Es braucht harte Debatten
Die Kanzlerin macht Vorgaben, die Bundesländer folgen. Für ein Wirtshaus in Biberach gilt ab Montag dasselbe wie in Berlin, auch wenn die Infektionszahlen sich erheblich unterscheiden. Damit sind selbst entschiedene Verfechter des Föderalismus wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) vom Prinzip abgewichen, möglichst regionale Lösungen zu finden.
Katalysator dafür sind die Vorzeichen. Die täglichen Infektionszahlen könnten sich ohne Eingriff bis kommende Woche verdoppeln. Intensivmediziner warnen, die Lage auf den Stationen sei jetzt angespannter als im Frühjahr, trotz regionaler Unterschiede. Es gebe zwar mehr Betten und Beatmungsgeräte, aber nicht mehr Personal. Die Kontaktverfolgung gelingt selbst in bislang weniger stark betroffenen Regionen wie Südwürttemberg zum Teil nur noch mit Hilfe der Bundeswehr. Das einheitliche Vorgehen muss daher nicht falsch sein. Noch gut zu hören sind die Kritiker, die zuvor vor einem „Flickenteppich“an Regeln warnten.
Doch das darf nicht zu einem Durchregieren aus Berlin führen. Es schlägt die Stunde der Parlamente. Ihre ureigenste Aufgabe als Ort der Debatte. An Fakten orientiertes Handeln muss die Regierung dort erklären – und im Zweifel korrigieren. Ein Beispiel: die Debatte um Beherbergungsverbote. Selbst die meisten Infektiologen zweifelten an ihrem Sinn, sie sorgten für Unsicherheit und Ärger. Gut begründetes Regierungshandeln sieht anders aus.
Gleichzeitig illustriert der Fall, dass der Rechtsstaat funktioniert. Gerichte kippten die Verbote, weil sie unverhältnismäßig schienen. Wir leben also mitnichten in einer „Corona-Diktatur“, von der Zündler bereits schwadronieren.
Doch die Bereitschaft, der Regierung zu folgen, sinkt. Der erste Lockdown hat den zweiten nicht verhindert, Betriebe werden pleite gehen. Darum braucht es harte Debatten um den richtigen Weg – und diese gehören in die Parlamente.