Schwäbische Zeitung (Wangen)

Guter Fernunterr­icht ist Glückssach­e

Verbände fordern digitalen Aufbruch an den Schulen – Sorge um Bildungsge­rechtigkei­t

- Von Kara Ballarin

STUTTGART - Nur etwa jeder fünfte Schüler darf ab Montag in BadenWürtt­emberg wieder zur Schule. Für die große Mehrheit der 1,5 Millionen Schüler im Südwesten geht der Fernunterr­icht weiter. Wie gut der läuft, hängt von vielen Faktoren ab: vom Elternhaus, von den Lehrern, aber auch von der digitalen Ausstattun­g. Bei letzterer erhöht eine Initiative aus Bildungsve­rbänden nun den Druck auf die Landesregi­erung.

Carsten Rees, oberster Elternvert­reter im Land, findet klare Worte. „Wie viele Jahre wurde die Digitalisi­erung verschlafe­n vom Ministeriu­m? Es ist ein Offenbarun­gseid der Unfähigkei­t der Landesregi­erung, den jetzt alle sehen.“Einiges hat sich getan, seit die Schulen wegen der Corona-Krise Mitte März geschlosse­n wurden. Die Schulen haben vom Kultusmini­sterium die Lernplattf­orm Moodle zur Verfügung gestellt bekommen. Der Messengerd­ienst Threema wird nun für alle Lehrer freigescha­ltet.

Dennoch: Beim digitalen Lernen gibt es im Land massive Defizite, andere Länder sind Deutschlan­d um zehn Jahre voraus. Davon ist eine Gruppe von Bildungsve­rbänden überzeugt. Der Verein für Gemeinscha­ftsschulen, der Berufsschu­llehrerver­band, die Bildungsge­werkschaft GEW, der Grundschul­verband und der Verband Bildung und Erziehung (VBE) haben sich zusammenge­schlossen, um konkrete Forderunge­n an Kultusmini­sterin Susanne Eisenmann (CDU) zu richten. „Corona zeigt wie unter dem Brennglas, was an den Schulen los ist“, sagt Matthias Wagner-Uhl, Vorsitzend­er des Vereins für Gemeinscha­ftsschulen, und spricht von ei‚nem „schulische­n Digitalent­wicklungsl­and“.

Die Initiative fordert eine GrundDigit­alisierung der Schulen im Land bis zu den Sommerferi­en 2021 – etwa mit leistungsf­ähigen Lan-Anschlüsse­n und Wlan – und die Einrichtun­g eines Digitalisi­erungsbeir­ats unter Beteiligun­g der Verbände. Zwar gebe es Geld aus dem fünf Milliarden schweren Digitalpak­t für Schulen des Bundes. Um an die Gelder zu kommen, müssen die Schulen aber Medienentw­icklungspl­äne schreiben. Das Prozedere müsse entbürokra­tisiert werden, forderte Thomas Speck, Vorsitzend­er des Berufsschu­llehrerver­bands. GEW-Chefin Doro Moritz mahnte an, die Lehrer für den Umgang mit digitalen Methoden fit zu machen.

Zum Forderungs­katalog der Initiative gehört auch ein Tablet für jeden Lehrer und jeden Schüler. All das diene auch der Bildungsge­rechtigkei­t, so die Vertreter der Initiative. Um die machen sich auch die Schüler

große Sorgen. Nicht jeder habe zu Hause Zugang zu einem digitalen Endgerät oder zu schnellem Internet, erklärt der oberste Schülerver­treter im Land, Leandro Karst. Einen Unterschie­d mache es auch, ob ein Schüler Rückzugsmö­glichkeite­n zum ruhigen Lernen habe – oder nicht. Sein Fazit: „Die aktuelle Situation offenbart die bestehende Ungerechti­gkeit im Bildungssy­stem.“

Zumindest bezüglich digitaler Endgeräte gibt es Hoffnung. Der Koalitions­ausschuss

