Corona droht Geisterstädte zu hinterlassen
Pandemie beschleunigt Ladensterben auch in Baden-Württemberg – Sorge vor zweiter Welle
RAVENSBURG/BERLIN - Nach 33 Jahren ist Schluss. Das Friedrichshafener Mode-Traditionsgeschäft Saupp Moden schließt Ende des Jahres. Ebenso das Geschäft Mode Müller nebenan. Geführt werden die beiden Läden von Marcus Saupp und seiner Frau Brigitte. Die fünfwöchige Zwangspause aufgrund der CoronaPandemie habe ihnen viel Zeit zum Nachdenken gegeben, sagt Brigitte Saupp: „Wir haben uns schon länger überlegt, wie es mit uns und den Läden weitergehen soll.“In Absprache mit den Vermietern der Läden sei dann vereinbart worden, dass sie die Modegeschäfte Ende des Jahres schließen.
Auch wenn die Corona-Krise für Einzelhändler wie die Saupps nicht der alleinige Auslöser für eine Geschäftsaufgabe ist, so kann sie die Entscheidung doch beeinflussen und befeueren. Momentan sei es ihnen noch möglich, die Läden aus freien Stücken zu schließen, sagen Marcus und Brigitte Saupp. Ob das in ein paar Jahren noch so möglich sei und wie sich das Kaufverhalten der Kunden weiter ändere, das könne keiner voraussehen.
Ähnlich ergeht es Kevin Giesler und Dieter Igel. Ihr Modegeschäft G.I. Men in der Bad Saulgauer Fußgängerzone im Landkreis Sigmaringen schließt ebenfalls zum Jahresende. Vor vier Jahren hatten sie den Laden eröffnet, um Männermode auf zwei Etagen anzubieten. Dazu kam es nie, denn der Bedarf war nicht da. Lediglich das Erdgeschoss stand die vergangenen Jahre als Verkaufsfläche zur Verfügung. Jetzt bedingte die Corona-Pandemie bei den beiden Modehändlern die finale Entscheidung: „Es ist besser, das Geschäft zu schließen.“
Die Corona-Pandemie beschleunige die sich seit Jahren abzeichnenden Veränderungsprozesse im Einzelhandel deutlich, sagt Peter Jany, Hauptgeschäftsführer der Industrieund Handelskammer (IHK) Bodensee-Oberschwaben und federführend beim Thema Handel im BadenWürttembergischen Industrie- und Handelskammertag (BWIHK). Der Rückgang von Einzelhandelsgeschäften sei landesweit seit vielen Jahren zu beobachten, „unter anderem auch als Folge des demografischen Wandels, der auch vor den Ladeninhabern nicht halt macht“, sagt Jany. Wie viele Geschäfte im Rahmen der Corona-Pandemie in Baden-Württemberg aufgeben, dazu kennt Jany keine Zahlen. Bundesweit – so schätzt der Handelsverband
Deutschland (HDE) – sind 50 000 von 450 000 Ladenstandorten akut bedroht. „Schon die erste Pandemie-Welle hat viele Handelsunternehmen an den Rand der Insolvenz gebracht“, sagt HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. „Eine zweite Welle würde auf einen teilweise extrem geschwächten Einzelhandel treffen.“Einer Verbandsumfrage zufolge sehen sich 27 Prozent der Händler aus dem Nicht-Lebensmittelbereich in ihrer Existenz gefährdet.
Am meisten Sorgen machen sich der HDE und auch Peter Jany von der IHK Bodensee-Oberschwaben derzeit um die Bekleidungsgeschäfte. „Hier sind in der Corona-Krise große Umsatzlöcher entstanden, die nicht wieder gestopft werden können“, sagt Stefan Genth. Der Lockdown habe die Textil- und Schuhgeschäfte getroffen, als die Ladengeschäfte mit der Frühjahrsware voll bestückt waren, sagt Jany. „Besonders ungünstig für diese Geschäfte war die Schließung
zu einer Zeit, als das Wetter im März und um Ostern herum viele Wochen lang ausgesprochen schön war. Der Mehrheit der modischen Fachgeschäfte hätte diese Wetterlage ohne Corona ein besonders gutes Frühjahrsgeschäft verschafft.“
Doch mit Corona sind diese Umsätze ausgeblieben. Das betrifft sowohl die kleinen Modegeschäfte als auch die großen Ketten. Die deutsche Tochter der schwedischen Kette Gina Tricot ist bereits insolvent. Der Laufschuh-Spezialist Runners Point will sich aus Deutschland zurückziehen und alle 80 Läden abwickeln. Die bei Jugendlichen beliebte Kette Tally Weijl aus der Schweiz schließt ein Viertel seiner 800 Filialen. Der Mutterkonzern von Zara, Inditex, hat bereits angekündigt, weltweit 1200 unrentable Geschäfte zuzumachen.
