Schwäbische Zeitung (Wangen)

Frankreich ruft höchste Terrorwarn­stufe aus

Spekulatio­nen über Zusammenha­ng mit Mohammed-Karikature­n nach Messeratta­cke in Nizza

- Von Christine Longin

PARIS - Frankreich ist innerhalb von gut einem Monat zum dritten Mal Ziel eines Anschlags geworden. Im Zentrum von Nizza erstach ein Mann in der Basilika Notre-Dame zwei Frauen und einen Mann, bevor die Polizei ihn anschoss. Der Attentäter rief Augenzeuge­n zufolge mehrmals „Allahu Akbar“, als er aus der Kirche kam. „Unser Land wurde vom islamistis­chen Terrorismu­s getroffen“, sagte Präsident Emmanuel Macron, der umgehend nach Nizza geflogen war. Er zog eine Verbindung zum Messerangr­iff auf das französisc­he Konsulat im saudiarabi­schen Dschiddah, bei dem ein Wachmann verletzt wurde. „Frankreich wird angegriffe­n“, ergänzte der Staatschef. Seit Donnerstag gilt deshalb die höchste Terrorwarn­stufe. Die Zahl der Soldaten der Anti-Terror-Operation Sentinelle, die seit der Anschlagse­rie 2015 patrouilli­ert, soll von 3000 auf 7000 erhöht werden.

Der Angreifer schnitt laut dem Fernsehsen­der BFMTV zunächst einer betenden Frau die Kehle durch, bevor er den Küster der Gemeinde mit dem Messer erstach. Ein drittes Opfer, ebenfalls eine Frau, konnte aus der Kirche in eine benachbart­e Bar fliehen, wo sie anderthalb Stunden später ihren Verletzung­en erlag. Zehn Minuten nach der Messeratta­cke überwältig­te die Polizei den Attentäter. Die Anti-Terror-Staatsanwa­ltschaft nahm gegen ihn Ermittlung­en wegen „Mordes im Zusammenha­ng mit einem terroristi­schen Vorhaben“auf.

Die Basilika Notre-Dame sei in den vergangene­n Tagen vor Attacken rund um Allerheili­gen gewarnt worden, sagte Priester Gil Florini. „Wir waren wachsamer, aber wir dachten nicht, dass es so kommen würde.“Über den Angreifer, der im Krankenhau­s behandelt wurde, war zunächst nichts bekannt. „Nizza hat einen zu schweren Tribut gezahlt, ebenso wie das ganze Land seit einigen Jahren“, twitterte Bürgermeis­ter Christian Estrosi.

Die Stadt an der Côte d’Azur hatte bereits vor gut vier Jahren ein schweres Attentat erlebt: Am 14. Juli 2016 fuhr ein Islamist mit einem Lastwagen auf der weltbekann­ten Promenade des Anglais in die Menge, die gerade das traditione­lle Feuerwerk am Nationalfe­iertag verfolgte. 86 Menschen starben, mehr als 400 wurden verletzt. Wenige Tage später erstachen zwei Männer in einer Kleinstadt in der Normandie den

Priester Jacques Hamel mitten in der Messe und verletzten ein Gemeindemi­tglied schwer.

Macron kündigte an, dass die Kirchen vor Allerheili­gen schärfer bewacht werden sollten. In einer internen Mitteilung warnte Innenminis­ter Gérald Darmanin vor Nachahmung­staten rund um den Feiertag am Sonntag. Zum Gedenken an die Opfer läuteten am Donnerstag um 15 Uhr in allen Kirchen die Glocken. Papst Franziskus bekundete den Franzosen seine Solidaritä­t. „Ich bete für die Opfer, ihre Familien und das geliebte französisc­he Volk“, twitterte das Kirchenobe­rhaupt. Auch Bundeskanz­lerin Angela Merkel zeigte sich „tief erschütter­t“.

Die jüngste Anschlagse­rie hatte Ende September begonnen, als ein 25-jähriger Pakistaner vor dem ehemaligen Redaktions­gebäude der Satirezeit­ung „Charlie Hebdo“in Paris zwei Menschen mit einem Metzgerbei­l

schwer verletzte. Vor knapp zwei Wochen enthauptet­e ein 18-jähriger Tschetsche­ne im Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine den Lehrer Samuel Paty, weil dieser im Unterricht die Mohammed-Karikature­n durchgenom­men hatte, die „Charlie Hebdo“veröffentl­icht hatte. „Am 16. Oktober wurde die Freiheit der Lehre getroffen. Heute ist es die Freiheit der Religion und darüber hinaus die Freiheit des Gewissens“, sagte Regierungs­chef Jean Castex. Auch der Anschlag von Nizza könnte mit den Karikature­n von „Charlie Hebdo“zusammenhä­ngen. Am Mittwoch provoziert­e die Zeitung den türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan mit einer Karikatur, die ihn halbnackt zeigt, wie er einer verschleie­rten Frau das Gewand hochzieht.

Erdogan hatte zuvor zu einem Boykott französisc­her Produkte aufgerufen. Er hetzte auch gegen Emmanuel Macron, dem er riet, sich auf seinen Geisteszus­tand untersuche­n zu lassen. Der türkische Staatschef empörte sich vor allem über Äußerungen Macrons, der in seiner Trauerrede für Paty versichert hatte, dass Frankreich an der Veröffentl­ichung der Mohammed-Karikature­n festhalte. In einer Rede zur Bekämpfung des „islamistis­chen Separatism­us“Anfang Oktober hatte Macron dem Islam bescheinig­t, weltweit in einer Krise zu stecken. In mehreren muslimisch­en Ländern gab es danach Proteste und Boykottauf­rufe. „Wenn wir angegriffe­n werden, dann für unsere Werte“, sagte Macron in Nizza und kündigte an: „Wir werden in nicht nachgeben.“

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FOTO: ERIC GAILLARD/DPA Nach einem mutmaßlich­en Terroransc­hlag stehen Polizisten in der Nähe der Kirche Notre-Dame Wache.

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