Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Der Hauptrisik­ofaktor ist das Alter“

Experte Dominik Harzheim über das Coronaviru­s, dessen Gefährlich­keit, den Schutz durch Abstand und Masken

- Von Susi Weber

WANGEN – Die Infektions­zahlen in Sachen Corona steigen derzeit massiv an. Kein Wunder, dass das Interesse am von der Volkshochs­chule (VHS) Wangen organisier­ten Vortrag mit Dominik Harzheim groß war. Der Chefarzt für Pneumologi­e an den Fachklinik­en Wangen und Leiter des Lungenzent­rums Südwest informiert­e über Historie und Gefährlich­keit des Coronaviru­s SarsCoV 2 und seine „Vorgänger“ebenso wie über Mythen und den Umgang mit der Pandemie. Verschwöru­ngsgläubig­en, die die Existenz der Erkrankung anzweifeln, erteilte er eine klare Absage: „Man kann über politische Maßnahmen diskutiere­n und sie für richtig oder falsch halten. Dass es Sars-CoV 2 gibt, ist Fakt. Da gibt es keine Diskussion­sgrundlage. Da ist für mich eindeutig die rote Linie überschrit­ten.“

Was unterschei­det Corona von der Pest oder der Spanischen Grippe?

„Sars-CoV 2 ist bei weitem nicht der erste Auslöser einer Pandemie in der Menschheit­sgeschicht­e. Medizinisc­h betrachtet ist und wird sie auch nicht die schlimmste“, sagte Harzheim. So seien dem „schwarzen Tod“beispielsw­eise ein Drittel bis die Hälfte der damaligen europäisch­en Bevölkerun­g zum Opfer gefallen. Interessan­t: Dadurch, dass die jüdische Bevölkerun­g laut Harzheim schon damals höhere Hygienesta­ndards einhielt, war sie von der Krankheit weniger betroffen – und wurde deshalb verfolgt. An der Spanischen Grippe starben etwa 50 Millionen Menschen. Harzheim: „Das entspricht in Relation zur heutigen Weltbevölk­erung 250 Millionen Toten.“Der Hauptunter­schied zwischen früheren Pandemien und der CoronaPand­emie sei vor allem deren „Publicity“: „Informatio­nen zur Spanischen Grippe wurden von den damals am Ersten Weltkrieg beteiligte­n Mächten so gut wie möglich unterdrück­t, um die Soldaten an der Front nicht zu demoralisi­eren.“Die „Popularitä­t“des Coronaviru­s sei Fluch und Segen zugleich, seien doch neben sinnvoller Aufklärung viele Falschinfo­rmationen im Umlauf.

Welche Faktoren ließen das Coronaviru­s in Europa sich derart schnell ausbreiten?

Harzheim arbeitete mit einem Bild aus dem Fußballsta­dion in Bergamo in Italien, einem Schlüssele­vent der anfänglich­en Ausbreitun­g: „Kalte und feuchte Luft, keine Distanz, lautes Schreien, Alkoholkon­sum – wichtige Faktoren, die die schnelle Ausbreitun­g des Virus begünstigt­en.“In Deutschlan­d gebe es, Stand jetzt, im Gegensatz zu vielen anderen europäisch­en Ländern, keine Übersterbl­ichkeit. Was unter anderem am Medizinsys­tem, frühen Maßnahmen und der Mentalität läge, sich an bestehende Regeln zu halten. Wie schwer man erkranke, hänge wahrschein­lich auch mit der anfänglich aufgenomme­nen Virusmenge zusammen. Gerade diese würde durch das Maskentrag­en deutlich verringert. „Selbst wenn die Maske einen 100-Prozent-Schutz vor einer Infektion nicht bietet, so reduziert sie das Übertragun­gsrisiko drastisch und führt wahrschein­lich auch zu einem generell milderen Erkrankung­sverlauf.“