Auch andere Branchen sind mitnichten immun. Die Elektroketten Media Markt und Saturn wollen Filialen schließen, weil die CoronaPandemie
die Verlagerung des Geschäfts ins Internet beschleunigt hat. „Angesichts rückläufiger Kundenfrequenzen“prüft der Mutterkonzern Ceconomy nach eigener Auskunft, „europaweit in begrenztem Umfang defizitäre Stores zu schließen“. Es sollen zwar nur 20 Filialen sein, wie inoffiziell zu hören ist. Dennoch markiert die Ceconomy-Entscheidung eine Abkehr vom Wachstumskurs.
Wie sich die Lage der Händler weiterentwickelt, hängt nun vor allem auch davon ab, ob es eine zweite Pandemie-Welle mit einem zweiten Shutdown gibt. So wie Stefan Genth sagt auch Peter Jany: „Sollte Deutschland in diesem Jahr noch eine zweite Pandemie-Welle treffen, dann hätte sich die große Mehrheit der Betriebe noch nicht von den wirtschaftlichen Folgen der ersten Welle erholt.“Vielen Unternehmen würden dann die notwendigen liquiden Mittel fehlen, um die erneut eintretenden Einnahmeverluste zu verkraften. Auch die vom Bundkabinett beschlossene Absenkung der Mehrwertsteuer hilft da wenig. Die meisten innerstädtischen Händler würden nicht von einer großen Nachfrage durch die Absenkung profitieren, sagt Jany. Dafür seien die durchschnittlichen Einkaufsbeträge meist zu gering.
Dabei erkennt Jany beim Einzelhandel zwischenzeitlich eine Erholung. In den letzten Sommerwochen habe die Anzahl der Besucher in den Innenstädten in Baden-Württemberg wieder deutlich zugenommen und liege nun – je nachdem ob es sich auch um eine Stadt handelt, die von Urlaubern besucht wird – zwischen 80 und 100 Prozent im Vergleich zu den Vorjahren. Entsprechend angezogen habe auch der Umsatz. „Die kritische Phase erwartet uns im Herbst“, sagt Jany. Erst nach Ende der Schulferien könne man wissen, wie sich die Corona-Zahlen regional und lokal entwickeln werden. „Bezüglich der Entwicklung des Arbeitsmarktes ist auch noch nicht klar, mit welchen Arbeitslosenzahlen wir im Herbst und Winter konfrontiert sein werden, und wie sich dies wiederum auf das Konsumverhalten auswirken wird.“
Derweil setzt Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier vor allem auf Digitalisierung, um Einzelhändler zu stärken. Seit der Corona-Pandemie würden sehr viel mehr Geschäfte online getätigt, sagt Altmaier. An diesem Trend will er auch kleinere Geschäfte stärker beteiligen: „Wir müssen den Geschäftsinhabern in den Innenstädten dabei helfen, ihre Kundenbeziehungen so zu digitalisieren, dass es auch den Modeläden und Schuhgeschäften zugutekommt“, sagt er. „Wenn zum Beispiel ein Kunde ein Markenhemd online bestellen möchte, sollte er das nicht unbedingt beim Hersteller tun müssen, sondern die Möglichkeit haben, zum gleichen Preis auch über den Einzelhändler seiner Wahl online zu kaufen.“Anfang September wolle Altmaier alle Beteiligten an einen Tisch laden, um über Digitalisierungsstrategien für Innenstädte und Einzelhändler zu sprechen.
Nach einer aktuellen Studie der baden-württembergischen IHKs würden bereits heute 46 Prozent der Einzelhändler in Baden-Württemberg digitale Vertriebskanäle nutzen, sagt Peter Jany. „Der Einzelhandel ist also bereits breiter digital aufgestellt als manche denken.“Zutreffend sei aber auch, dass sich der Online-Vertrieb äußerst dynamisch weiterentwickelt und es vielen Betrieben nicht leichtfalle, mit diesem Tempo Schritt zu halten. Insofern sei die Initiative der Politik zu unterstützen.