Corona-Krise legt MTG-Erweiterungsbau auf Eis
Wie Wangens größter Sportverein unter der Pandemie leidet und wie die Zukunftsaussichten sind
WANGEN - „MTG bewegt alle“: So steht es auf der aktuellen Broschüre des Wangener Großvereins. Dass dieser Slogan für unbestimmte Zeit einmal ins Gegenteil verkehrt sein würde, hätte sich wohl niemand vorstellen können. Doch das Coronavirus und die damit verbundenen Einschränkungen im privaten wie im öffentlichen Leben sorgen seit Mitte März dafür, dass die rund 4000 Mitglieder das umfangreiche Angebot im Wettkampf-, Freizeit- oder Gesundheitssport nicht in Anspruch nehmen können. Die Pandemie ist zudem ein herber Schlag für das finanzielle Rückgrat der nun bereits 171 Jahre alten Männer-Turn-Gemeinde. Und hat unter anderem zur Folge, dass der geplante Erweiterungsbau hinter der Argenhalle bis auf Weiteres verschoben werden muss. Im SZ-Gespräch äußern sich Geschäftsführer Andreas SchröderQuist und Vorstandssprecher Christoph Bührer zur derzeit angespannten Situation.
Welche Auswirkungen hat „Corona“auf Verwaltung und Sportbetrieb?
Seit dem 16. März hat die MTG Wangen den gesamten Sportbetrieb ausgesetzt, davon betroffen sind auch die Angebote im vereinseigenen Fitnessstudio, der Sportinsel. Ende März wurde auch die Physiotherapie geschlossen, diese hat seit dem 4. Mai jedoch nach Terminabsprache wieder geöffnet. Die hauptamtlichen Mitarbeiter sind in Kurzarbeit, die Telefonzeiten wurden reduziert, das Team arbeitet teilweise aus dem Homeoffice. Den insgesamt etwa 50
Trainern und Übungsleitern hat der Großverein einen Vorschuss angeboten. „Aber keiner hat gesagt, dass er das braucht“, so Bührer. Als Alternative in der Krise bietet die MTG unter dem Stichwort „Wohnzimmerfitness“selbst erstellte Trainingsvideos an – kostenlos auf ihrer Webseite und damit für jeden zugänglich. „Das Angebot wurde mit bisher 7500 Klicks gut angenommen“, berichtet Andreas SchröderQuist. Und bezeichnet die Aktion als „wichtige Maßnahme zur Mitgliederbindung“.
Wie sind die Beiträge und Mitgliederzahlen seit der Krise?
Seit dem März, also erstmals für den Monat April, hat die MTG keine Mitgliedsbeiträge für Sportinsel und Kindersportschule (Kiss) erhoben. Wer wollte, bekam sogar den halben März zurückerstattet, berichtet Schröder-Quist: „Wegen Corona gab es in der Sportinsel auch vereinzelte Austritte, im Großen und Ganzen sind uns die Mitglieder hier aber treu geblieben.“Nachdem die Vereinsführung an die Solidarität der Mitglieder appelliert und zu Spenden aufgerufen hatte, hätten viele auch gesagt, dass man den Sportinseloder Kiss-Beitrag trotzdem einziehen könne, quasi als eine Form der Spende. Bei den Mitgliedszahlen des Gesamtvereins seien die Auswirkungen von „Corona“nicht spürbar, die allermeisten der rund 4000 MTGler hielten dem Verein bislang die Treue. „Dafür sind wir dankbar“, so Bührer und Schröder-Quist.
Mit welchen finanziellen Einschnitten durch die Krise rechnet die MTG?
Die MTG ist seit 2017 schuldenfrei und hat seitdem – vor allem wegen der Gewinne aus der Sportinsel – Rücklagen in sechsstelliger Höhe aufbauen können. Dieses finanzielle Polster wird wegen der Fixkosten und der wegbrechenden Einnahmen mit zunehmender Dauer der Krise immer dünner und dürfte bis spätestens Ende 2020/Anfang 2021 aufgebraucht sein. „Wir haben jeden Monat einen signifikanten Verlust in fünfstelliger Höhe“, sagt der Geschäftsführer. Und Christoph Bührer fügt bildhaft hinzu: „Wenn wir bis Juli geschlossen haben müssen, dann verlieren wir einen Arm, der aber wieder nachwachsen wird. Wenn die starken Einschränkungen bis Jahresende gehen sollten, dann ist der gesundheitliche Schaden wirklich immens.“Auch deshalb, weil bislang niemand sagen könne, wie viel Unterstützung die Abteilungen im Nachgang benötigen, weil heuer Einnahmen von Sponsoren, Spieltagen oder Veranstaltungen wegfallen. Die prominentesten, coronabedingten Absagen betreffen hier zweifelsohne den Altstadtlauf samt Hockete (Leichtathletik) und den Allgäu-Cup der Handballer. Allzu schwarz sehen wollen Bührer und Schröder-Quist jedoch auch nicht: „Wir sind jetzt 171 Jahre alt und werden die Pandemie überstehen, keine Frage. Aber die Verluste werden deutlich und die Einschnitte signifikant sein.“
Gibt es beim Wangener Großverein Hoffnung auf staatliche Unterstützung?
