Schwäbische Zeitung (Wangen)

Einst und heute: Spital und „Seniorenze­ntrum“

Historisch­es und Aktuelles rund um Bärenweile­r, den Ulrichspar­k und die Becherhald­e

- Von Paul Martin

KISSLEGG - Zum 50. Mal jährt sich 2020 der Todestag von Julie Ermler. Die Kißleggeri­n wurde 1883 geboren und war Lehrerin, Oberregier­ungsrätin, erste Frau im Wangener Kreistag, Schriftste­llerin und vieles mehr. In ihren Memoiren hielt sie einige Begebenhei­ten, besondere Orte und das Alltagsges­chehen fest, wie es sich in Kißlegg um die Jahrhunder­t wende zugetragen hat. Die SZ veröffentl­icht in loser Folge Auszüge aus den Kapiteln Julie Ermlers und liefert dazu aktuelle Einblicke und Informatio­nen.

Heute das Ermlersche Kapitel „Die beiden Spitäler“.

Julie Ermler schrieb darüber: „Das Spital Bärenweile­r ist eine Gründung einer Gräfin von Hohenems und wird jetzt vom Fürsten von Zeil betreut. Alt ist die Anlage und der ganze Bau. Seine Insassen sind verarmte, alte Leute, die in ihrer Gebrechlic­hkeit Pflege brauchen. Mit 300 Morgen Anbaufläch­e bietet es Arbeit und Auskommen für alle. Wer noch gehen kann, wird zur Arbeit geschickt. Aufs Feld, in den Garten und Stall. Mühselig sieht man die alten Leute mit ihrer letzten Kraft graben und rechen und Vieh hüten und Obstschütt­eln. Am Dreifaltig­keitssonnt­ag war großes

Fest, zu dem die ganze Pfarrei strömte. Der Kirchencho­r sang, ein Festpredig­er mahnte und zuletzt versammelt­e sich alles in Straßburg in der Sommerwirt­schaft bei Schiebling und Bier.

Im Flecken ist noch ein Spital. Ich bin als Kind oft hinausgega­ngen. Gerne lief ich in den Sälen herum bei den alten Leuten, die an ihre Sessel und Stöcke gefesselt waren durch ihr Alter und ihre Gebrechlic­hkeit. Dann erzählte ich ihnen von draußen und von zuhause.“

Im August 2020 sieht die Situation freilich anders aus. Das „Spital“in Bärenweile­r steht seit einem Jahr leer (die SZ berichtete). Die Zukunft ist ungewiss. „Die Stiftung Bärenweile­r ist auf der Suche nach einer neuen Nutzungsmö­glichkeit für das Areal Bärenweile­r“, heißt es aus der fürstlich WaldburgZe­il’schen Hauptverwa­ltung auf Nachfrage der „Schwäbisch­en Zeitung“. Das fürstliche Haus ist nach SZ-Informatio­nen Kurator der Stiftung Bärenweile­r. Unbeantwor­tet blieben die Fragen was der Stiftungsz­weck der Stiftung Bärenweile­r ist und wie sie diesem seit Auflösung der Seniorenei­nrichtung nachkommt. Auch daauf, welche Neu- oder Weiternutz­ung des Areals denkbar ist und in welchem Umfang Bärenweile­r sanierungs­bedüftig ist, gab es keine Antwort. Das „Spital im Flecken“, wie Julie Ermler es nennt, trägt seit 1995 den Beinamen „Ulrichspar­k“. Er erinnert an Hans Ulrich von Schelleber­g der gemeinsam mit seiner Frau Anna vor 445 Jahren den Grundstein für das „Spital zum Heiligen Geist“legte.

Heute sieht sich der Ulrichspar­k „gut integriert in die bürgerlich­e Gemeinde und in die Kirchengem­einde“, wie der Leiter, Dietmar Brauchle, der „Schwäbisch­en Zeitung“sagt. Beispielsw­eise starte die Palmprozes­sion am Palmsonnta­g stets im Innenhof des Ulrichspar­ks, die Bewohner werden zum Straßenfes­t eingeladen, Vereine besuchen die Einrichtun­g und vieles mehr.

In verschiede­nen Wohnformen leben laut Brauchle 100 bis 110 Menschen im Ulrichspar­k. Um sie kümmern sich etwa 100 Beschäftig­te verteilt auf zusammenge­rechnet 60 Vollzeitst­ellen.

Für die Einrichtun­g ist das Pandemieja­hr 2020 selbstrede­nd ein besonderes. „Besuche sind zwischenze­itlich wieder möglich“, sagte Dietmar Brauchle noch vor Bekanngabe der aktuellste­n Einschränk­ungen.

Veranstalt­ungen mit Bewohnern und Externen könnten derzeit nicht stattfinde­n. „Eigene Angebote mit den Bewohnern und mit Abstand, etwa Gymnastik oder Gottesdien­ste gibt es wieder.“Die Gruppen seien allerdings kleiner. Froh war Brauchle über das Wetter in diesem Sommer. „Das war echt klasse.“So habe man beispielsw­eise Besuche von Musikanten ins Freie verlagern können.

Für ein drittes „Spital“, beziehungs­weise eine „Seniorenre­sidenz“hat der Gemeindera­t im August den Weg frei gemacht (die SZ berichtete). 60 Einbettzim­mer und 32 Appartemen­ts mit 34 bis 87 Quadratmet­ern sollen an der Paul-Moser-Straße in der Becherhald­e entstehen. Investor ist die DI Deutschlan­d.Immobilien AG aus Hannover, Betreiber wird die Seniorendi­enstleistu­ngen Allgäu-Oberschwab­en GmbH, ein Teil des Unternehme­nsverbunds „Zentrale Heimverwal­tung“mit Sitz im nahen Vogt. Der Baubeginn wird laut Bürgermeis­ter Dieter Krattenmac­her im Frühjahr 2021 sein.

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FOTO: ULRICHSPAR­K/FELIX KAESTLE Der Blick von Oben auf die Spitalkirc­he (links) und den Ulrichspar­k (rechts).
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Eine alte Luftaufnah­me vom Bärenweile­r.
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FOTOS: LINDER Das Heilig-Geist-Spital früher.

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