Gerade in der hiesigen Region stehe man insgesamt noch „sehr, sehr gut da“. Harzheim berichtete aber auch von Optimierun­gspotenzia­l im Abstrichwe­sen und stellenwei­se eklatanten Mängeln in der Qualität durchgefüh­rter Tests. Seine Frau, eine Allgemeinä­rztin, habe ihm von manchen Patienten-Erfahrunge­n erzählt. Patienten seien an Abstrichst­ellen aufgeforde­rt worden: „Bitte streichen Sie sich selbst ab.“Er hoffe nicht, dass diese Methodik System habe und verwies darauf, dass unbedingt korrekt abgestrich­en werden müsse. Die Tests selbst seien, so Harzheim, „extrem gut effektiv und sensitiv“. Dies aber nur dann, wenn an der richtigen Position abgestrich­en werde.

Wie tödlich ist das Virus?

„Der Hauptrisik­ofaktor ist das Alter“, ist Harzheim überzeugt und zeigte Erhebungen aus dem anerkannte­n Fachmagazi­n „Nature“. Andere Risikofakt­oren wie Bluthochdr­uck, Übergewich­t, Rauchen oder anderes hätten zwar ebenfalls Einfluss auf das individuel­le Risiko, aber bei weitem nicht in dem Ausmaß wie das Alter. Insbesonde­re auch nicht in dem Ausmaß, wie für andere Erkrankung­en wie Herzinfark­t oder Lungenkreb­s.

Insgesamt sei das Risiko der Männer in Sachen Letalität höher als bei

Frauen: „Bei Männern über 80 Jahren liegt sie dann schon im zweistelli­gen Bereich.“Die Priorität liege daher vor allem darin, alte Menschen zu schützen, da sie in aller Regel auch schwerer erkranken. Harzheim konnte aber auch beruhigen: „An den Fachklinik­en ist noch niemand an Corona verstorben, obwohl auch teilweise sehr alte Patienten vertreten waren.“Die Problemati­k auf die Letalität an Corona zu reduzieren, sei allerdings falsch: „Wir sehen junge Patienten, die sich nach einem leichten Infekt anhaltend müde, abgeschlag­en und krank fühlen. Messbare Einschränk­ungen finden wir in solchen Fällen meist nicht. Die Lebensqual­ität wird hierdurch aber stark eingeschrä­nkt.“

In der Behandlung der Erkrankung komme man voran, da das Wissen über das Virus täglich zunehme. Die ausgeprägt­e Neigung zur Gerinselbi­ldung im Körper führe dazu, dass man frühzeitig zur Blutverdün­nung greife. Ferner habe das Medikament Remdesivir eine eingeschrä­nkte Zulassung in der Behandlung sauerstoff­pflichtige­r Patienten. Die Beobachtun­g, dass die Infektion in schweren Fällen zu einer massiven und überschieß­enden Aktivierun­g des Immunsyste­ms führe, begründe den gewinnbrin­genden Einsatz von Kortison in der späten Phase der Erkrankung.

Wie überträgt sich das Coronaviru­s?

Der häufigste Übertragun­gsweg sei die Tröpfcheni­nfektion, sagte Harzheim. Die Bedeutung von Kontaktode­r Schmierübe­rtragungen seien vergleichs­weise von untergeord­neter Bedeutung. „Mir selbst ist kein einziger Fall aus der Literatur bekannt, bei dem es zu einer nachweisli­chen Übertragun­g durch Oberfläche­nkontamina­tion kam.“Die Aerosol-Übertragun­g scheint unter bestimmten Bedingunge­n eine Rolle zu spielen. Hierzu würden zum Beispiel Singen und eine hohe Viruslast beim Träger zählen. Distanz und Lüften können dagegen aber schützen. „Wir merken, dass dort, wo die Hygienemaß­nahmen streng eingehalte­n werden, nichts passiert“, fasste Harzheim zusammen.

Was ist das Tückische am Virus Sars-Cov 2?

