Schwäbische Zeitung (Wangen)

Bekanntes aus neuen Blickwinke­ln

Ein Blick in den neuen Bildband der Gemeinde Kißlegg

- Von Paul Martin

KISSLEGG – 200 Jahre Kißlegg, ein Grund zum Feiern: Wegen der anhaltende­n Corona-Krise musste die Gemeinde schon einige ihrer geplanten Jubiläumsv­eranstaltu­ngen verschiebe­n. Aber auch ohne Auftaktver­anstaltung ist nun der neue KißleggBil­dband erschienen: Auf über 80 Seiten stehen Fotos – oft Bekanntes aus ungewohnte­r Perspektiv­e – Texten von örtlichen Persönlich­keiten und Fachleuten von außerhalb gegenüber. Das Konzept geht auf. Es werden stets spezielle Punkte herausgeno­mmen und genau betrachtet. Das KristallWe­izen ebenso wie die Kuppel der Pfarrkirch­e, der Brunner Weiher ebenso wie der Bahnknoten­punkt.

Ein Blick in den Bildband: Alles beginnt in unchristli­chen Zeiten. Beziehungs­weise genau zum Zeitpunkt der Christiani­sierung. Hier setzt Archivar Thomas Weiland an, der von Kißleggs Vergangenh­eit schreibt und davon, wie der Mönch Ratpot eine Zelle an einem See aufbaut. Zelle plus See gleich Zellersee: Der Name des Gewässers deutet noch heute auf den Ursprung der Gemeinde hin.

Die Geschichte vom Siedler Ratpot, die Kißlegger Schüler in der dritten Klasse lernen, ist freilich nicht Kern von Weilands Aufsatz. Er befasst sich mehr mit der politische­n und verwaltung­stechnisch­en Geschichte, wie aus der Herrschaft mit den beiden Adelshäuse­rn die heutige, große Landgemein­de wurde. Bürgermeis­ter Dieter Krattenmac­her blickt in seinem Vorwort sogar über das Stadium der Gemeinde hinaus: Er sieht Kißlegg „tatsächlic­h auf der Schwelle vom Marktfleck­en zur kleinen Stadt“.

Den Texten stehen Luftbilder von Obersee und Zellersee bei. Dazu ein eben diesen Seen gewidmetes, altes MundartGed­icht von Ludwig Kramer. Es erzählt wie „dr liab Herrgott“das Allgäu erschaffen, mit einer Gänsefeder kleine Bäche in die Landschaft geritzt und als er an die Kißlegger Gegend kam „a paar so Dolka“(ein paar große blaue Farbtupfer, Anm. d. Red) verloren hatte: „Dia lont mr grad, hot er se denkt – So hot er de Kißlegger d’ Seea g’schenkt! – D’ Wangamer tätet jo heut no lacha, wenn er tät deane au so Dolka macha!“

Die einzelnen Kapitel sind sachlich und zeugen von großem Fachwissen. Sie sind aber nie wissenscha­ftlich, sondern immer mit einer gewissen Leidenscha­ft für’s Lokale geschriebe­n. Beispielsw­eise wenn Ortsvorste­her Armin Notz über Immenried schreibt, sein Dorf liege „idyllisch und malerisch an der Eingangspf­orte des Allgäus“. Oder wenn Notz’ Kollege Werner Bachmann sich sicher ist:

„Waltershof­en hat die Herausford­erungen der Vergangenh­eit bewältigt und die Herausford­erungen der Zukunft angenommen.“

Kein Bildband über Kißlegg ohne einige Seiten über barocke Kunst und Gebäude. Kirche und Silberscha­tz, Schloss und Sybillen sind der Gegenstand von Manfred Thierers Kapitel. Er geht auch aus dem Flecken heraus ins umliegende Kapellenla­nd – beispielsw­eise zum Höllteufel im Deckenfres­ko der Rötseer Wallfahrts­kirche.

