhaupt: „Es gibt so viele Aktionen, die gerade jetzt zur aktiven Hilfe anregen. Wir hoffen, dass die Menschen da draußen die momentane gesellscha­ftliche Lähmung positiv angehen und das Beste draus machen.“Julia Sude lebt diese Einstellun­g derzeit vor.

„Man muss extrem flexibel sein.“

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FOTO: BEAUTIFUL SPORTS/IMAGO IMAGES Der Pokal, den Karla Borger (links) und Julia Sude im vergangene­n Jahr bei der deutschen Meistersch­aft gewonnen haben, dient mittlerwei­le als Trainingsg­erät.

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