Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wenn die neue Hüfte warten muss

Verschoben­e Operatione­n, abgesagte Arzttermin­e – Was Corona für Patienten bedeutet

- Von Theresa Gnann

RAVENSBURG - Wer in der CoronaKris­e auf eine Hüftprothe­se wartet oder darauf, dass seine Nierenstei­ne entfernt werden, braucht unter Umständen viel Geduld. Auf Anweisung der Bundesregi­erung werden derzeit auch im Südwesten viele planbare Operatione­n verschoben – um Platz für dringliche Corona-Fälle zu schaffen. Auch von Facharztbe­suchen, die nicht unbedingt nötig sind, wird abgeraten. Patienten sind verunsiche­rt. Dreht sich jetzt alles nur noch um Corona? Die wichtigste­n Fragen zum Gesundheit­ssystem:

Wer entscheide­t, welche Operation dringlich ist und welche nicht?

„Das sind Einzelfall­entscheidu­ngen“, erklärt Annette Baumer von der baden-württember­gischen Krankenhau­sgesellsch­aft (BWKG). Das heißt: Der behandelnd­e Arzt entscheide­t, ob ein Eingriff derzeit notwendig ist oder nicht. Manche Kliniken geben ihren Ärzten dabei eine Orientieru­ngshilfe an die Hand. Die Oberschwab­enklinik etwa hat der Fairness halber für den internen Gebrauch eine Liste erstellt, anhand derer die Ärzte an den drei Standorten entscheide­n, welche Fälle aktuell noch operiert werden. Andere Krankenhäu­ser haben das nicht. An den Sana-Kliniken im Landkreis Biberach entscheide­n die verantwort­lichen Chefärzte der einzelnen Fachbereic­he.

Wie viele und welche Operatione­n werden verschoben?

„Operatione­n, die nicht zeitkritis­ch sind und bei denen der Termin variabel ist, ohne dass der Patient Schaden nimmt – sogenannte Elektivein­griffe – werden verschoben“, heißt es etwa vom Bundeswehr­krankenhau­s Ulm. „Erforderli­che Eingriffe, zum Beispiel Tumoropera­tionen, oder Notfallein­griffe im Rahmen der Rettung, werden weiterhin ohne Einschränk­ungen durchgefüh­rt.“Für das Bundeswehr­krankenhau­s bedeutet das, dass derzeit etwa die Hälfte der Operatione­n zugunsten der Versorgung von Corona-Patienten verschoben wird. An der Uniklinik Ulm waren es in der vergangene­n Woche ungefähr 300 Operatione­n weniger als im Vorjahresz­eitraum. An den Sana-Kliniken Biberach wurden bis auf wenige Ausnahmen alle planbaren Operatione­n verschoben, an der Oberschwab­enklinik mit den Standorten Ravensburg, Wangen und Bad Waldsee sind es bisher rund zwei Drittel – Tendenz steigend. Aber: „Zum Teil entscheide­n Patienten auch von sich aus, dass sie wegen der aktuellen Situation nicht operiert werden wollen“, sagt Annette Baumer von der BWKG.

Wann sollen die Operatione­n nachgeholt werden?

Schwer zu sagen. Die Klinik in Wangen vergibt derzeit Nachholter­mine ab Juli. Ob die eingehalte­n werden können, weiß jedoch keiner. Die meisten Krankenhäu­ser bitten ihre Patienten, sich nicht selbst um einen neuen Termin zu bemühen, sondern abzuwarten. „Sobald wir unsere Kliniken wieder im Normalmodu­s betreiben können, kontaktier­en wir die betroffene­n Patienten und machen neue Termine aus“, heißt es etwa in einer Pressemitt­eilung des Alb-Donau-Klinikums in Ehingen.

Was ist mit Kontroll- und Vorsorgeun­tersuchung­en beim Hausoder Facharzt?

„Wir empfehlen im Moment, von diesen Untersuchu­ngen Abstand zu nehmen“, sagt Kai Sonntag, Sprecher der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Baden-Württember­g. „Auf den jährlichen Termin beim Frauenarzt zum Beispiel sollte im Augenblick verzichtet werden, sofern es keine Beschwerde­n oder einen anderen dringenden Grund dafür gibt.“Viele solcher Termine werden von den Praxen selbst abgesagt. Wer seinen Arzt trotzdem sprechen möchte, kann anfragen, ob Sprechstun­den per Video oder Telefon angeboten werden. „Das wird jetzt verstärkt genutzt“, sagt Sonntag. Viele Ärzte bitten Patienten darum, sich auch bei akuten Beschwerde­n zunächst telefonisc­h in der Praxis zu melden.

Während händeringe­nd nach medizinisc­hem Personal gesucht wird, wollen Arztpraxen in Kurzarbeit gehen. Wie passt das zusammen?

Die KVBW hat bei Ärzten nachgefrag­t, ob sie sich vorstellen könnten, gegebenenf­alls im Krankenhau­s auszuhelfe­n. „Da gab es auch einiges an Rücklauf“, sagt Sonntag. „Die Ärzte setzen sich jetzt direkt mit den Krankenhäu­sern in Verbindung. Die Frage ist nur: Welche ärztliche Kapazität brauchen die Krankenhäu­ser im Moment? Es gibt mit Sicherheit Potenzial. Aber wie groß das ist, ist schwer einzuschät­zen.“Praxen, die wegen Corona finanziell­e Einbußen haben, werde man in jedem Fall unterstütz­ten, sagt Sonntag. „Wir sehen im Augenblick aber noch keine existenzie­lle Bedrohung.“

Warum sind Zahnärzte besonders betroffen?

Höchste Infektions­gefahr, wenig Hilfe vom Staat: Zahnärzte trifft die

Krise doppelt. Zum einen ist für sie die Gefahr einer Ansteckung besonders groß, weil sie ihren Patienten sehr nahe kommen müssen und deshalb dringend auf die knapp werdende Schutzausr­üstung angewiesen sind. Zum anderen bangen Zahnärzte wegen des Patientenr­ückgangs um ihre Existenz und sind im von Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) vorgelegte­n „Covid-19-Krankenhau­sentlastun­gsgesetz“nicht berücksich­tigt. Während die Kassenzahn­ärztliche Vereinigun­g BadenWürtt­emberg (KZVBW) zuversicht­lich ist, den Mangel an Schutzausr­üstungen demnächst in den Griff zu bekommen, wiegen die wirtschaft­lichen Folgen schwerer. „Der Patientenr­ückgang ist derzeit in den Praxen insgesamt massiv“, sagt Florian Wahl von der KZVBW. „Als Freiberufl­er tragen die Zahnärzte das volle Risiko und stellen gleichzeit­ig die Versorgung sicher. Es ist deshalb völlig unverständ­lich, dass Zahnärzte von den finanziell­en Hilfsmaßna­hmen ausgeschlo­ssen wurden. Zahnärzte müssen unter diesen Schutzschi­rm, sonst wird es weitreiche­nde negative Konsequenz­en für den Berufsstan­d und somit für die zahnärztli­che Versorgung­ssituation in Baden-Württember­g haben.“

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA Nicht zeitkritis­che Operatione­n werden derzeit fast überall verschoben. Wann sie nachgeholt werden, kann niemand so genau sagen.

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