Beim Thema „staatliche Unterstützung für Vereine“sind SchröderQuist und Bührer skeptisch. Das Duo beklagt die fehlende Einigkeit im organisierten Sport in Baden-Württemberg, die verschiedenen Verbände
würden bei der Durchsetzung von Finanzhilfen für Vereine gegenüber der Politik nicht mit einer Stimme sprechen. Mittlerweile gibt es hier Gespräche über mögliche Hilfsgelder, Rettungsschirme oder Soforthilfen. „Da passiert aber nur langsam etwas, und das ist bedenklich“, sagt der MTG-Vorstandssprecher. Und vermisst aktuell die politischen Stimmen, die in guten Zeiten regelmäßig die ehrenamtliche Vereinsarbeit gelobt hätten. „Jetzt, wo es den Vereinen schlecht geht, hört man da nichts mehr. Dabei stecken auch hinter dem Ehrenamt finanzielle Belastungen.“Sicher ist sich Bührer, dass die Corona-Krise die kleineren Vereine zwar zeitversetzt, aber dafür härter treffen wird, weil diese oft keine Rücklagen haben.
Was bedeutet „Corona“für den geplanten MTG-Erweiterungsbau?
Der Zeitplan für den MTG-Erweiterungsbau war exakt getaktet, eine Broschüre bereits fertiggestellt. Die Fachplanung für den Neubau auf der Rückseite der Argensporthalle – mit Gymnastikräumen, Flächen für Gesundheitsund Rehasport, größerer Halle, Bewegungslandschaft sowie einem Verbindungsgang zur Sportinsel – war Mitte März fast abgeschlossen, die Ausschreibung der Gewerke zur genauen Kostenermittlung stand unmittelbar bevor. Wenig später wären Mitglieder, politische Gremien sowie der Vereinsrat informiert worden. Aktuelle Infos zum Stand der Dinge hätte es zudem auf der ordentlichen Generalversammlung am 29. Juni geben sollen. Auf der geplanten „Außerordentlichen“am 22. Juli schließlich hätten die Mitglieder nach den Vergaben die exakten Kosten für das zwischen 3,7 und 4,2 Millionen Euro teure Großprojekt
erfahren, ein positiver Beschluss hätte dann grünes Licht bedeutet. Baubeginn wäre im Herbst 2020 gewesen, die Einweihung spätestens Frühjahr/Mitte 2022. Dann kam „Corona“, und das Projekt wurde Mitte März bis auf Weiteres ausgesetzt. „Als feststand, dass Corona länger dauert, haben wir Mitte April den Vereinsrat informiert“, sagt Christoph Bührer. Der Zeitplan hatte sich spätestens da in Luft aufgelöst. „Wir haben den Erweiterungsbau jetzt komplett auf Eis gelegt, bis wir wissen, wie sich die Lage entwickelt und wie wir aus der Krise herauskommen“, so Bührer weiter. Das Projekt könne erst wieder weitergehen, wenn der Verein finanziell auf dem Stand vom vergangenen März sei. Eine
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erste Standortbestimmung sei im Frühjahr 2021 möglich, deshalb werde sich der Baustart um mindestens zwei Jahre verschieben.
Welche Projekte will die MTG Wangen noch im laufenden Jahr angehen?
Den „Fokus und die Kapazitäten für den Rest des Jahres 2020“wollen Bührer und Schröder-Quist nun ganz auf den Verein und auf „die Bewältigung der Auswirkungen der Corona-Pandemie“legen. Dazu gehört in diesen Tagen die Anschaffung neuer Kraftgeräte in der Sportinsel, verbunden mit einer neuen Trainingssoftware. Außerdem wurde im Kursraum eine neue Musikanlage installiert, diverse Renovierungsarbeiten standen ebenfalls auf dem Programm. „Die Maßnahmen sind eine Investition in die Zukunft und nur möglich durch unsere Rücklagen“, sagt der Geschäftsführer. „Es ist wichtig, dass sich die Mitglieder bei ihrer Rückkehr auch auf etwas freuen können.“Ab dem 18. Mai sollen eingeschränkt auch wieder die ersten Sportkurse im Freien auf der Argeninsel möglich sein. Für diesen Zweck plant der Verein, hinter dem Gebäude in absehbarer Zeit eine zusätzliche Terrasse als Außensportanlage anzulegen. Wann aber die Sportinsel wieder öffnen kann? Wann hier ein wirtschaftlicher Betrieb möglich ist? Und wann überhaupt wieder ein normales Vereinsleben vorstellbar sein könnte? Bei so vielen offenen Fragen sind die MTGVerantwortlichen um ihre Aufgabe nicht zu beneiden.