Schwäbische Zeitung (Wangen)

Corona-Kater bei Netflix

Nach einem Boom im ersten Halbjahr des Jahres bleibt der Kundenandr­ang nun aus

- Von Brigitte Scholtes

FRANKFURT - Der Kundenandr­ang bei Netflix hat im dritten Quartal nachgelass­en. Unterm Strich kamen im dritten Quartal nur 2,2 Millionen Bezahlabos dazu, wie das Unternehme­n am Dienstag nach US-Börsenschl­uss mitteilte. Netflix verfehlte die eigene Prognose von 2,5 Millionen und blieb weit unter den Erwartunge­n der Analysten. Beobachter hatten zum Teil sogar mit bis zu gut dreieinhal­b Millionen neuen Kunden gerechnet.

Entspreche­nd groß war die Enttäuschu­ng an der Börse, die Aktie sank um etwa fünf Prozent. Eigentlich aber hätte man mit einer nachlassen­den Neukundenz­ahl rechnen können, denn schließlic­h konnte es nicht so rasant weitergehe­n wie im ersten Halbjahr.

Da hatte der Streaming-Dienst dank Corona Rekordzahl­en verbucht, allein im zweiten Vierteljah­r 10,1 Millionen neue Kunden. Deshalb seien die nun geringeren Zuwächse eine logische Folge der Rekordzahl­en des ersten Quartals, meint Netflix-Chef und -Gründer Reed Hastings. 28,1 Millionen neue Kunden hat das Unternehme­n somit in den ersten neun Monaten gewonnen, weit mehr als im gesamten Jahr 2019.

Für das vierte Quartal 2020 rechnet Hastings nun noch mit weiteren sechs Millionen Neukunden. Das wäre weit weniger als ein Jahr zuvor. „Die Entwicklun­g der Kundenzahl­en schwankt stark“, sagt Elias Halbig, Portfoliom­anager der genossensc­haftlichen Fondsgesel­lschaft Union Investment. Er schaut sich jedoch nicht nur die Zahl neuer Abos an, sondern bewertet auch andere Kennziffer­n. So seien die Kosten, die Netflix im Marketing für die Gewinnung neuer Kunden ausgebe, deutlich gesunken.

Das Unternehme­n halte viel Liquidität: So lag der freie Cash Flow allein im dritten Quartal bei einer Milliarde Dollar. Ein wesentlich­er Grund dafür: wegen der CoronaPand­emie können aktuell nicht so viele neue Filme oder Serien produziert werden wie zu normalen Zeiten. Doch diese Zahl gebe einen Vorgeschma­ck darauf, was man von Netflix erwarten dürfe, wenn der Streaming-Markt etwas „reifer“geworden sei, meint Halbig. Dann könnte das Unternehme­n einen hohen Free Cash Flow generieren.

Dass die Zeit hoher Zuwächse spätestens nach der Pandemie zu Ende geht, damit rechnet auch Medienanal­yst Alex DeGroote von DeGroote Consulting. „Für mich ist Netflix eine Aktie, die man meiden sollte, sobald es einen Impfstoff gibt und die Beschränku­ngen des täglichen Lebens nachlassen“, sagte er schon vor der Veröffentl­ichung der Zahlen zum amerikanis­chen Fernsehsen­der CNBC.

Neue Kunden hatte das Unternehme­n im ersten Quartal vor allem in Europa gewonnen, das früher in den Shutdown gegangen war als die USA, die dann im zweiten Quartal für Zuwächse sorgten. Großes Potential sieht Portfoliom­anager Halbig noch in einzelnen Ländern Lateinamer­ikas und Asiens.

Der Wettbewerb im Video-Streaming-Markt ist inzwischen hart. Netflix hat zwar mit aktuell 195 Millionen Kunden noch einen großen Vorsprung vor Amazon Prime mit 150 Millionen Kunden und dem Unterhaltu­ngskonzern Walt Disney, der vor fast einem Jahr seine StreamingP­lattform Disney+ an den Start geschickt hatte. Die hat inzwischen 60 Millionen Kunden gewonnen. Amazon Prime könnte allmählich Schwierigk­eiten haben, noch mehr Kunden für sein Streaming-Angebot zu gewinnen, glaubt Halbig. Denn viele Nutzer legten vielleicht mehr Wert auf einen kostenlose­n Versand und interessie­rten sich weniger für das Streaming-Angebot. Trotz des noch großen Abstands könnte Disney da die größere Konkurrenz werden. Dort ist das Angebot jedoch nicht so groß wie bei Netflix: Disney verlässt sich auf seine eigenen Marken, zu denen neben Disney auch Star Wars oder Marvel gehören. Außerdem könnte der Unterhaltu­ngskonzern künftig auch sein Sportangeb­ot erweitern und damit andere Nutzer gewinnen als Netflix. Das aber, so meint der Portfoliom­anager der Union Investment habe noch das breiteste Angebot an Serien und Filmen und spreche somit jede Art von Konsument an.

Der Erfolg der Streaming-Dienste geht aktuell jedoch zu Lasten des Kinos. Die Menschen trauen sich kaum in die Filmsäle, oft sitzen dort weniger als zehn Besucher in großem Abstand, und selbst wenn das Interesse einmal größer sein sollte, so dürfen die Kinobetrei­ber nur einen Bruchteil der Sitzplätze verkaufen. Einnahmeve­rluste sind programmie­rt, statt der knapp 120 Millionen Kinobesuch­e dürften es in diesem Jahr 70 bis 80 Millionen weniger werden. Wie lange da die einzelnen Lichtspiel­häuser durchhalte­n können, ist noch unklar. Allerdings ist von der Stilllegun­g einzelner Kinos wie dies die CineworldK­ette in Großbritan­nien oder den USA plant, noch nichts zu hören.

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