„Die Menschen sind verunsichert, manche verzweifelt“
SZ-Serie über Menschen in jetzt wieder mehr wertgeschätzten Berufen – Heute: Apothekerin Jenny Hsieh-Ehrhardt
WANGEN (bee) - Busfahrer, Verkaufspersonal, Pflegekräfte: In der Corona-Krise sind die sogenannten „systemrelevanten“, also besonders wichtigen Berufe in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Jobs, die vergleichsweise oft weniger gut bezahlt sind und die in „normalen“Zeiten teilweise um Anerkennung in der Öffentlichkeit kämpfen müssen. In der aktuellen Ausnahmesituation werden die Menschen hinter diesen Berufsbildern aber als wichtig für die Gesellschaft wiederentdeckt, bekommen für ihren Einsatz von allen Seiten Applaus, werden plötzlich wertgeschätzt und manchmal sogar als „Helden des Alltags“dargestellt. Die „Schwäbische Zeitung“hat mit Frauen und Männern gesprochen, die auch mit ihrer Tätigkeit das „System“in der Region Wangen aufrecht erhalten. Obwohl sie wegen des ständigen Kontakts zu anderen mit der Gefahr leben, sich selbst anzustecken. Heute: Apothekerin Dr. Jenny Hsieh-Ehrhardt.
Einen Impfstoff gegen das CoronaVirus gibt es bislang nicht. Und so versuchen die Menschen, sich irgendwie anders vor der lebensgefährlichen Lungenkrankheit Covid-19 zu schützen. Beim Kontakt mit ihren Kunden, sei es persönlich oder über das Telefon, bekommt dies Apothekerin Jenny Hsieh-Ehrhardt tagtäglich zu spüren. „Die Leute kaufen seit ein paar Wochen anders ein, sie sind verunsichert, manche sogar verzweifelt“, sagt die Inhaberin der Wangener Rochus-Apotheke. Sie hatte zum 1. März die Apotheke übernommen, quasi kurz vor Beginn der Pandemie in Deutschland.
Ganz am Anfang der Corona-Krise seien Handdesinfektionsmittel und Atemmasken gefragt gewesen, die dann aber bald ausverkauft waren. „Den Leute war es in dieser Zeit aber noch recht egal, ob irgendeine Abstandsregel eingehalten wird oder nicht“, erinnert sich die Apothekerin. Und weil in eine Apotheke naturgemäß viele Kranke kommen, wurden zum Schutz der Beschäftigten bald Plexiglasscheiben an den Verkaufstheken angebracht. Mittlerweile trage das Personal Mundschutz, so Ehrhardt, außerdem setze man auf häufiges Händewaschen und Desinfizieren. „Wir gehen seit einiger Zeit beispielsweise wegen einer Kosmetikberatung auch nicht mehr zu Kunden an den Auslagen raus und bleiben hinter der Scheibe.“
Dafür habe die Arbeit im sogenannten „Backoffice“, also im Büro hinter dem Verkaufsraum, stark zugenommen. „Ich hänge manchmal nur noch am Telefon und versuche verzweifelt, Impfstoffe oder Mundschutz irgendwo her zu bekommen“, berichtet die Apothekerin. Viele Leute würden nach Desinfektionsmitteln, Atemschutzmasken oder Fieberthermometern fragen, und viele wollten ihre Dauermedikation geliefert bekommen. „Vor allem Ältere können oder wollen ihr Haus nicht verlassen, da spüre ich schon eine gewisse Panik.“
Die allgemeine Verunsicherung mache sich auch anderweitig bemerkbar, wie Hsieh-Ehrhardt sagt. Als beispielsweise ein Malaria-Medikament mit dem Wirkstoff Chloroquin als vielversprechende Therapieoption gepriesen wurde und plötzlich viele Menschen mit Rezepten in der Apotheke aufgetaucht seien. Oder als es hieß, dass eine Impfung gegen Pneumokokken das Risiko einer Lungenentzündung reduziere und der Impfstoff daraufhin bald nicht mehr allgemein verfügbar gewesen sei.
Auch die Corona-Ausnahmeregelungen für Apotheken sieht Jenny Hsieh-Ehrhardt kritisch. Rezepte könnten plötzlich anders abgerechnet werden. Und Desinfektionsmittel könnten die Apotheken – falls der Rohstoff Alkohol verfügbar ist – nun kurzfristig selbst herstellen, was zuvor nicht möglich gewesen sei. „Das ist zwar alles gut, aber es weckt auch Zweifel, ob die zuvor geltende Auflagen und die Bürokratie so sinnvoll sind“, so die Apothekerin.
Dankbar, aber auch etwas zwiespältig ist Hsieh-Ehrhardt auch bei den aktuell zumeist positiven Reaktionen der Kunden in der CoronaKrise. „Ich glaube, vielen Leuten ist in normalen Zeiten gar nicht so richtig bewusst, dass die Apotheken vor Ort die Versorgung mit Medikamenten aufrecht erhalten, mit allem was dazugehört, beispielsweise Notdienste“, sagt die 37-Jährige. Und wenn dann mal nicht „Corona“sei, dann würden viele Menschen ihre Medikamente doch wieder online bestellen. „Deshalb nervt mich ein wenig auch, wenn wir aktuell super sind und als Helden dargestellt werden.“Also kein „Alltagsheld“, Frau Hsieh-Ehrhardt? „Ich habe gar keine Zeit, mich so zu fühlen“, antwortet sie lachend.
Kennen Sie einen Menschen in einem systemrelevanten Beruf, dessen Arbeit Sie in Corona-Zeiten wieder mehr wertschätzen? Dann geben Sie uns Bescheid und mailen uns Ihren Vorschlag: