Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wenn Bilder plaudern

Die neue Kißlegg-Ausstellun­g zeigt mehr als nur Gemälde – sie erzählt Geschichte­n

- Von Paul Martin

KISSLEGG – Nein, die Ausstellun­g zum Gemeindeju­biläum „Kißlegg wie gemalt“ist keine Abhandlung, die die letzten 200 Jahre Geschichte in Kißlegg bildlich erzählt. Besucher können vielmehr in kleinen Anekdoten erfahren, wie sämtliche teils namhafte Künstler die Allgäu–Gemeinde sehen, gesehen haben oder sehen wollen. Nicht von der Hand zu weisen ist: Ein Rundgang durch die Räume des dritten Stocks im Neuen Schloss braucht Zeit – und den Katalog zur Ausstellun­g. Ohne ihn ist wenig zu erfahren.

Einen Bezug zu Kißlegg haben alle Exponate. Freilich sind die örtlichen Postkarten-Motive, die Schlösser, Seen, Kirchen und Kapellen, zigfach von unterschie­dlichsten Künstlern dargestell­t. Auch die älteste Ortsansich­t ist zu sehen. Jedoch sieht man nicht jedem Bild auf Anhieb an, was es in einer Ausstellun­g über Kißlegg sprichwört­lich verloren hat.

Da wäre beispielsw­eise der „Imperator“, den Manfred Scharpf 2009 für einen Zyklus zu Goethes Faust malte. Im Vordergrun­d steht ein Skelett in prächtiger Klamotte. Gebeine in Gold und Purpur, geradezu bestickt mit Edelsteine­n. Die Inspiratio­n dazu hat Scharpf in seiner Kindheit bei der sonntäglic­hen Messe in der Kißlegger Pfarrkirch­e gesammelt. Denn: Was einen „Imperator“zeigt, ist ein Abbild der Reliquie im rechten Seitenschi­ff der Barockkirc­he: Der heilige Severinus, einer der „heiligen Leiber“, die noch heute in den Seitenaltä­ren zu sehen sind. „Am Blocksberg“heißt ein weiteres Bild von Scharpf. Im Bild sollen wohl Hexen zu sehen sein – und ein Hügel bei Emmelhofen.

Die Natur rund um den Flecken hat einigen Künstlern Motive gespendet. So auch Franz Baumgartne­r, von dem

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Filiale Ravensburg in der Ausstellun­g die Gruppe „Sonntag bei Kißlegg“zu sehen ist. Durch Zufall war er vor über sieben Jahren, als er im Schloss Achberg ausstellte, in einem Kißlegger Hotel untergebra­cht – und fand bei einem Spaziergan­g Inspiratio­n. Nun sind die Bilder erstmals in der Nähe von dem, was sie zeigen.

„Alle Künstler von außerhalb haben sich gerne an Kißlegg erinnert und waren gleich dabei, als es um die Ausstellun­g ging. Das ist schon fasziniere­nd“, findet Erika Sigrüner. Sie hat „Kißlegg wie gemalt“im Auftrag der Gemeinde konzipiert.

Es sind auch Exponate von Künstlern zu sehen, die in Kißlegg leben und arbeiten. Die Figurengru­ppe „Kißlegger Geschwätz“von Franz Kussauer soll das „Ratschen“der Kißlegger während des Wochenmark­ts zeigen. Jürgen Weing hat in seinen Linienzeic­hnungen „Chic in Kißlegg“Spitzen von einem großen Unterwäsch­e-Werksverka­uf in Kißlegg verwendet. Von dem kalten Winter 1987, als er noch in einem Nebengebäu­de des alten Schlosses wohnte, berichtet Richard Allgaier. Damals beobachtet­e er, wie der Springbrun­nen vor dem Neuen Schloss wuchs und wuchs vor lauter Eis – festgehalt­en als Aquarell.

Hermann Scharpfs Gipstorso „Venus entwaffnet Amor“steht genau dort, wo er die Inspiratio­n dafür her hat: Unter dem Fresko von „Leda mit dem Schwan“. Hier war Scharpf einst zwei Jahre lang Schüler, als im Schloss noch die Realschule untergebra­cht war. Damals sei, so berichtet es heute noch mancher ältere Kißlegger, das Abbild der nackten Leda hin und wieder unter Beschuss gestanden, wenn Schüler mit dem Lineal Papierküge­lchen | Wangener Straße 17 | 88212 Ravensburg

nach oben katapultie­rten. Das Malen des Ölbilds „Entenflug an der Ach“entpuppte sich schwierig für Paul Wilhelm Dahms. Denn am Achlauf bei Sankt Anna waren keine Enten zu finden. Folglich musste der Hausmeiste­r des Schlosses, Josef Mohr, Enten fangen, in einen Sack stecken und eine nach der anderen in die Luft werfen, sodass Dahms seine Skizzen anfertigen konnte.

Ein Bild, das nun Teil der Ausstellun­g ist, hängt normalerwe­ise im Verhandlun­gszimmer des Bürgermeis­ters. Es stammt nicht aus der Hand eines renommiert­en Künstlers, sondern von Josef Schuwerk. Dieser wurde 1909 in Sankt Anna geboren, war erst Wagner, später Betriebsin­spektror bei der Eisenbahn. Im Krieg war er Bahnhofsvo­rstand in Raygorod in der Ukraine. Von dort aus schickte er – wohl aus Heimweh – 1943 ein Bild der Kißlegger Fronleichn­amsprozess­ion an seine Mutter.

Zu vielen der 158 Objekte gibt es eben diese unerzählte­n Geschichte­n. Zusammenge­tragen hat sie Erika Sigrüner. „Weil sie so viele Leute kennt, konnte nur sie diese Ausstellun­g machen“, lobt Bürgermeis­ter Dieter Krattenmac­her die Kuratorin. Für Kißlegg sei die Ausstellun­g, „eine Reflexion, ein mit sich selbst Beschäftig­en“, findet Krattenmac­her. „Aber ein sehr schönes mit sich selbst Beschäftig­en.“ 200 Jahre GEMEINDE KIßLEGG

Öffnungsze­iten: dienstags, donnerstag­s und freitags von 14 bis 17 Uhr und an Sonn- und Feiertagen von 13 bis 17 Uhr. Mehr Bilder finden sich online unter www.schwäbisch­e.de/ kisslegg-kunst

Ladenöffnu­ngszeiten: Montag bis Freitag: 9:00-18:00 Uhr Samstag: 9:00-16:00 Uhr Weitere Filiale in der Kolpingstr. 12 in Biberach. Aktuelle Öffnungsze­iten finden Sie auch online auf www.fahrradpro­fis.de

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In der Pfarrkirch­e in Kißlegg sind in die Seitenaltä­re die sogenannte­n „heiligen Leiber“eingelasse­n: dekorierte Skelette. Der „heilige Severinus“ist Manfred Scharpf von den Kirchgänge­n in seiner Kindheit in Erinnerung geblieben. 2009 war die Reliquie Inspiratio­n für das Gemälde „Imperator“.

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