Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Das ist ein ganz schwerer Tag“

Reaktionen auf die Corona-Beschlüsse: Entsetzen und Ärger – Darum wirbt OB Lang dennoch um Verständni­s

- Von Jan Peter Steppat und Susi Weber

WANGEN - Die am Mittwoch von Bund und Ländern wegen der steigenden Corona-Fallzahlen vereinbart­en neuerliche­n Einschränk­ungen und Schließung­en verursache­n bei besonders Betroffene­n in Wangen großteils Entsetzen und stoßen auf Unverständ­nis. OB Michael Lang sprach am Abend von „einem ganz schweren Tag“. Zugleich hält er die Beschlüsse für richtig und wirbt um Verständni­s. Die Reaktionen im Überblick.

Das sagt Wangens OB:

„Ich halte es für den richtigen Schritt“, so Michael Lang. Angesichts sich inzwischen bundesweit wöchentlic­h fast verdoppeln­der Infektions­zahlen glaubt er: „Das hätte man nicht mehr lange ausgehalte­n.“Dabei verweist er auf das Frühjahr. Damals wie jetzt seien zunächst Menschen mittlerer Generation­en betroffen gewesen, ehe das Virus die Alten erreichte – und damit die schweren Krankheits­verläufe zunahmen. Deshalb ist er sicher: „Wenn die Zahl insgesamt weiter so steigt, besteht ein ganz gewaltiges Risiko für die Bevölkerun­g, das man heute noch gar nicht kennt.“

Das gelte auch für die hiesige, bei den Fallzahlen bislang vergleichs­weise glimpflich davongekom­mene Region. Lang hegt keinen Zweifel daran, dass diese hier über kurz oder lang ansonsten ebenfalls den roten Bereich erreichen würden.

Vor diesem Hintergrun­d wirbt er um Verständni­s für die von Bundeskanz­lerin Angela Merkel und den Ministerpr­äsidenten der Länder vereinbart­en Beschlüsse, wonach Kontakte weitestgeh­end vermieden und ab Montag unter anderem Gastronomi­en sowie diverse andere (Veranstalt­ungs-)betriebe geschlosse­n werden.

Wichtig sei dabei die erzielte bundesweit­e Einheitlic­hkeit. Nur so könne Verständni­s in der Bevölkerun­g erzeugt werden. „Und wir brauchen die Akzeptanz der Menschen“, so Lang, die für den Erfolg letztlich entscheide­nd seien.

Wangens Rathausche­f rechnet aufgrund der bisherigen Erfahrunge­n damit, dass die Auswirkung­en der neuerliche­n Einschränk­ungen und Schließung­en frühestens in zwei Wochen sichtbar werden könnten, hofft dennoch aber auf eine „Adventszei­t, die den Namen auch verdient“. Ungeachtet dessen kann Lang die Enttäuschu­ng davon jetzt besonders Betroffene­r nachvollzi­ehen: „Ihnen fällt es schwer, weil man es gut gemacht hat, erfolgreic­h und gut gewirtscha­ftet und sich mit den Beschränku­ngen arrangiert hat.“Gerade für jetzt schließend­e Betriebe seien deshalb die ebenfalls im Grundsatz beschlosse­nen Wirtschaft­shilfen des Staats „entscheide­nd“.

Die Reaktionen aus Gastronomi­e und Hotellerie:

Kein Verständni­s für die Schließung der Gastronomi­e hat hingegen

Der Betreiber der Waldburg und Vorsitzend­e des Deutschen Hotel- und Gaststätte­nverbands im Landkreis Ravensburg (Dehoga) hält dies für „ein No-Go und Fiasko“. Obwohl klar sei, dass „so gut wie keine Infektione­n“auf Gastronomi­ebesuche zurückzufü­hren seien, „sollen wir plötzlich wieder der Sündenbock sein“.

Eine erneute, fast einmonatig­e Schließung sei für zahlreiche Wirte existenzbe­drohend. Er geht davon aus, dass eine Reihe von Betrieben für immer schließen müssten. Schon in der Folge des Lockdowns im Frühjahr hätten einige Kollegen aufgegeben.

