Corona-Krise sorgt für psychischen Zusatzstress
SZ-Serie „Alltagshelden“: Wie eine angehende Heilerziehungspflegerin in St. Konrad mit der Mehrbelastung umgeht
WANGEN - Busfahrer, Verkaufspersonal, Pflegekräfte: In der Coronavirus-Krise sind die sogenannten „systemrelevanten“, also besonders wichtigen Berufe in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Jobs, die vergleichsweise oft weniger gut bezahlt sind und die in „normalen“Zeiten teilweise um Anerkennung in der Öffentlichkeit kämpfen müssen. In der aktuellen Ausnahmesituation werden die Menschen hinter diesen Berufsbildern aber als wichtig für die Gesellschaft wiederentdeckt. Sie bekommen für ihren Einsatz von allen Seiten Applaus, werden plötzlich wertgeschätzt und manchmal sogar als „Helden des Alltags“dargestellt. Die „Schwäbische Zeitung“hat mit Frauen und Männern gesprochen, die auch mit ihrer Tätigkeit das „System“in der Region Wangen aufrecht erhalten. Obwohl sie wegen des ständigen Kontakts zu anderen mit der Gefahr leben, sich selbst anzustecken. Heute: Bianca Eberhardt, angehende Heilerziehungspflegerin.
Ausgangsbeschränkungen, reduzierte soziale Kontakte, Abstandsregeln: Drei Begriffe, die in der Corona-Krise fast zum täglichen Sprachgebrauch gehören. Wer jedoch in dieser Ausnahmesituation mit Menschen zu tun hat, die psychische oder körperliche Handicaps haben, und mit ihnen über diese Themen spricht, der muss viel erklären, auch viel aushalten, mit unterschiedlichsten Reaktionen rechnen und dann damit umgehen. So wie Bianca Eberhardt, Auszubildende zur Heilerziehungspflegerin in der Haslacher Behinderteneinrichtung St. Konrad.
Die 20-Jährige arbeitet in einer Wohngruppe mit neun Frauen, allesamt mit geistigen Beeinträchtigungen. Deren gewohnter Tagesablauf ist seit „Corona“nicht mehr vorhanden. Die Werkstätten und Förderbereiche sind geschlossen, der Kontakt zu Angehörigen ist eingeschränkt und ein Ende der Maßnahmen ist zeitlich ungewiss. „Das ist eine ziemliche Umstellung für die Bewohnerinnen, wir müssen viel Aufklärungsarbeit leisten, sind da auch selbst psychisch sehr gefordert“, sagt Eberhardt. Und wird konkret: „Die veränderte Alltagsstruktur und der somit verlorene Halt der Klienten spiegeln sich in herausfordernden Verhaltensweisen wider, die derzeit täglich unserer Deeskalation und Aufarbeitung bedürfen.“
Der zusätzliche Stress entstehe, weil nicht alle Bewohner der Einrichtung mit den durch „Corona“verursachten Änderungen umgehen könnten, bestätigt Jörg Stöhr. „Der Alltag wird auf den Kopf gestellt, für viele ist das eine große Umstellung. Zudem gibt es fast täglich neue Anordnungen und Handlungsempfehlungen“, so der Wohnbereichsleiter von St. Konrad weiter. „Je länger dieser Zustand anhält, umso größer werden die psychischen Belastungen.“Die große Herausforderung sei nun, trotz der aktuellen Verordnungen und obwohl gewohnte Kontakte oder Freundschaften derzeit nicht gepflegt werden könnten, für einen sinnvollen Tagesablauf zu sorgen.
Mittlerweile sorgen die Mitarbeiter aus der sogenannten Tagesstruktur für ein Alternativprogramm. Sie unterstützen dabei die Mitarbeiter im Wohnbereich, Werkstattaufträge werden so gut es geht weiterbearbeitet. Entsprechendes geschieht im Förderbereich. Die Wohngruppen dürfen sich dabei jedoch nicht vermischen,
Bianca Eberhardt es gibt dafür in den Gebäuden abgegrenzte Bereiche. Zudem sind Besuche in der Einrichtung derzeit nicht möglich. „Wir versuchen dennoch, den Kontakt zu Angehörigen aufrecht zu erhalten, mit Mails oder Videoanrufen“, berichtet Bianca Eberhardt.