Lange schon setzt sich die „Elterninit­iative G9 jetzt!“für eine Rückkehr zum neunjährig­en Gymnasium auch in Baden-Württember­g ein. Die meisten anderen Bundesländ­er wie Bayern sind diesen Schritt zurück vom Abi in acht Jahren bereits gegangen. Mit ihren Mitstreite­rn hat Corinna Fellner aus Amtzell im Kreis Ravensburg eine Petition gestartet und bis April gut 38 000 Unterschri­ften gesammelt. „Aktuell treten – als Folge der Schulschli­eßungen – die gravierend­en Auswirkung­en des G8 noch deutlicher zu Tage“, so Fellner. Deshalb wurde die Petition nun erneut geöffnet. Der Philologen­verband,

aus Union und SPD im Bund hat 500 Millionen Euro dafür in Aussicht gestellt – 65 Millionen davon erwartet Eisenmann für Baden-Württember­g.

„Die Verhandlun­gen führen wir derzeit mit Hochdruck, um unbürokrat­isch und so rasch wie möglich die Finanzmitt­el den Schulträge­rn und Schulen zukommen zu lassen.“Schüler sollen sich etwa an der Schule Tablets für zu Hause ausleihen können.

der die Gymnasiall­ehrer vertritt, unterstütz­t die Forderung nach G9. Er fordert eine „sofortige Umstellung der Gymnasien für die Klassenstu­fen 5 bis 10 von G8 auf G9, um so allen Schulkinde­rn ein zusätzlich­es Jahr Zeit zu verschaffe­n.“65 Schülerver­treter haben derweil am Montag angekündig­t, gegen das Land zu klagen, sollte es an den Prüfungen festhalten. Diese seien in den aktuellen Zeiten unzumutbar. Abschlussn­oten sollten aus den vor Beginn der Pandemie erbrachten Leistungen gebildet werden, schlug die Initiative „Abschluss umdenken“vor. (kab/lsw)

Ein Flickentep­pich ist bislang nicht nur die Ausstattun­g, sondern auch die Art des Fernunterr­ichts. Manche Schulen wie die Gemeinscha­ftsschule in Wutösching­en hat den Unterricht praktisch eins zu eins ins digitale Klassenzim­mer verlagert. Schülerver­treter Karst sagte, es sei Glückssach­e, in welche Schule man gehe. Und offenbar auch, welchen Lehrer man hat. Darauf verweist Elternvert­reter Rees. „Mindestens 20 Prozent der Lehrer sind abgetaucht. Zum Teil decken das die Schulleite­r“, beklagt er. „Das Ministeriu­m ist nicht in der Lage, die Disziplin und die Arbeitsber­eitschaft der Lehrer sicherzust­ellen. Der Kultusverw­altung entgleitet die Situation zunehmend.“

Tatsächlic­h hat die Kultusmini­sterin keine Regeln aufgestell­t, wie der Fernunterr­icht zu laufen hat. „Das haben wir bewusst offen gelassen, damit die Schulen angesichts der aktuellen Ausnahmesi­tuation nach eigenen Gesichtspu­nkten und Bedürfniss­en agieren können“, erklärt eine Sprecherin Eisenmanns. Wenn die Schulen am Montag teilweise wieder öffnen, soll es aber Präsenzunt­erricht für die Schüler geben, die bislang nicht erreicht wurden. Und die Schulbehör­den sollen nun prüfen, wie an den einzelnen Schulen der Fernunterr­icht gelingt.

 ?? FOTO: MARIJAN MURAT/DPA ?? Für den Fernunterr­icht koönnteenn­ddieieSScc­hhuulelenn­imimSSüüdd­wweesstete­nnddieiePP­lalatttfof­ormrmM„Mooodoldel­ev“ervweerwnd­eennde–nd–iedQieuQal­uitaältitä­utntuenrts­ecrhsecihd­eitdet sich von Schule zu Schule offenbar stark.
FOTO: MARIJAN MURAT/DPA Für den Fernunterr­icht koönnteenn­ddieieSScc­hhuulelenn­imimSSüüdd­wweesstete­nnddieiePP­lalatttfof­ormrmM„Mooodoldel­ev“ervweerwnd­eennde–nd–iedQieuQal­uitaältitä­utntuenrts­ecrhsecihd­eitdet sich von Schule zu Schule offenbar stark.

Newspapers in German

Newspapers from Germany