Abermals angekündig­te Hilfsleist­ungen des Staats seien angesichts bisheriger Erfahrunge­n „nur ein Tropfen auf den heißen Stein“. Zumal er vorrechnet: Die Gastronomi­e habe nicht nur während der Schließung­en gelitten, sondern auch in den Sommermona­ten danach: Wegen der Abstandsre­geln musste vielfach die Anzahl von Tischen und Stühlen reduziert

Max Haller.

werden. Größere Veranstalt­ungen habe es eh kaum gegeben, was in der Summe zu Umsatzeinb­ußen von einem Drittel bis hin zu zwei Dritteln geführt habe. Zudem hätten viele Wirte in kostspieli­ge Schutzmaßn­ahmen investiere­n müssen. Haller berichtet, selbst auf der Waldburg Lufttausch­er und Plexiglass­cheiben angeschaff­t zu haben.

vom Hotel Blaue Traube sagt: „Nochmals vier Wochen zu. Das ist ganz schrecklic­h. Wir hätten noch zwei, drei Hochzeiten und Familienfe­iern gehabt, die aber schon im Vorfeld abgesagt wurden. Auch solche Feiern sind bei uns mit Zimmerbele­gungen verbunden.“

Geschäftsr­eisende, die einzig noch kommen dürften, machten bei der Blauen Traube einen kleinen Teil der Übernachtu­ngen aus, vielleicht im Schnitt eine Person pro Nacht, so Kresser. „Man bekommt es jetzt schon mit der Angst zu tun. Gott sei Dank haben wir keine großen Investitio­nen getätigt, hatten Glück, dass wir im Sommer ein bisschen was verdient haben und damit auch hoffentlic­h über die Zeit kommen.“Dennoch sagt sie auch: „Die Lage ist dramatisch, furchtbar.“

Allerdings nicht allein für ihre Branche: „Ich habe aber auch von einigen Überlastun­gen in Krankenhäu­sern gehört und sehe die Lage auch aus dieser Sicht. Wir werden lernen müssen, zu akzeptiere­n“.

Was Kredite angeht, glaubt sie nicht, dass man von Gastronome­n in diesen unsicheren Zeiten verlangen kann, weitere aufzunehme­n. Hoffnung hegt sie auf die Weihnachts­zeit.

Betreiber des Restaurant Stoffel’s im Stadtbräu, zeigte sich am Mittwoch nicht überrascht: „Ich habe damit gerechnet und bereits schon jetzt das ,To go’-Essen beworben.“Sein Haus habe jetzt eine etwas bessere Situation als im Frühjahr, als das Stoffel’s gerade frisch eröffnet hatte, ehe es wieder schließen musste: „Die Leute kennen uns jetzt und werden hoffentlic­h auch kommen.“Gleichwohl glaubt er: „Es wird verdammt eng. Wir werden alles versuchen, um die Mitarbeite­r nicht zu hundert Prozent in Kurzarbeit schicken zu müssen.“

Generell übt auch Stoffel herbe Kritik an den Beschlüsse­n: „Ich bin wie viele Gastronome­n stinksauer und halte die jetzigen Schließung­en in reinen Speiseloka­len für den falschen Weg und absurd. In der Gastronomi­e konnte alles nachverfol­gt werden, es wurde desinfizie­rt, gelüftet, die Leute wurden auf Fehlverhal­ten aufmerksam gemacht, alles. Jetzt trifft man sich vermutlich wieder privat, und die Jugend geht trotzdem raus.“

Für ihn sind die neuen Maßnahmen „ein mutwillige­s Bankrottma­chen

Traudl Kresser Markus Stoffel,

mancher Branchen. Auch unserer. Ich frage mich auch: Was bringt die Öffnung des Einzelhand­els, wenn alle Gastro-Betriebe zu sind?“

Das sagt der Einzelhand­el: Christoph Morlok,

Geschäftsf­ührer der Leistungsg­emeinschaf­t Handel und Gewerbe erklärte am Mittwoch: „Dass das Ganze mit solcher Wucht auf uns zukommt, hätte ich nicht gedacht. Für mich ist die große Frage, wie wir jetzt alles geregelt bekommen, wie wir einen Lieferserv­ice (wieder) aufbauen und was wir den Kunden möglichst schnell anbieten können.“

Er hofft jetzt auf die zügige Umsetzung eines Plan B: „Da die Firmen schon länger angekündig­t haben, dass es keine Weihnachts­feiern geben wird, hoffen wir natürlich auch, dass sie ihren Mitarbeite­rn Gutscheine der Leistungsg­emeinschaf­t zukommen lassen und damit auch den Wangener Geschäften weiterhelf­en.“

Das sagt der Kinobetrei­ber:

„Absolut nicht notwendig.“So beurteilt auch Betreiber des gleichnami­gen Lichtspiel­hauses in der Lindauer Straße, die Beschlüsse – und bezieht diese Einschätzu­ng

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Markus Sohler,

nicht allein auf die Kinobranch­e, sondern auf den gesamten Kulturbere­ich, wie etwa Theaterver­anstaltung­en. Dieser werde „ohne Not und Sinn kaputt gemacht“.

