Nach fünf Wochen Grenzkontrollen „hat sich viel eingespielt“
Die Bundespolizei überprüft Autofahrer auf der A 96 bei Hörbranz – Der Warenverkehr hat freie Fahrt
LINDAU - Seit 25 Jahren durfte der Verkehr zwischen Österreich und Deutschland frei fließen, doch seit knapp fünf Wochen durchlaufen Reisende wieder Kontrollprozeduren an improvisierten Polizeiposten. Die meisten nehmen es gelassen
Die Autobahn gehört zur Zeit vor allem den Brummis. „Der Warenverkehr soll ungehindert fließen“, lautet die Devise in Zeiten der Corona-Pandemie. Deutlich spürbar ist dies an der deutsch-österreichischen Grenze auf der A 96 bei Hörbranz, wo der Verkehr seit fast fünf Wochen wieder kontrolliert wird: Während Beamte der deutschen Bundespolizei an ihrer improvibei sierten Grenzstation jeden Personenwagen einzeln stoppen, rollen hinter ihren Rücken kolonnenweise Lastzüge vorbei. Die Polizisten verrichten hier, nahe der Autobahnabfahrt Lindau, einen lauten, staubigen und ausgesetzten Dienst – der fast schon zur Routine geworden ist.
25 Jahre ist es her, dass Reisende, die aus dem Pfändertunnel kamen, Einfahrt in die Bundesrepublik ihre Ausweise zeigen mussten. Eine Grenzstation gibt es bei Hörbranz längst nicht mehr, für die Kontrollen musste der Staat jetzt also improvisieren: Mitten auf der Autobahn ist eine Art langgezogene Insel markiert, hunderte Meter davor trennen gelbe Linien auf der Fahrbahn den Strom in Lkw und Pkw. In zwei Kolonnen passieren sie die Beamten, abgebremst durch Schikanen auf der Straße.
Während die Lastzüge kurz dahinter wieder Gas geben, rollen Autos im Schritttempo auf Polizeibeamte zu, die sie im Abstand mit knappen Gesten zum Stoppen auffordern. Hände reichen Ausweise durch die halb geöffneten Fenster, manche schieben eine Pendlerbescheinigung nach. Freundlich, aber bestimmt, fragen die Beamten nach Grund und Ziel der Fahrt, gleichen die Dokumente ab. Die meisten Autos winken sie gleich weiter.
Die Infrastruktur auf der Kontrollinsel stellt sich bescheiden dar: Das Technische Hilfswerk hat an der nahen Straßenbrücke eine Beleuchtung für die Nachtstunden montiert. Unter einem Pavillon stehen zwei Bierbänke, die Gerätschaften zur digitalen Ausweiskontrolle sind in einem Container untergebracht. Hier lagern außerdem braune Papiertüten mit Proviant für die etwa zehn Polizistinnen und Polizisten, die jeweils für Zwölf-StundenSchichten eingeteilt sind.
„Der Pendlerverkehr hat sich inzwischen eingespielt“, sagt René Kraske. Der Polizeihauptkommissar arbeitet normalerweise am Münchner Flughafen. Jetzt vergleicht er Personalausweise mit Pendlerbescheinigungen, auf denen Name, Arbeitsstelle und Wohnort notiert sind, bestätigt durch die Unterschrift des Arbeitgebers. Wer kein solches Schriftstück vorweisen kann, muss einen anderen „dringenden Grund“zum Grenzübertritt nennen, sagt die geltende Verordnung. Nach anfänglichen Unklarheiten seien diese Gründe inzwischen recht gut definiert, sagt Kraske.
Eine dunkelhaarige Frau in ihrem Bregenzer Auto hält vor einer Polizistin an und kurbelt die Scheibe runter. „Ich muss zu meinem Pferd“, sagt sie. Tatsächlich kann sie belegen, dass sie ihr Tier in einem Stall im deutschen Grenzgebiet versorgen muss. Nicht ganz so eindeutig ist das Durchfahrtsrecht eines Bestatters aus Bosnien. René Kraske winkt den Lieferwagen auf die schmale, mit Baken markierte Fahrbahninsel. Die Grenzer studieren die Papiere und telefonieren dann mit Vorgesetzten. Etwa zehn Minuten später ist die Lage klar. Der Fahrer hatte die deutsche Autobahn als Abkürzung gewählt. Das ist ihm nicht gestattet, er muss zurück und über Tirol fahren.
Weder Stau noch Wartezeiten bilden sich an diesem frühen Abend. Handwerker aus den Landkreisen Ravensburg und Lindau fahren in Lieferwagen von ihren Baustellen heim, sie belegen mit Auftragspapieren, dass sie geschäftlich unterwegs sind. Auch drei Cabrios mit FNKennzeichen passieren den Posten. In einige Autos reichen die Polizisten ein Informationsblatt hinein. Es klärt über die zweiwöchige Quarantäne auf, in die sich Einreisende begeben sollen, die nicht als Berufspendler unterwegs sind.
Auf der österreichischen Seite ist die Gesundheitsbehörde, in diesem Fall die Bezirkshauptmannschaft, schon an der Grenzstation vor Ort. Hier treten gleich zwei Beamte an die Fahrzeuge: Polizisten für die sogenannte Sichtkontrolle von Fahrzeug und Fahrzeugführer, während ein Vertreter der Bezirkshauptmannschaft sich Ausweis und Pendlerbescheinigung geben lässt. Einigen Autofahrern hält der Beamte ein
Klemmbrett entgegen. Das aufgelegte Formular ist einerseits für Durchreisende, etwa in die Schweiz, bestimmt. Sie bestätigen per Unterschrift, dass sie Österreich ohne Zwischenstopp passieren. Zur zweiwöchigen Quarantäne verpflichten sich auf dem Zettel diejenigen, die von Deutschland her zu ihren Wohnsitz in Österreich zurückkehren, aber keine Pendler sind.
„Wir schauen, dass der Verkehr fließt“, sagt Christian Tschütscher, Abteilungsinspektor von der Landesverkehrsabteilung der Vorarlberger Polizei. Tschütscher war noch ein Kind, als Grenzkontrollen in Hörbranz zum Alltag gehörten. Jetzt steht er an der Tankstelle der neuen Raststätte Hörbranz. Drei Spuren sind abgeteilt für die Kontrollarbeit von Polizei und Gesundheitsbeamten, denen Soldaten des Bundesheers assistieren.
„Inzwischen hat sich viel eingespielt“, sagt Tschütscher. Anfangs musste für schwierige Situationen eine Lösung gefunden werden. So habe die Übergabe von Kindern getrennt lebender Eltern teils an der Grenzstation stattgefunden. Inzwischen seien auch die meisten Härtefälle geregelt. Zwar gebe es noch immer einzelne, die glauben, zum Einkaufen oder Spazierengehen nach Österreich fahren zu können. Die Zahl der täglich zurückgewiesenen Fahrzeuge bleibt aber meist unter einem Dutzend.
Verglichen mit den deutschen Kollegen, haben es die österreichischen Grenzer komfortabel: Die Tankstellenüberdachung bietet ihnen Schutz, vom donnernden Schwerverkehr sind sie abgeschirmt. Ihre Klientel ist ihnen inzwischen recht vertraut: Es sind vor allem Pendler und Kleinunternehmer wie ein Handwerker aus Scheidegg, der im Nachbardorf Möggers einen Auftrag erledigt – und dafür den Umweg über Hörbranz in Kauf nimmt.