Ein stiller Held der Republik
Frankreich gedenkt des enthaupteten Lehrers – Der 47-Jährige wehrte sich gegen Falschaussagen einer Schülerin
PARIS - Auf einem der seltenen Fotos, die Samuel Paty zeigen, ist der Lehrer mit seinen Händen gestikulierend zu sehen, der Klasse zugewandt. Die Schwarz-Weiß-Aufnahme bildet das ganze Engagement ab, das der 47-Jährige in seinen Unterricht steckte. Der Geschichtslehrer liebte seinen Beruf. „Im Gegensatz zu anderen beschränkte er sich nicht darauf, seinen Unterricht vorzutragen. Er versuchte immer, den Stoff mit Bildern oder Videos zu illustrieren, um uns zu berühren“, erinnert sich seine frühere Schülerin Marie im Magazin „Le Point“. Der Wunsch, auch beim Thema Meinungsfreiheit die Schüler anzusprechen, brachte Paty Anfang Oktober dazu, in der achten Klasse zwei Mohammed-Karikaturen zu zeigen. Eine Aktion, die durchaus legitim ist, denn Blasphemie ist in Frankreich nicht verboten. Doch Paty kostete sie das Leben: Er wurde am Freitag von einem 18-jährigen Tschetschenen enthauptet.
„Ein Lehrer hat durchaus das Recht, diese Karikaturen zu zeigen. Vor allem, wenn eine pädagogische Arbeit damit einhergeht“, sagte Bildungsminister Jean-Michel Blanquer. Doch nicht alle Schüler von Paty sahen das so. Nach seinem Unterricht beschwerten sich Eltern bei der Rektorin der Mittelschule Bois d’Aulne in Conflans-Sainte-Honorine nordwestlich von Paris. Ein Vater, Brahim C., erstattete sogar Anzeige wegen pornografischer Fotos und berief sich dabei auf Schilderungen seiner Tochter. Dabei hatte Paty lediglich eine Karikatur gezeigt, die Mohammed nackt von hinten zeigt. Brahim C. stellte auch ein Video ins Internet, in dem er die Entlassung des Lehrers forderte.
Der sportliche Endvierziger, der regelmäßig Tennis spielte, erhielt mehrere Drohungen, nachdem Brahim C. die Telefonnummer der Mittelschule sowie den Namen des Lehrers publik gemacht hatte. Der Vater eines fünfjährigen Sohnes habe in den letzten Tagen bekümmert gewirkt und sei mit hochgezogenen Schultern durch die Gänge gelaufen, berichten Schüler. Laut Nachbarn änderte er auch seinen Nachhauseweg und vermied ein kleines Wäldchen, das er sonst immer durchquerte.
Auf der Polizeiwache dementierte er die Darstellung, er habe die muslimischen Schüler zum Verlassen des Klassenzimmers aufgefordert. Er stellte auch klar, dass Brahim C.’s Tochter überhaupt nicht im Unterricht war, als er die Mohammed-Karikaturen besprach. „Sie hat aufgrund der Gerüchte von Schülern eine Erzählung erfunden. Es handelt sich um eine Falschaussage mit dem Ziel, das Bild des Lehrers, das ich repräsentiere, der Mittelschule und der Institution zu beschädigen“, gab Paty laut dem Radiosender France Info zu Protokoll.
Wahrscheinlich durch das Video aufmerksam geworden, ließ sich Patys Angreifer Abdoullakh A. am Freitag zur Schule seines Opfers fahren. Dort bestach er mehrere Schüler mit Geld, damit sie ihm Paty zeigen. 300 bis 350 Euro habe Adoullakh A. geboten und gleichzeitig Drohungen gegen Paty ausgesprochen, sagte Anti-Terror-Staatsanwalt Jean-François Ricard am Mittwoch. Die Jugendlichen, die den Lehrer seinem Mörder auslieferten, wussten also, dass sie ihn damit der Gewalt aussetzten. Zwei 14- und 15jährigen Schülern droht deshalb, ebenso wie fünf anderen Verdächtigen, ein Ermittlungsverfahren.
Die grausame Tat macht aus Paty einen Märtyrer der Meinungsfreiheit. Einen „stillen Helden der Republik“nannte ihn der wortgewaltige frühere Justizminister Robert Badinter. Brigitte Macron, selbst
Lehrerin, schrieb einen Brief an den Toten. „Sie hatten die höchste Idee von dem, was der Beruf des Lehrers bedeutet“, würdigte die Präsidentengattin den Pädagogen. Einen Auftritt am Mittwochabend in der Sorbonne musste die 67-Jährige absagen, da sie als Corona-Kontaktperson unter Hausarrest stand. Patys Familie und Präsident Emmanuel Macron hatten die traditionsreiche Pariser Universität für das nationale Gedenken gewählt – als Ort des Wissens, der Ideen und der Kultur.