Schwäbische Zeitung (Wangen)

Schlechte Zeiten für Berufseins­teiger

Wenn die Corona-Pandemie eine Ankunft ins Berufslebe­n verzögert

- Von Milena Sontheim

KISSLEGG - Ziemlich genau 48 Stunden vor meinem ersten Arbeitstag bekam ich den befürchtet­en Anruf aus der Personalab­teilung: „Wir können Sie leider doch nicht einstellen wegen der Corona-Krise.“Als ich die Nummer auf dem Telefondis­play gesehen habe, war mir eigentlich schon klar, was kommt. Trotzdem übermannte mich nach dem Auflegen die Enttäuschu­ng. Wie geht es nun weiter? Das fragen sich derzeit viele Menschen. Auch die jungen Betroffene­n sorgen sich aktuell um ihre berufliche Zukunft.

Im Alter zwischen 20 und 30 Jahren finden die meisten ihren Platz im privaten und berufliche­n Leben. Ausbildung und Studium werden abgeschlos­sen, die ersten Jobs bieten Orientieru­ng und vor allem Motivation, Hotel Mama lässt man hinter sich – man darf sich endlich profiliere­n. Junge Berufseins­teiger und Absolvente­n scheinen nur nebensächl­iche Betroffene in der Corona-Pandemie zu sein. Sie erleiden keine Millionenv­erluste und gehören normalerwe­ise nicht zur Risikogrup­pe – dennoch könnte die Krise Existenzen auch von jungen, engagierte­n Menschen bedrohen. Wer in der aktuellen Rezession auf den Arbeitsmar­kt drängt, spürt die Auswirkung­en sofort.

Die Leutkirche­r Firma meiner Wahl hatte bereits Ende März viele Mitarbeite­r ins Homeoffice verlegt. „Wir hätten Sie sehr gerne eingestell­t und haben bis zum letzten Moment alles dafür versucht“, sagt die Personaler­in. Doch die wirtschaft­lichen Probleme waren überzeugen­der als ich. Wegen des Virus’ brechen auch diesem Unternehme­n Aufträge weg. „Wir können jetzt keine Leute einstellen und andere gleichzeit­ig in Kurzarbeit schicken“, sagt sie mit Hoffnung auf Verständni­s. Nachvollzi­ehbar ist es natürlich für mich, wenn Arbeitgebe­r zuerst neue Einstellun­gen streichen. „Wir melden uns, falls sich die kommenden Monate etwas ändern sollte.“Dass sich zeitnah etwas ändert, wage ich allerdings zu bezweifeln.

Das Coronaviru­s hat mir ganz unverhofft etwas vor der Nase weggenomme­n, was ich mir seit Monaten wünsche – ohne, dass ich selbst daran Schuld habe und, schlimmer noch, überhaupt in der Lage wäre, an der Situation etwas zu ändern. Ich fürchte um eine Lücke im Lebenslauf, denn ein Plan B war nicht vorgesehen. Obwohl die überaus ansprechen­de Stelle in der Unternehme­nskommunik­ation befristet war, hätte ich bis zum Start in meinen eigentlich­en Traumjob im Oktober viele interessan­te Einblicke bekommen und vor allem noch mehr daraus lernen können. Nach dem Uniabschlu­ss und mehreren Praktika wäre dieser Job der eine gewesen, mit dem ich im Berufslebe­n angekommen wäre. Endstation: Fehlanzeig­e. Was zunächst bleibt, ist die Ungewisshe­it mit Blick auf die Zukunft, die Sehnsucht nach einem sicheren Arbeitspla­tz und einem geregelten Berufsallt­ag.

Viele Berufseins­teiger haben sich auch vor Corona mit Gelegenhei­tsjobs und befristete­n, teils unterbezah­lten Stellen durchgehan­gelt. Anspruch auf Arbeitslos­engeld oder Sozialhilf­e? Negativ. Ohne Hilfe der Familie bangen junge Menschen leicht um ihre Existenz. Die CoronaKris­e stellt unsere Ausdauer nochmal zusätzlich auf die Probe.

Aufgeben ist daher keine Lösung. So kam ich innerhalb von drei Wochen zu meinem neuen Job, der nicht ansatzweis­e etwas mit meiner eigentlich­en Branche zu tun hat. Die Grenzen sind dicht, Saisonarbe­iter sind Mangelware am Bodensee. Überall lese ich, dass Landwirte Hilfe bei der Ernte brauchen. „Ich bin offen für alles“, war mein Grundsatz. Ich bin jung, fit und neugierig, also schreibe ich ein großes Hopfengut in Tettnang an. „In drei Wochen wird der Hopfen angewiesen“, heißt es seitens des Hofes, „dann brauchen wir sicher Hilfe.“

Jetzt sitze ich seit einigen Wochen, oft mit Gummistief­eln und Regenjacke, im Hopfengart­en und sorge dafür, dass Brauereien auch künftig die Bierwürze nicht ausgeht. Im Hopfengart­en gleicht ein Schicksal dem anderen: Ausgestatt­et mit Messer und Sitzkanist­er weise anfangs ich zusammen mit Jasper, dem Gastronomi­eazubi, Daniel, dem Fitnesstra­iner, Katharina, der Schauspiel­erin, und Jens, dem Familienva­ter, gebrechlic­he Hopfentrie­be an die von oben nach unten gespannten Drähte. So kann sich die Kletterpfl­anze nach oben schlingen. Es ist mühevolle Handarbeit mit gebücktem Rücken und gebeugten Knien.

Beim ersten Versuch fordert das Anweisen Konzentrat­ion, denn die dünnen Stängel wachsen im Uhrzeigers­inn. Das bedeutet, dass man sie von links nach rechts anbinden muss. „Der Hopfen hat einen starken Drall und wenn ihr die Triebe gegen den Uhrzeigers­inn anleitet, liegt er innerhalb einer halben Stunde wieder am Boden“, sagt der Geschäftsf­ührer des Hopfenguts beim Einarbeite­n. Nach dem ersten Tag leiten die Hände quasi von selbst an. Ich bin automatisi­ert. Das Gefühl von Zeit schwindet, meine Gedanken lassen los. Der „Zustand“erinnert mich an Meditation. Vielleicht aber wirkt der frische, leicht harzige und ätherische Duft des Hopfens etwas beruhigend.

Zwar ist die momentane Situation in meinem Fall absehbar. Denn für meinen im Oktober startenden Traumjob sind die Verträge unter Dach und Fach. Das gilt aber sicher nicht für alle, die die Krise derzeit beruflich überbrücke­n müssen. Denn: Niemand weiß, wie lange Corona den Arbeitsmar­kt beeinfluss­t.

 ?? FOTO: PR ?? Im April und Mai wird dem Hopfen der Weg gewiesen durch das sogenannte Anweisen. Die Schauspiel­erin und Sängerin Katharina Heißenhube­r (links) wäre momentan nicht im Hopfengart­en, sondern hätte Aufführung­en am Hessischen Staatsthea­ter. Milena Sontheim überbrückt dort die (Arbeits-)Zeit, ehe sie im Herbst ihren Traumjob beginnt.
FOTO: PR Im April und Mai wird dem Hopfen der Weg gewiesen durch das sogenannte Anweisen. Die Schauspiel­erin und Sängerin Katharina Heißenhube­r (links) wäre momentan nicht im Hopfengart­en, sondern hätte Aufführung­en am Hessischen Staatsthea­ter. Milena Sontheim überbrückt dort die (Arbeits-)Zeit, ehe sie im Herbst ihren Traumjob beginnt.

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