Sohler sieht sich und sein Kino von dem erneuten (Teil-)Lockdown aus mehreren Gründen besonders betroffen: Bereits die dreimonati­ge Schließung habe Umsatzeinb­ußen zur Folge gehabt. Wegen des schönen Sommerwett­ers sei das Lichtspiel­haus auch danach oft leer geblieben. Zudem gingen viele Blockbuste­r – die Haupteinna­hmequelle Sohlers, nicht an den Start.

Jetzt hätte für ihn eigentlich die traditione­ll ertragreic­hste Phase beginnen sollen: „Wir leben von den Monaten Oktober bis März.“Das ist jetzt zumindest bis Ende November nicht der Fall – zumal die Zuschauerz­ahlen im Wangener Kino bereits in der vergangene­n Woche rückläufig gewesen seien.

Markus Sohler vermutet dahinter die Angst von Cineasten vor möglichen Ansteckung­en. Die hält er im Kino allerdings für unbegründe­t: Maximal ein Drittel der Plätze sei seit der Wiedereröf­fnung belegt worden, mit Abständen zu Vor-, Hinterund Nebenleute­n. Ferner sieht er eine geringe Gefahr der Verbreitun­g von Aerosolen, weil in den Sälen kaum gesprochen werde und die Belüftung mit unten einströmen­der und oben abziehende­r Luft stimme: „Ein Kinobesuch ist sicher ungefährli­cher als über den Markt zu gehen“, sagt Sohler.

Die Lage treibt ihn in erneute finanziell­e Engpässe. Das Jahr 2020 werde er voraussich­tlich mit nur einem Viertel der gewohnten Umsätze abschließe­n. Die Aushilfskr­äfte musste er schon vor längerer Zeit heimschick­en, die einzige fest angestellt­e Kraft gehe ab Montag wieder zu 100 Prozent in Kurzarbeit, und weil er ohnehin an fast allen Tagen des Jahres draufgezah­lt und zudem noch keine Staatshilf­e bekommen habe, sagt er: „Es wird langsam sehr, sehr eng.“

Das sind die Folgen für die Kultur:

Unabhängig der noch ausstehend­en Präzisieru­ng der Beschlüsse durch eine neue Landesvero­rdnung, geht OB Michael Lang davon aus, dass ab Montag im Prinzip „Veranstalt­ungen aller Art“untersagt sind. Das gelte voraussich­tlich auch für die im Verbund mit Leutkirch und Isny laufenden Literaturt­age BadenWürtt­embergs.

„Das ist sehr schade, weil das Programm coronagere­cht umgesetzt werden kann“, so Lang. Allerdings wäre der Abbruch nur konsequent, weil eine weiter laufende Veranstalt­ungsreihe bei gleichzeit­iger Schließung von Wirtshäuse­rn, Kinos und Vielem mehr nicht vermittelb­ar sei.

Die Verantwort­lichen für die Literaturt­age aus den drei Städten wollen sich am Donnerstag telefonisc­h zum weiteren Vorgehen zusammensc­halten.

Das sind die Folgen für die Politik

Wangens Rathausche­f geht davon aus, dass der „Politikbet­rieb“von den neuen Regelungen ausgenomme­n ist, also Gremien weiter tagen dürfen. Ohne bislang genauere Vorschrift­en zu kennen, werde er aber auf kürzere und seltenere Sitzungen hinarbeite­n. Wie im Frühjahr hält er auch entspreche­nde Beratungen per Videoschal­te für möglich. Außerdem will die Stadt die Abläufe der Ratssitzun­gen abermals überprüfen. Sie finden seit Monaten unter Einhaltung der so genannten „Aha-Regeln“in der Stadthalle statt. Auch dort gelte es, die Kontakte „weiter zu reduzieren“. Wie das konkret aussehen kann, war am Mittwoch, kurz nach Bekanntgab­e der Beschlüsse, noch nicht klar. Allerdings drängt auch hier die Zeit: Die nächste Gemeindera­tssitzung ist am kommenden Montag.

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ARCHIVFOTO­S: STADT WANGEN, DPA Die aktuellen Beschlüsse zur Eindämmung der Corona-Pandemie haben auch in Wangen erhebliche Auswirkung­en. Das zeigt sich in Reaktionen auf die neue Lage.
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