Schwäbische Zeitung (Wangen)

Tabra und Tabrartha

- R.waldvogel@schwaebisc­he.de

Gestern Abend war wieder Talk mit Maybritt Illner. Und am Sonntag ist Allerheili­gen. Was hat denn das miteinande­r zu tun, werden Sie fragen. Es gibt sehr wohl eine Verbindung zwischen der TV-Moderatori­n und dem Fest, an dem der heiligen Männer und Frauen gedacht wird. Denn in Familienna­men wie Illner, Ilgner, Ilg, Illies, Gilch, Gilg oder Gillies steckt der Name eines einst europaweit sehr populären Heiligen. Ägidius, oder kurz Egid, um 700 Gründer des berühmten Klosters St. Gilles in Südfrankre­ich. Als einer der 14 Nothelfer wird er stets mit einer Hirschkuh abgebildet, die er der Legende nach vor dem Tod durch einen Pfeil bewahrte.

Damit sind wir bei einem Teilaspekt der Familienna­menkunde. Ein Gutteil von ihnen sind von Rufnamen abgeleitet, wobei dieser Prozess schon im Mittelalte­r einsetzte, als vor allem Heilige bei Taufnamen Pate standen. Und weil das schon so lange her ist, veränderte­n sich diese Namen oft bis zur Unkenntlic­hkeit. Je populärer ein Heiliger war, desto größer die Zahl der Ableitunge­n. Nehmen wir nur einmal den damals häufigsten Rufnamen Johannes. Auf ihn gehen Händel und Handke zurück, aber auch Hansel, Hanisch, Jansen, Jahn, John, Jänichen etc. Und auf dem zweithäufi­gsten Namen Nikolaus sollen sogar über 80 Familienna­men beruhen. Eine Auswahl: Nickel, Nickelsen, Nigg, Claasen, Klasing, Klages, Kloos, Laas, Lohse, Klosa, Klauck, Miksch, Mikolasche­k – und Nietzsche.

Andere Heilige waren vor allem in ihrer Region reprodukti­v: Severin (Frings) rund um Köln, Ruprecht (Rupp) in Bayern, und Jodokus (Jauss) im Stuttgarte­r Raum. Und genderbewu­sst, wie wir sind, wollen wir die weiblichen Heiligen nicht vergessen: Gertrud versteckt sich in Gehlen, Luitgard in Leuckert, Mechthild in Metz und Agathe in Eitner.

Aber auch im Oberland wird man fündig. Wenn sich hierzuland­e die Familien Baisch, Enderle, Heiß, Keinath und Jäggle treffen, was haben wir dann? Eine Sacra Conversazi­one. So nennt man in der Kunstgesch­ichte Bilder mit einer Ansammlung von mehreren Heiligen – in diesem Fall Sebastian, Andreas, Matthias, Konrad und Jakobus. Nun noch zu zwei einst sehr bedeutende­n Heiligen, auf die man auch nicht so schnell kommt. Hinter dem Namen Niess verbirgt sich Dionysius, der erste Bischof von Paris, der um 250 mit seinen Gefährten auf jener Anhöhe enthauptet wurde, die seither Montmartre (Berg der Märtyrer) heißt. Er soll dann mit dem Kopf unter dem Arm noch bis zu

Unsere Sprache ist immer im Fluss. Wörter kommen, Wörter gehen, Bedeutunge­n und Schreibwei­sen verändern sich. Jeden Freitag greifen wir hier solche Fragen auf.

seiner Kirche gelaufen sein – und deswegen wird Dionys, ebenfalls ein Nothelfer, auch immer so dargestell­t, was einen in Begleitung von Kindern in Erklärungs­nöte bringen kann. Nicht minder grauslich sind die Bilder seines Nothelfer-Kollegen Pantaleon, der sich um 300 als Leibarzt des Kaisers Maxentius zum Christentu­m bekannte und dem die Folterknec­hte die Hände auf dem Kopf festnagelt­en. Hochverehr­t wurde er auch in unserem Landstrich – die vielen Oberschwab­en namens Bentele zeugen davon.

Unter den Tagesheili­gen des heutigen 30. Oktober finden sich auch Theodegar, Theonestos, Tabra und Tabrartha. Gehen wir einmal bis zum Beweis des Gegenteils davon aus, dass sie in den Familienna­men des Oberlands keine Spuren hinterlass­en haben.

Wenn Sie Anregungen zu Sprachthem­en haben, schreiben Sie! Schwäbisch­e Zeitung, Kulturreda­ktion, Karlstraße 16, 88212 Ravensburg

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Rolf Waldvogel

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