Ohne Erntehelfer drohen Engpässe
Bauernverband und Agrarpolitiker fordern Aufhebung des Einreisestopps für Saisonarbeiter und befürchten teures Obst und weniger Gemüse
BERLIN - Teure und wenige Erdbeeren oder Blaubeeren, ein geringes Angebot an frischem Salat oder zu wenig und zu kostspieliger Spargel – das könnte den Verbrauchern in diesem Jahr drohen. Davon ist zumindest die Arbeitsgruppe Agrar in der Unionsfraktion überzeugt. In einem Brandbrief an die Bundeskanzlerin und die beteiligten Ministerien für Inneres und Landwirtschaft fordern die Abgeordneten ein rasches Ende des Einreisestopps für Saisonarbeiter. In den nächsten Tagen müssten die Landwirte entscheiden, welche Pflanzen sie ausbringen, mahnt die Arbeitsgruppe schnelle Entscheidungen an.
Anlass der Sorge ist das kürzlich von Innenminister Horst Seehofer (CSU) erlassene Einreiseverbot für die vornehmlich aus Osteuropa kommenden Erntehelfer. Es geht nicht um ein paar Dutzend Landarbeiter. In diesem Jahr benötigt die deutsche Landwirtschaft insgesamt 286 000 Saisonarbeiter. In dieser frühen Phase des Jahres sind es bereits rund 80 000. „Wir brauchen unsere erfahrenen und bewährten Saisonarbeitskräfte aus Osteuropa“, sagt Bauernpräsident
Joachim Rukwied, „die kann man nicht von heute auf morgen ersetzen.“
Bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe hatten sich Seehofer und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) noch nicht über eine Lockerung des Einreiseverbots verständigt. Der CSU-Politiker verteidigt den Infektionsschutz. „Unsere Betriebe sind bereit, jegliche Maßnahmen
zum Infektionsschutz zu implementieren und umzusetzen“, versichert Rukwied bislang erfolglos.
Betroffen sind Betriebe aus mehreren Sparten der Landwirtschaft. Die Spargelsaison hat begonnen. Bald müssen Gemüsesorten auf die Felder gebracht werden. Den Molkereien an den Grenzen zu Polen und Tschechien fehlen die Pendler aus den Nachbarländern. Schlachtereien und Zerlegebetriebe brauchen die Arbeitskräfte aus Südosteuropa. Winzer sind ebenfalls auf Hilfen aus dem Ausland angewiesen.
Klöckner hatte bereits eine Einreise per Flugzeug ins Spiel gebracht. Damit könnten die Durchfahrtsverbote anderer Länder umgangen werden. Im Gespräch ist auch der Einsatz von Flüchtlingen und momentan arbeitslosen Beschäftigten aus der Gastronomie. Eine Lösung ist dies nach Ansicht des Bauernverbands jedoch nicht. Landwirte berichten laut Verband, dass sie zwar Angebote zur Mitarbeit erhalten. „Allerdings wollen viele offenbar nur in Teilzeit aushelfen“, erläutert Rukwied, „Erntehelfer ist aber ein Vollzeitjob.“Zudem wollten die alternativen Aushilfen möglichst schnell wieder an ihren alten Arbeitsplatz zurück. Trotzdem betont der Bauernpräsident, dass derzeit jede helfende Hand willkommen sei.
Nun loten die zuständigen Minister Wege für eine Einreise von Polen,
Tschechen oder Rumänen aus. „Der notwendige Infektionsschutz der Bevölkerung muss zusammengebracht werden mit der Sicherung von Ernten“, erläutert ein Sprecher des Agrarministeriums. Nun solle das Robert-Koch-Institut dafür Leitlinien erstellen. Nach einer schnellen Einigung klingt das nicht.
Der Sprecher versichert aber auch, dass die Grundversorgung in Deutschland gewährleistet sei. Der Selbstversorgungsgrad bei Getreide, Schweinefleisch oder Kartoffeln liege bei über 100 Prozent. „Bei einigen Obst- und Gemüsesorten kann es gegebenenfalls sein, dass Ernten geringer ausfallen oder es nicht die gewohnte Vielfalt gibt“, räumt das Ministerium ein. Bei Obst und Gemüse werden nur 40 Prozent des Konsums in Deutschland erzeugt. Viel kommt aus Südeuropa, Ländern, die selbst schwer unter der Corona-Krise leiden. Deshalb müssen sich die Verbraucher hier wohl auf Preissteigerungen bei mancher Frischware einstellen.
„Wir brauchen unsere erfahrenen und bewährten Saisonarbeitskräfte.“
Bauernpräsident Joachim Rukwied