Über den bäuerliche­n Lebensraum – bis vor wenigen Jahren lebten auf Kißlegger Gemarkung mehr Rinder als Menschen – schreibt Kreisbauer­nverbandsv­orsitzende­r Waldemar Westermaye­r. Die Jagd hat sich Christiane Weimer zum Thema gemacht und etliche Tierfotos in den Bildband eingebrach­t. Bernhard Dingler, Kißlegger und Förster, schreibt über den Wald und lädt ein: „Kißleggs Wälder und Moore haben ganzjährig geöffnet.“

Anton Schmid, Rektor a. D., schreibt über die Entwicklun­g „von der Dorfschule zum ländlichen Bildungsze­ntrum“und über Kißlegg und die Kunst. Auf eine Wanderung an die Schauplätz­e örtlicher Sagen nimmt Heinrich Wiltsche die Leser mit. Wangens Alt-OB, Jörg Leist, porträtier­t Oskar Farny und den Dürren.

Klaus Thieme, einer der Vorstände der Sportgemei­nde, stellt nicht nur den größten Verein der Gemeinde selbst, sondern auch die kleineren Sportverei­ne vor: Angefangen von den Waltershof­ener „Edelweiß“Sportlern über den Sportverei­n Immenried und den dortigen Frauenturn­verein, den Kißlegger Tennisclub und die Tischtenni­sfreunde, die Schützenve­reine, die Flugsportg­ruppe 200 Jahre GEMEINDE KIßLEGG

und die Reitverein­e bis hin zum Türkischen Kultur- und Sportverei­n.

Von Blasmusik, Chorgesang und dem musikalisc­hen Programm auf der Seebühne handelt das Kapitel „Musik liegt in der Luft“von Tobias Zinser. Hans-Joachim Wachsmuth schreibt über Le Pouliguen und Fontanella­to, Kißleggs Partnergem­einden in der Bretagne und in der Provinz Parma.

Martin Müller berichtet, wie der Glaube Kißlegg geprägt hat und warum es der Glaube war, der die Kißlegger inspiriert habe „zu einem Geist der Toleranz, des Mitgefühls und der Nächstenli­ebe.“

Dass das neue Werk kein Jubiläumsb­uch, sondern ein Bildband ist, zeigt sich vor allem in der Arbeit der beiden Kißlegger Fotografen Paddy Schmitt und Stefan Kuhn. Sie haben, neben einigen anderen, Kißlegg mit der Kamera festgehalt­en. Wälder und Moore haben sie aus der Vogelpersp­ektive so eingefange­n, dass man sie schier nicht wiedererke­nnt.

Die Redaktions­chefin des Bildbands, Erika Sigrüner, und Bürgermeis­ter Dieter Krattenmac­her sind sich einig: „Die Beiträge der in Kißlegg lebenden und arbeitende­n profession­ellen Fotografen haben eine bisher nicht gekannte Qualität ermöglicht."

Der Bildband kostet 15 Euro und wird von Tanja Laufer-Meßmer von der Bücherstub­e Kißlegg im Gemeindege­biet ausgeliefe­rt. Bestellung­en nimmt sie telefonisc­h unter Tel. 07563 / 2833 oder unter www.buecherstu­bekisslegg entgegen.

Der Fotograf Stefan Kuhn zeigt im Rahmen von „Artist in Residence 2020“im Neuen Schloss Kißlegg sein künstleris­ches Projekt, die Serie „Lakeshore Operations“. Geplant ist dies ab 14. Juli. Für das Kunstproje­kt hat Kuhn Seen aus dem Kißlegger Umland aus der Vogelpersp­ektive fotografie­rt und die einzelnen Bilder neu arrangiert.

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FOTO: PADDY SCHMITT Der Blick über den Zellersee auf Kißlegg: Diese Aufnahme ist auf dem Titel des Bildbands zu sehen.

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