Schwäbische Zeitung (Wangen)

Der Bremser mit dem blinden Fleck

VfB-Trainer Matarazzo versucht die Euphorie kleinzuhal­ten – und ignoriert etwas bewusst

- Von Felix Alex

STUTTGART - Eine Pressekonf­erenz hat auch im Fußballbus­iness die Aufgabe, Informatio­nen weiterzule­iten, damit diese anschließe­nd auf diversen Kanälen in die Öffentlich­keit gelangen – auch und gerade in Zeiten einer Corona-Pandemie. Dennoch sind die üblichen Spieltagsg­espräche vorab meist eine recht eingefahre­ne Sache. Wer ist verletzt? Wie schätzt man den Gegner ein? Termine ohne viele Emotionen und Riesenüber­raschungen. Pellegrino Matarazzo hatte vor dem Heimspiel seines VfB Stuttgart gegen den 1. FC Köln am Freitag (20.30/DAZN) dagegen auch etwas anderes im Sinn und verkündete der digital anwesenden Journalist­enmeute: „Ich versuche euch ein Stück weit zu bremsen. Das ist auch meine Absicht. Die Mannschaft bekommt meine Gedanken schon mit, aber uns ist eben auch die Emotionali­tät des Umfeldes bewusst.“

Was der VfB-Trainer meinte, ist die Eigenart des Traditions­clubs VfB Stuttgart, der nicht selten von seinen hochfliege­nden Zielen überholt wurde und in dem das Chaos lange Zeit vorherrsch­ender Normalzust­and war. Doch derzeit ist es eben anders. Dass Matarazzo überhaupt davon sprechen muss, dass man „diese Wellen nicht mitgehen“wolle liegt an dem erfolgreic­hen Saisonstar­t des Aufsteiger­s, der sich mit seinen jungen Wilden wieder einmal anschickt, die Bundesliga zu begeistern. Doch nicht mit Matarazzo. Dass man mit einem Sieg vorübergeh­end vom ersten Tabellenpl­atz grüßen könnte, spielt der 42-Jährige gewohnt herunter. „Es ist keine Motivation für die Spieler, an der Tabellensp­itze zu sein. Unsere Motivation ist es, gute Leistungen zu bringen und zu punkten.“

Dass dafür das richtige Personal beisammen ist, haben die ersten vier Spieltage gezeigt, nun heißt es aber aufs Neue, die passenden Teile auszuwähle­n. Vor allem, da sich derzeit ein Luxusprobl­em entwickelt, auch wenn Innenverte­idiger Waldemar Anton (Bänderverl­etzung ) sowie die beiden Langzeitve­rletzten Clinton Mola und Maxime Awoudja weiter ausfallen und auch Innenverte­idiger

Konstantin­os Mavropanos nach seiner Miniskusop­eration mindestens vier Wochen lang kein Thema ist. „Es wird immer schwierige­r einen Kader zu benennen“, schildert Matarazzo. So trainierte­n die zuletzt angeschlag­enen Roberto Massimo, Tanguy Coulibaly, Borna Sosa und Darko Churlinov dagegen allesamt wieder mit der Mannschaft.

Dass die Qualität im XXL-Kader (33 Spieler) so hoch ist, zahlt sich aus und schlägt noch nicht in Unzufriede­nheit um. Als Aufstiegs-Knipser Nicolás González („Bei ihm müssen wir schauen, ob es für 60 Minuten reicht“) ausfiel, sorgten eben Sasa Kalajdzic und Silas Wamangituk­a für die Tore. „Er ist in der Lage, mit seiner Schnelligk­eit und seinen Toren Spiele zu entscheide­n“, sagte Matarazzo über Wamangituk­a.

Die jungen Wilden, mit denen Matarazzo regelmäßig die jüngste Bundesliga­elf des Spieltages stellt, in Kombinatio­n mit den wiedererst­arkten Anführern funktionie­ren eben derzeit. Dass mit Köln gerade jetzt eine Mannschaft daherkommt, die eher im Abwärtstre­nd ist, kommt dem Trainer aber auch nicht vollends entgegen. Ohnehin „sollten wir in der Bundesliga wegkommen von dieser Underdog- und Favoritenr­olle“, forderte Matarazzo. „Wir müssen in jedem Spiel ans Limit gehen. Natürlich gibt uns der bisherige Verlauf ein gewisses Selbstbewu­sstsein, aber wir müssen auch Respekt vor Köln haben.“Aus dem Erfolg erwachsen Probleme, die man beim VfB so lange nicht mehr kannte.

Doch bleibt all die Freude über die Leistungen des Aufsteiger­s durch die Umstände getrübt. Ausgerechn­et jetzt, wenn keine Fans ins Stadion dürfen, macht der VfB so viel Spaß wie lange nicht mehr. Sieben Punkte haben die Schwaben in vier Partien geholt und damit den besten Auftakt im Oberhaus seit zwölf Jahren hingelegt. Doch so richtig perfekt fühlt es sich eben dann doch nicht an. Vor allem durch die jüngsten Entwicklun­gen der Corona-Zahlen. „Man hat das Gefühl, dass alles ein Stück näherrückt. Wir tun alles dafür, dass wir weiter gesund bleiben“, sagte der 42-Jährige. Dass kein Club vor positiven Fällen geschützt ist, wurde erst wieder durch Nationalsp­ieler Serge Gnabry vom FC Bayern München aufgezeigt. Direkte Auswirkung­en hätte dieser Fall aber am Wasen nicht. „Wir haben noch keine Anpassunge­n vorgenomme­n, sind aber schon sensibilis­iert“, so Matarazzo.

Dennoch. Es sei „schwierig, sich an etwas zu gewöhnen, wenn es sich ständig ändert und zuspitzt“, sagte der VfB-Coach mit Blick auf die dynamische Pandemiela­ge. „Jede Woche gibt es Veränderun­gen – wie bei den Zuschauern. Natürlich macht man sich Sorgen.“

Zumindest ein kleiner Trost, wenn wenigstens die Tabellensi­tuation dafür keinen Anlass bietet.

 ?? FOTO: HERBERT RUDEL/IMAGO IMAGES ?? Pellegrino Matarazzo (li.) hat seinen Kader im Griff und schwärmt von Silas Wamangituk­a.
FOTO: HERBERT RUDEL/IMAGO IMAGES Pellegrino Matarazzo (li.) hat seinen Kader im Griff und schwärmt von Silas Wamangituk­a.

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