Zwischen Wahn und Wirklichkeit
Moritz Bleibtreu gibt mit dem Thriller „Cortex“sein Regiedebüt
Nachdem Moritz Bleibtreu in mehr als 90 Filmen als Schauspieler mitgewirkt hat, wagt er sich nun für seinen Kinofilm „Cortex“erstmals auf die andere Seite der Kamera. Für sein Regiedebüt hat er einen Stoff ausgewählt, der weit entfernt von klassischen Drehbuchvorlagen ist. Denn „Cortex“ist ein Film wie ein Labyrinth. Mit Sackgassen, mit Irrwegen, scheinbar ohne Ausgang. Dabei ist der in Hamburg gedrehte Film mit seinen vielen Erzählebenen gleichzeitig eine Mischung aus düsterem „Körpertausch“-Film und einer deutschen und klaustrophobischeren Version von „Inception“. Und am Ende fragt man sich: Was war jetzt eigentlich Traum und was Wirklichkeit?
Im Mittelpunkt des unvorhersehbaren, komplexen Thrillers steht der biedere Familienvater und Supermarkt-Sicherheitsmann Hagen (Bleibtreu). Der kann wegen seiner aufwühlenden Träume nicht gut schlafen und ist tagsüber entsprechend gerädert. So müde, dass er sogar beim Autofahren an der Ampel und am Arbeitsplatz einschläft. Dabei träumt er von einem jungen Mann (Jannis Niewöhner), den er zuvor noch nie gesehen hat. Aber hat ihn nicht genau dieser Mann erst kürzlich über die Videokamera des Supermarktes angeschaut? Hat am Ende genau dieser Kerl eine Affäre mit seiner Frau (Nadja Uhl)? Oder bildet er sich das nur ein? Déjà-vus, Flashbacks, Erinnerungen, Wunschvorstellungen – die Leben der beiden Männer verweben immer mehr zu einer gemeinsamen Welt.
Wer ist hier eigentlich wer? Vermischen sich die Persönlichkeiten der beiden? Gibt es den zweiten Mann doch nur in Hagens Vorstellung? Am Ende des Films bleiben viele Fragen offen. Und genau das ist auch von Bleibtreu gewollt, wie er selbst sagt. Sogar die Hauptdarsteller Niewöhner und Uhl mussten das
Buch mehrfach lesen und waren selbst dann nicht sicher, ob sie alles verstanden hatten. Die düstere Geschichte von „Cortex“wird ergänzt durch eine ebenso klare wie starke Bildsprache. Zum Teil erinnert sie an alte Hitchcock-Filme. Das ist großes Kino und macht visuell richtig viel Spaß. Auch inhaltlich hallt „Cortex“nach. Nach dem Film dürften viele Kinogänger die einzelnen Szenen nochmal abrufen, sortieren, nach verräterischen Spuren für eine mögliche Auflösung suchen. So mancher dürfte dabei aber ratlos zurückbleiben.
Wer Kinofilme mit eindeutigem Abschluss mag, wird den bei „Cortex“nicht finden. Die zahlreichen Fäden der Geschichte scheinen in der Luft hängen zu bleiben. Wer sich hingegen gern auf Gedankenspiele einlässt, dürfte vom Bleibtreu-Debüt gut unterhalten werden. (dpa)
Cortex. Regie: Moritz Bleibtreu. Mit Moritz Bleibtreu, Jannis Niewöhner, Nadja Uhl. Deutschland 2020, 96 Minuten, FSK ab 16.