„Die Kritik ist weit übertrieben“
Europaabgeordneter Norbert Lins über den ökologischen Wert der Agrarreform
BRÜSSEL - Der aus dem Landkreis Ravensburg stammende Europaabgeordnete und Vorsitzende des Agrarausschusses im Europaparlament, Norbert Lins (CDU), war maßgeblich an den Verhandlungen über die Agrarrefom beteiligt. Daniela Weingärtner hat mit ihm in seinem Abgeordnetenbüro in Brüssel gesprochen. Dieses darf er nach einem dritten negativen CoronaTest wieder betreten. Er hatte zuvor mit einer erkrankten Fraktionskollegin Kontakt gehabt.
Herr Lins, ich habe Sie gestern im Plenum vermisst. Ist der Kompromiss so schlecht, das Sie sich dort nicht blicken lassen wollten?
Ganz im Gegenteil. Das Ergebnis meines dritten Tests kam aber später als geplant. Deshalb habe ich vor dem Parlamentsgebäude eine Erklärung abgegeben, statt an der Plenardebatte teilzunehmen. Es gibt Schlimmeres.
Die Abstimmung wurde auf Dienstagabend vorverlegt. Umweltverbände und Grüne werfen dem Parlamentspräsidenten Gemauschel vor und sehen den Bauernverband im Hintergrund am Werk. Warum die Eile?
Schuldig sind die Grünen, weil sie ganz viele separate Abstimmungen und Änderungen beantragt haben. Dadurch wurde die Prozedur viel länger. Ich bin froh, dass sie mit dieser Torpedierungsstrategie nicht durchgekommen sind.
Umweltverbände und Grüne verdammen den Kompromiss. Sie sagen, die neue Agrarförderung wird weniger ökologisch sein als die jetzige.
Das ist weit übertrieben. Ich verstehe, dass sie gern mehr gehabt hätten. Aber zu sagen, dass wir zurückfallen: weit gefehlt. Das „Greening“bleibt ja erhalten. In der 2. Säule werden 35 statt bisher 30 Prozent der Maßnahmen an Umwelt und Klima gebunden. Wir gehen überall nach oben. Der Europäische Bauernverband hat das Ergebnis deshalb verrissen.
Warum sind die Flaggschiffe der Kommission, die „Farm-to-Fork“und die Biodiversitätsstrategie, nicht in den Kompromiss eingeflossen?
Wir als Europäische Volkspartei sagen: Man kann nicht dem Gesetzgebungsverfahren vorgreifen und bereits Prozentzahlen in die Eckpunkte der Gemeinsamen Agrarpolitik hineinschreiben. Wir sind schließlich eine Rechtsgemeinschaft. Das ist auf europäischer Ebene nicht anders als in der Landespolitik. In Baden-Württemberg ging die Initiative für die Stärkung der Biodiversität von einer Nabu-Kampagne aus. Das entsprechende Gesetz wurde dann vom Landtag verabschiedet. Entsprechend werden wir auf europäischer Ebene die Richtlinien überarbeiten und die angestrebten Ziele in die Gesetze hineinschreiben.
Warum sind Grüne und Umweltverbände so unzufrieden mit der Reform?
Sie sehen im bislang erreichten Ergebnis einen Rückschritt gegenüber den geltenden Regeln. Da die Landwirtschaft zu den großen Klimakillern gehört, wäre aus ihrer Sicht nur eine radikale Reform dazu geeignet, zu den Zielen des Pariser Klimaabkommens beizutragen. Bis 2050 will die EU klimaneutral werden. Das kann nur gelingen, wenn auch die Landwirtschaft radikal ihre Produktionsweise ändert und die Viehzucht reduziert. Die Verfechter des langsameren Weges weisen darauf hin, dass die bäuerlichen Betriebe mehrere Aufgaben haben. Sie sollen zwar möglichst klimaschonend arbeiten, aber die Menschen ja auch noch mit bezahlbaren Lebensmitteln versorgen.
Wann tritt die Reform in Kraft?
Die europäischen Regierungen wollen den Bauern eine möglichst lange Anpassungsfrist gewähren. Die gesamte Reform wurde ja ohnehin wegen der Corona-Pandemie auf 2023 verschoben. Danach aber sollen die Hilfen aus der 1. Säule noch weitere zwei Jahre fließen, auch wenn ein Betrieb nicht sämtliche Anforderungen erfüllt. So soll sichergestellt werden, dass nicht Umstellungsschwierigkeiten zu einem massiven Einkommenseinbruch bei den Bauern führen. Das Europaparlament unterstützt eine solche schrittweise Umstellung nach 2023 nicht.