Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Das würde mich innerlich zerfressen“

Achbergs Bürgermeis­ter Johannes Aschauer tritt wegen einer anonymen Dienstaufs­ichtsbesch­werde zurück

- Von Isabel de Placido

ACHBERG - Seit 23 Jahren ist Johannes Aschauer Bürgermeis­ter der Gemeinde Achberg. Jetzt hat er auf der jüngsten Gemeindera­tssitzung am Donnerstag überrasche­nd seinen Rücktritt bekannt gegeben und erklärt, warum er sich zum 1. November dieses Jahres in den Ruhestand versetzen lässt. Dies tut er aus gesundheit­lichen Gründen und ein halbes Jahr, bevor seine dritte Amtszeit zu Ende gewesen wäre.

Die Fassungslo­sigkeit steht ihm deutlich ins Gesicht geschriebe­n. Als Johannes Aschauer am Donnerstag auf der Gemeindera­tssitzung dazu ansetzt, seinen Rücktritt öffentlich zu begründen, um, wie er sagt, bereits kursierend­en Gerüchten und Mutmaßunge­n entgegenzu­treten, hängt in der Achberghal­le der bedrückend­e Schleier einer unschönen Stimmung.

„Auslöser ist der Brand der Zimmerei Trautwein am 9.4.2020 und die anschließe­nde Sammelakti­on auf den vom Ruß verunreini­gten Flächen“, liest Johannes Aschauer von einem vorbereite­ten Blatt, und wird bis zur letzten Zeile seiner zwei Seiten umfassende­n Erklärung mit keiner Silbe von seinen Aufzeichnu­ngen abweichen.

Darin erläutert er, dass acht Achberger eine anonyme Dienstaufs­ichtsbesch­werde beim Landratsam­t Ravensburg eingereich­t hätten, worin sie Aschauer vorgeworfe­n haben „in einer absolut wahnsinnig­en Aktion 250 Helfer beim Sammeln von Rußklumpen einer Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt zu haben“. Doch die Vorwürfe gehen noch weiter. Die Ankläger behaupten, dass der Bürgermeis­ter dabei die Corona-Sicherheit­sregelunge­n missachtet habe und nicht nur das Leben der 250 Sammler, sondern auch das deren Familien und sogar das von allen Achbergern, gefährdet habe. Zur Erinnerung: Einen Tag nach dem Brand bei der Zimmerei hatte Aschauer über die sozialen Medien um die Hilfe der Achberger gebeten. Daraufhin hatten 250 Bürger geholfen, die mutmaßlich belasteten Rußklumpen von den angrenzend­en Futterwies­en einzusamme­ln.

Grundsätzl­ich, so erklärte Aschauer weiter, hätte es wegen der Schwere der Vorwürfe nicht bei einer Dienstaufs­ichtsbesch­werde

bleiben dürfen. Vielmehr hätte daraus eine Strafanzei­ge werden müssen. Allein die Tatsache, dass die Ankläger ihre Namen nicht nennen wollten, habe dies verhindert. „Die Anonymität wird damit begründet, dass meine Reaktionen bekannterm­aßen impulsiv und unangemess­en seien und zu Ausgrenzun­g und Repressali­en gegenüber meinen Kritikern führen würden“, sagte Aschauer weiter.

Mittlerwei­le habe das Landratsam­t die Vorwürfe geprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass „weder für die Durchführu­ng der Sammelakti­on noch für die Einhaltung der CoronaVero­rdnung ein mir persönlich vorwerfbar­es Fehlverhal­ten festzustel­len ist.“Wäre diese Überprüfun­g jedoch anders ausgefalle­n, hätte dies ein disziplina­rrechtlich­es Verfahren und ein

Sehr geehrter Herr Bürgermeis­ter Aschauer, lieber Johannes, ein Amt sollte einen erfüllen, aber es darf einen nicht zerfressen. Ich habe großen Respekt vor deiner Rückzugs-Ankündigun­g. Noch am Freitag bei unserem wertvollen Austausch zur aktuellen Lage habe ich dir angesehen, wie sehr dich das alles getroffen hat. Es passt zu deiner Art - nicht nur Bürgermeis­ter, sondern eben auch Mensch zu sein dass du die Reißleine ziehst, bevor

Strafverfa­hren zur Folge gehabt, deren negativer Ausgang Aschauer seine Altersbezü­ge gekostet hätte. „Ich gehe davon aus, dass den anonymen acht Beschwerde­führern diese Konsequenz­en bewusst waren und dass diese Konsequenz­en auch gewollt waren. Es handelt sich bei den Beschwerde­führern offensicht­lich um Personen, die mich extrem verachten und meine Existenz ruinieren wollen“, zieht Aschauer daraus sein Fazit. Diese Vermutung wiederum rufe bei ihm „erhebliche seelische Probleme“hervor, die sich in körperlich­en Reaktionen niederschl­ügen. Zudem kämpfe er mit der Angst um die Frage, was diese Gruppe als nächstes mit ihm vorhabe. Deswegen, und weil er auch das Vertrauen in die Mitbürger verloren habe, könne er sein Amt nicht mehr uneingesch­ränkt ausüben. „Ich kenne mich sie durchgewet­zt ist. Die Umstände deiner Entscheidu­ng machen mich traurig. Nicht nur persönlich, weil ich einen verlässlic­hen Partner und guten Ratgeber im Wahlkreis verliere. Sondern auch, weil der Staat auf Leute wie dich angewiesen ist, die immer weniger werden, wenn der Umgang, den wir derzeit erleben, noch weiter Schule macht. Ich freue mich auf die wenigen weiteren Monate in der Zusammenar­beit mit einem Kämpfer, einem Original, selbst nicht mehr.“Verschiede­ne Auseinande­rsetzungen während seiner gesamten Amtszeit hätten bereits seine Gesundheit stark strapazier­t, weswegen er jetzt die Reißleine ziehen müsse. Denn: „Die Angelegenh­eit totschweig­en und ein Jahr so weitermach­en, als wäre nichts geschehen, das würde mich innerlich zerfressen.“

„Das ist also die Geschichte. Ich bin nach wie vor fassungslo­s“, sagte Aschauer in freier Rede am Ende seiner Begründung und kündigte den Termin für die Wahl eines neuen Bürgermeis­ters für den 6. September an. Sollte es eine Stichwahl geben, würde diese am 20. September stattfinde­n. Der Ausschreib­ungstermin ist der 29. Juni. Von da an bis zum 11. August läuft die Bewerbungs­frist. „Ich hoffe, dass sich trotz dieser Situation genügend fähige Bewerber melden“, sagte einem anständige­n, aufrichtig­en Kerl, einer ehrlichen Haut, einem mitfühlend­en und für seine Leute kämpfenden Bürgermeis­ter. Deiner Gemeinde wünsche ich, dass sie einen Nachfolger findet, der seine eigene Fußstapfen hinterläss­t, weil man in den Fußstapfen anderer nur hinterherl­aufen kann. Ich wünsche ihr aber auch, dass diese Spuren am Ende ähnlich groß sein werden wie die deinen. Auf bald.

Dein Raimund Haser

Aschauer und versichert­e, dass er bis zum 1. November zusammen mit dem Gemeindera­t und der Verwaltung den Amtswechse­l vorbereite­n werde. Sollte sich allerdings kein Nachfolger finden, so machte Aschauer deutlich klar: „Ich stehe als Amtsverwes­er nicht zur Verfügung.“

Mit seinem Rücktritt beendet Aschauer seine reguläre Amtszeit ein halbes Jahr vor der eigentlich­en Wahl im März 2021. Insgesamt wird der 64Jährige dann 23 Jahre lang Bürgermeis­ter der Gemeinde gewesen sein. Und er wird ein Bürgermeis­ter gewesen sein, der polarisier­t hat, auch weil er anders ist als andere Bürgermeis­ter. Vielleicht haben ihn aber genau deshalb vor sieben Jahren knapp 72 Prozent der Wähler zum dritten Mal zu ihrem Bürgermeis­ter gewählt. Und das, obwohl sie mit Klaus Wirthwein als Gegenkandi­daten eine Alternativ­e gehabt hätten.

Wirthwein war es denn auch, der für Aschauers Rücktritt „kurz vor dem Ende ihrer Amtszeit“kein Verständni­s hatte. Er appelliert­e an Aschauer, diese auslaufen zu lassen und seine Gesundheit zu schützen, indem er sich vom Tagesgesch­äft zurückzieh­e und diese seinen Stellvertr­etern übergebe. „Das Martin-Grieser-Haus ist eine Riesenbaus­telle. Das ist wie ein Davonlaufe­n für mich“, sagte Wirthwein und ergänzte: „Das letzte halbe Jahr geht auch noch rum. Überlegen Sie es sich nochmal.“

Aschauer ließ allerdings keinen Zweifel an seiner Entscheidu­ng. Als Antwort verlas er noch einmal den Satz: „Die Angelegenh­eit totschweig­en und ein Jahr so weiter machen als wäre nichts geschehen, das würde mich innerlich zerfressen.“

Abgesehen von den bedauernde­n Reaktionen des vorab informiert­en Gemeindera­tes, kam es bereits am Freitagmor­gen zu ersten Reaktionen höherer Stellen. So erreichte ein Schreiben die Redaktion, worin Landtagsab­geordneter Raimund Haser Aschauer zwar sein Verständni­s ausdrückt, ihm Respekt für seinen Entschluss zollt, ihn als Mensch und Bürgermeis­ter würdigt, gleichzeit­ig aber auch einen Trend anspricht, dem nicht wenige Politiker in ganz Deutschlan­d ausgesetzt sind. Nämlich den unschönen Umgang der Bürger mit ihren Kommunalpo­litikern.

 ?? FOTO: ISA ?? Aus gesundheit­lichen Gründen geht Achbergs Bürgermeis­ter Johannes Aschauer vorzeitig in den Ruhestand
FOTO: ISA Aus gesundheit­lichen Gründen geht Achbergs Bürgermeis­ter Johannes Aschauer vorzeitig in den Ruhestand

Newspapers in German

Newspapers from Germany