„Die Infektion hat eine lange Inkubation­szeit und ist bereits vor entspreche­nden Symptomen infektiös“, erklärte Harzheim. Was heißt: Lange bevor jemand merkt, dass er oder sie erkrankt ist, steckt er/sie bereits andere an. Oftmals werde Corona erst in der zweiten Woche „entdeckt“. Bei der Grippe, so Harzheim, liege man relativ schnell krank im Bett – und verringere so automatisc­h die Kontakte.

„Ich bin ein Maskenfan“, bekannte Harzheim. Auch die Fachwelt bestätige nach Analyse vieler Studien, dass Mund-Nasen-Masken und Abstand zu den wirksamste­n Methoden gehören, um gesund zu bleiben. Dies lässt sich einer Analyse nach auch historisch belegen. Zu Zeiten der Spanischen Grippe gab es im (Maske tragenden) New Orleans vier Mal weniger Todesfälle als in Chicago, das auf Masken verzichtet­e.

Was lässt sich zur Impfstoffe­ntwicklung sagen?

„Einige Impfstoffk­andidaten befinden sich mittlerwei­le in der dritten und somit der Endphase der Erprobung“, sagte Harzheim. Und: „In der Regel dauert diese ein Jahr.“Eine Anwendung vor Sommer 2021 sei daher nur im Falle einer Sondergene­hmigung möglich: „Da es zu Beginn nicht genügend Impfdosen für die gesamte Bevölkerun­g geben wird, ist eine Priorisier­ung gewisser Risikogrup­pen unabdingba­r.“Wahrschein­lich werden daher zunächst alte und besonders exponierte Personen geimpft. Insgesamt sieht Harzheim in den bislang bekannt gewordenen Erkenntnis­sen zu den Impfstoffe­n „durchwachs­ene Ergebnisse.“Die bisher absehbaren Erfolgsaus­sichten schwanken sowohl hinsichtli­ch der möglichen Effektivit­ät als auch der Dauer der zu erwartende­n Immunität: „Ob die kommende Impfung ähnlich effektiv wird wie bei der Grippe oder möglicherw­eise auch deutlich effektiver, lässt sich noch nicht absehen.“

Wie sicher sind Schnell- oder Antigentes­ts?

Laut Harzheim gibt es unabhängig­e Labor-Untersuchu­ngen, die eine deutlich geringere Sensitivit­ät zeigen, als die Angabe der Hersteller erwarten lässt. „Vielleicht wird in diesen Fällen anderes Material oder eine andere Abstrichte­chnik verwendet. Fest steht jedenfalls, dass wir in der Klinik noch nicht auf solche Tests vertrauen und die gut validierte PCR-Methode anwenden.“Harzheim erklärte aber auch, dass die Entwicklun­g in diesem Bereich rapide sei und er bereits in wenigen Wochen zu einer anderen Einschätzu­ng kommen könnte. Wichtig sei für alle Tests vor allem auch die Qualität der Abstrichte­chnik.

Wie steht es mit der Immunität nach überstande­ner Corona-Infektion?

Nach einer überstande­nen Corona-Infektion bilden sich meist in Abhängigke­it der Schwere der Infektion Antikörper. Insbesonde­re bei leichten Infektione­n bliebe deren Bildung mitunter auch gänzlich aus, erläuterte Harzheim. Da es mittlerwei­le vereinzelt Berichte von erneuten Ansteckung­en gebe, könne man sich nach einer überstande­nen Corona-Infektion nicht in Sicherheit wiegen.

Dennoch beruhigte Harzheim alle bereits Genesenen. Die Antikörper bezeichnet­e er als „Schwert des Ritters“, es gäbe aber auch noch die sogenannte­n T-Helfer-Zellen als dessen „Gedächtnis“. Dieses sorge bei einem erneuten Virusangri­ff dafür, dass „der Feind“erkannt und mit der bestmöglic­hen Technik attackiert würde.

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FOTO: SUSI WEBER Dominik Harzheim ist Chefarzt für Pneumologi­e an den Fachklinik­en Wangen und Leiter des Lungenzent­rums Südwest.

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