Sie ist bei der täglichen Arbeit aber noch anderweitig stärker gefordert. Erklärungen zum Sicherheitsabstand, Regeln zum richtigen Händewaschen, Informationen zur Ansteckungsgefahr oder zur CoronaKrise allgemein müssten regelmäßig wiederholt werden. Dazu komme, so Eberhardt weiter, dass die Klienten nicht alle in der Lage seien, Unbehagen oder Krankheitsanzeichen selbst zu erkennen und diese zu äußern. Außerdem gehörten diese Menschen aufgrund ihrer Beeinträchtigung und der damit zusammenhängenden gesundheitlichen Komplikationen zum Risikoklientel. „Unter all dem Stress müssen wir derzeit besonders feinfühlig und empathisch sein und genau beobachten, um Anzeichen einer Erkrankung frühestmöglich erkennen zu können“, sagt die Auszubildende.
Generell gelte dabei, noch mehr als sonst auf Hygiene zu achten, so Eberhardt, die sich zum Schutz der Bewohner auch im privaten Alltag soweit wie möglich isolieren soll. Es gebe jedoch zu wenig Schutzausrüstung, vor allem an geeigneten Atemmasken fehle es. Auch Jörg Stöhr sieht in dem geringen Vorrat an Schutzausrüstung ein großes Problem, denn: „Bei einem konkreten Fall von Corona wären die Vorräte in wenigen Tagen aufgebraucht.“Der Mangel an Masken wirkt sich ebenfalls auf das Pflegepersonal aus, wie
Bianca Eberhardt berichtet: „Die ständige Gefahr der Ansteckung erhöht die psychische Belastung noch.“
Dazu kommt ihre persönliche Situation in der letzten Phase der Ausbildung: Die theoretische und praktische Prüfung, die sie schon hätte ablegen müssen, wurden wegen Covid-19 erst einmal abgesagt. Mittlerweile sei laut Eberhardt auch einer der beiden Schultage gestrichen worden, „damit ich mehr Stunden arbeiten kann“. Die prüfungsrelevanten Schulinhalte bekomme sie nun online zugesandt, diese muss sich die angehende Heilerziehungspflegerin dann zuhause selbst erarbeiten: „Die Aufgabenmenge wurde dabei nicht an die reduzierte Unterrichtszeit angepasst, sodass ich alles, was ich an meinem Schultag nicht erarbeitet bekomme, in meiner sehr knappen Freizeit erledigen muss.“
Ihre eigenen, weiter weg wohnenden Angehörigen kann Bianca Eberhardt ebenfalls aktuell nicht besuchen, und an Urlaub sei wegen des Coronavirus’ und der engen Personalsituation derzeit nicht zu denken, berichtet die Auszubildende. Und bekommt ein Sonderlob von ihrer Mentorin und Kollegin Claudia Nothdurft: „Trotz des ganzen psychischen Stresses leistet Bianca eine sehr gute Arbeit. Sie ist für mich eine Heldin in der Corona-Krise.“
Aber fühlt sich die Angesprochene auch so? „Eher nicht. Ich habe mich für diesen Beruf bewusst entschieden, da gehören Krisen einfach dazu“, so Eberhardt. Und: „Ich mache den Job gerne.“Ihrer Meinung nach seien aber „wir Mitarbeiter im sozialen Bereich jeden Tag Alltagshelden für unsere Klienten“: „Und das auch außerhalb der Corona-Krise.“
„Unter all dem Stress müssen wir derzeit besonders feinfühlig und empathisch sein und genau beobachten, um Anzeichen einer Erkrankung frühestmöglich erkennen zu können.“
Kennen Sie einen Menschen in einem systemrelevanten Beruf, dessen Arbeit Sie in Corona-Zeiten wieder mehr wertschätzen? Dann geben Sie uns Bescheid und mailen uns Ihren Vorschlag: