„Neue Normalität“an Krankenhäusern
Im Klinikverbund Allgäu wird der Regelbetrieb jetzt wieder hochgefahren
ALLGÄU - Keine planbaren Eingriffe mehr, keine Besucher, mehr Intensivbetten, Stationsumzüge, die Schließung von Schmerz-Tageskliniken und vieles mehr: Die Corona-Krise hat den Alltag an den Krankenhäusern in der Region stark verändert. Knapp 60 Prozent der Bettenkapazitäten sollten am Klinikverbund Allgäu für Corona-Patienten frei gehalten werden. Der Verbund, zu dem die Häuser in Kempten, Immenstadt, Oberstdorf, Sonthofen, Ottobeuren und Mindelheim gehören, kündigte nun den „Aufbruch in eine neue Normalität“an.
Anfang März wurden noch 901 Patienten in den Häusern des Verbunds betreut, Ende dieses Monats waren es lediglich 442. Damals wurden dort 23 Corona-Patienten behandelt – eine geringere Zahl als befürchtet. Daher hat der Verbund Ende März beschlossen, die Regelversorgung Schritt für Schritt wieder hochzufahren. Vor einer Woche waren 706 Betten belegt. „Das ist eine Auslastung von 64 Prozent“, sagt Geschäftsführer Michael Osberghaus.
Am Klinikum in Kempten sind mittlerweile wieder sieben Operationssäle in Betrieb. Sie wurden für dringliche Eingriffe geöffnet. Andere Bereiche wie das Kinderwunschzentrum oder Schlaflabore fahren ebenfalls wieder hoch. Im Gegenzug gibt es eine drastische Reduktion der Corona-Bereiche. Waren es Anfang April in Kempten noch 111 Covid-Betten, sind es jetzt nur noch 20. Im gesamten Verbund werden derzeit nur noch fünf Corona-Patienten behandelt.
Alles wie immer, das ist aber noch längst nicht der Fall. „Wir brechen in eine neue Normalität auf“, sagt Aufsichtratsvorsitzender Gebhard Kaiser. Denn die Covid-Bereiche werden zwar verkleinert, bleiben aber weiterhin bestehen und könnten bei Bedarf wieder vergrößert werden. Alle Patienten, Mitarbeiter und Besucher müssen einen Mund-Nasen-Schutz tragen, außerdem muss jeder Patient vor dem Betreten der Kliniken oder Ambulanzen einen Fragebogen ausfüllen. Wie lang das der Fall sein wird, ist noch nicht klar. Langfristig bestehen bleiben werden laut Krankenhaus-Hygieniker Dr. Matthias Sauter aber „räumliche Anpassungen“, etwa dass sich nur noch wenige Menschen in Wartezonen aufhalten dürfen.
Zu den Plänen des Verbundes gehört es auch, Ende dieses Monats die Klinik in Oberstdorf wieder zu eröffnen. Diese wurde vorübergehend geräumt, um Kapazitäten frei zu haben, falls in anderen Häusern die Zahl der Corona-Patienten stark steigt. Für die Zukunft wird überlegt, die Behandlung von Corona-Patienten an zwei Klinikstandorten zu zentrieren. Welche das sein werden, sei aber noch unklar, sagt Gebhard Kaiser. Pläne, die Corona-Patienten an einem
Standort zu konzentrieren, gab es auch am Klinikverbund OstallgäuKaufbeuren. Das ist aber laut Vorstand Andreas Fischer derzeit vom Tisch. Er wartet auf neue gesetzlich Vorgaben und geht davon aus, dass Mitte Mai auch die planbaren Operationen wieder möglich sind. „Wir werden im Laufe der nächsten Woche die Patienten informieren und sie auf ihre Eingriffe vorbereiten“, sagt er.
Auf neue Vorgaben des Gesetzgebers wartet auch Maximilian Mai, Vorstand des Klinikums Memmingen. Er hebt, wie auch die anderen Vertreter der Allgäuer Krankenhäuser, positiv hervor, dass wieder mehr Menschen in die Notaufnahmen kommen – wenn auch noch nicht so viele wie üblich. Die Notaufnahmen waren zwischenzeitlich weit weniger frequentiert als sonst.
Dass wieder mehr Patienten in seine Praxis kommen, sagt auch der Kemptener Versorgungsarzt Lutz Menthel. Auch er hat beobachtet, dass manche Herzinfarkt- oder Blinddarm-Patienten in letzter Zeit zu lange gewartet haben, bis sie sich ärztliche Hilfe holten. „Das hat sich wieder eingespielt“, sagt er. Auch in Hausarztpraxen kehre wieder etwas mehr Normalität ein. Einige Mediziner hatten wegen Corona die Belegschaft in Schichten arbeiten lassen und daher die Sprechzeiten reduziert.
Weiterhin geöffnet, sagt Menthel, bleiben die Infektpraxen in der Region. „Diese jetzt zu schließen, wäre Quatsch“, sagt auch der Memminger
Versorgungsarzt Jan Henrik Sperling. In solchen Praxen werden Patienten untersucht, die sich krank fühlen und glauben, sich mit dem Coronavirus infiziert zu haben. Dieses Angebot dient dazu, um Verdachtsfälle außerhalb der Hausarztpraxen zu untersuchen.