„Meine Mutter hat fürchterlich gelitten. Und sie hat verziehen.“
RAVENSBURG - Lola Garvin, (78, Foto: privat) lebt auf Jersey und hatte die nun abgesagte Gedenkfeier mitorganisiert. Als sie 1942 mit ihren Eltern nach Wurzach deportiert wurde, war sie selbst noch ein Baby. Dennoch hat diese Zeit ihr weiteres Leben sehr belastet. Am Telefon hat sie mit Katja Waizenegger darüber gesprochen, warum sie nun den Partnerschaftsverein auf Jersey leitet.
Zuerst die derzeit drängende Frage: Wie geht es den Menschen auf Jersey in Corona-Zeiten?
Nun, wir dürfen zwei Stunden am Tag nach draußen, Einkäufe machen, die Hunde spazieren führen. Das ist in Ordnung. Diejenigen, die mit Kindern in kleinen Wohnungen leben, die leiden am meisten. Bislang sind fast 300 Menschen erkrankt, 19 sind verstorben. Auf dem Fußballplatz wurde nun ein Feldlazarett errichtet für die Zeit, wenn wir uns wieder öffnen. Denn dann rechnet man wieder mit mehr Fällen.
Sie waren ein Baby von acht Monaten, als Sie 1942 mit Ihren Eltern im Wurzacher Schloss interniert wurden. Was haben Ihre Eltern Ihnen später über diese Zeit erzählt?
Ich habe mit vielen ehemaligen Internierten gesprochen, und es war bei allen gleich: Unsere Eltern haben am meisten unter der Situation gelitten. Meine Eltern haben von dem Tag erzählt, als sie mit einem Koffer und warmen Kleidern an den Hafen von St. Helier zur Verschiffung antreten mussten, aber über die Zeit in Deutschland haben sie nicht viel gesprochen. Sie wollten vergessen.
Was hat Ihren Eltern am meisten zugesetzt?
Die Gefangenschaft mit so vielen Menschen in einem Raum. Es gab keine Privatsphäre, viele Frauen mit ihren Kindern waren in einem großen Schlafsaal untergebracht, mein Vater separat mit den anderen Männern. Wissen Sie, mein Vater war ein talentierter Musiker. Er spielte Kontrabass bei den Londoner Philharmonikern. Meine Mutter war Sprachlehrerin, sie liebte Literatur. Beide waren sie sensible Menschen. Und deshalb hat ihnen die Situation im Schloss vielleicht auch mehr zugesetzt als anderen. Meine Mutter wurde krank, litt unter Depressionen, mein Vater starb zehn Jahre nach seiner Rückkehr.
Wann gab es nach der Rückkehr der Internierten die ersten Annäherungsversuche mit Wurzach?
Auf privater Ebene gab es ein paar Kontakte, aber den ersten offiziellen Schüleraustausch organisierte der Wurzacher Realschullehrer Hermann Bilgeri 1972. Meine Mutter reiste 1974 mit einer Gruppe nach Wurzach – und hat mir später erzählt, dass sie den ganzen Tag nur geweint habe.
Und dennoch sind Sie selbst auch dorthin gereist. Warum?
Es hat eine Weile gedauert. 2005 habe ich mich mehr aus Neugier einer Reisegruppe angeschlossen. Und dann war es so eine wunderbare Erfahrung, diese freundlichen und warmherzigen Menschen zu treffen. Es hat mich tief berührt zu sehen, wie die Menschen in Bad Wurzach versuchten, das Unrecht von damals wieder gutzumachen. Ich bin dem Partnerschaftsverein beigetreten, wurde dessen Schatzmeisterin, und nun habe ich dieses Treffen organisiert, das nun leider nicht stattfinden kann.
Konnten Sie den Deutschen vergeben?
Absolut! Selbst meine Mutter, die fließend Deutsch sprach und die deutsche Kultur so geliebt hat. Noch vor dem Krieg war sie in Berlin und München. Sie hat fürchterlich gelitten im Lager. Und sie hat verziehen.