In Ludwigsburg begeisterte de Gaulle die deutsche Jugend für die Aussöhnung
Sechstägige Deutschlandreise im Jahr 1962 war wichtiger Schritt auf dem Weg zum Élysée-Vertrag
Der deutsche Südwesten verbindet mit Charles de Gaulle vor allem drei historische Ereignisse: die Befreiung durch die 1. französische Armee im Jahr 1945 und die nachfolgende Besatzungszeit, die Rede an die deutsche Jugend im Jahr 1962 in Ludwigsburg und einen Blitzbesuch in Baden-Baden 1968.
Schon wenige Monate nach dem triumphalen Einzug ins befreite Paris war sich General Charles de Gaulle sicher: „Beim Sieg wird Frankreich in vorderster Reihe mit den Waffen in der Hand sein“, sagte der Chef der provisorischen Regierung Frankreichs in seiner Radioansprache zur Jahreswende 1944/45.
Seine Rechnung ging auf: Frankreich, obwohl von den „Großen Drei“nicht nach Jalta eingeladen, als die Nachkriegsweichen gestellt wurden, war die vierte Siegermacht. Frankreich musste für de Gaulle eine
1945:
Besatzungszone haben, damit nichts mehr ohne Paris entschieden werden konnte und sein Land endgültig den aggressiven Nachbarn nicht mehr fürchten musste. Keine deutsche Zentralgewalt mehr, internationale Kontrolle über das Ruhrgebiet, Selbstständigkeit für das Saarland, das sich erst 1957 aus der Union mit Frankreich lösen konnte, und einen Sonderstatus für das Rheinland – das waren die Ziele, die de Gaulles Strategie und dann auch die Besatzungspolitik bestimmten.
Etwa eine Million Deutsche war in französischer Kriegsgefangenschaft, als der Krieg endete. Immerhin zwölf Prozent des zerstörten Deutschland wurden von Frankreich kontrolliert und für eigene Zwecke genutzt, als die Besatzungsmächte ihre Gebiete aufgeteilt hatten. Erst 1948 verzichtete Frankreich endgültig auf die meisten seiner Vorbedingungen
und stimmte der Gründung der Bundesrepublik zu. Aber da hatte sich de Gaulle schon lange – fürs Erste – aus dem Regierungsgeschäft zurückgezogen.
Zum Abschluss seiner Deutschlandreise besuchte Charles de Gaulle am 9. September den Truppenübungsplatz Münsingen, die Stadt Stuttgart und am Nachmittag Ludwigsburg. Als wichtigsten Baustein für eine Union zwischen Deutschland und Frankreich betrachtete der französische Staatschef die Jugendlichen beider Länder. Zum Abschluss seines Deutschlandbesuches wollte er sich deshalb mit einer Rede im Hof des Ludwigsburger Schlosses an die deutsche Jugend richten.
Etwa 20 000 Jugendliche hörten den General. Heute würde man die Rede, die de Gaulle hielt, als pathetisch bezeichnen. Er bezeichnete
1962:
sie als „Kinder eines großen Volkes“und betonte, dass sie eine zentrale Rolle spielten für die gelebte Aussöhnung zwischen Deutschen und Franzosen, für den Kampf gegen den Kommunismus und für die Bekämpfung der Unterentwicklung in der Welt allgemein.
De Gaulle hatte damit Deutschland, den Erbfeind vieler Generationen, zum engsten Bundesgenossen erklärt und das im Zweiten Weltkrieg vernichtend geschlagene Land symbolisch aus dem Staub gehoben. Im Westen der geteilten Nation waren gerade für die Jugend Europa und die Versöhnung mit den einstigen Gegnern der einzige erkennbare Weg in eine gute Zukunft. Wie in den Tagen zuvor erhielt de Gaulle auch für seine letzte Rede breiten Zuspruch und große Beifallsbekundungen, nicht zuletzt wegen des symbolträchtigen Inhalts.
Die sechstägige Deutschlandreise hatte ihn nun endgültig davon überzeugen können, dass zahlreiche deutsche Politiker, die deutschen Arbeiter, die Offiziere, die Jugend und allgemein eine überragende Mehrheit der Westdeutschen eine deutsch-französische Aussöhnung herbeisehnten und eine engere Kooperation beider Staaten freudig begrüßten. Er eröffnete damit eine einzigartige Zusammenarbeit, die schließlich im Januar 1963 im Élysée-Vertrag ihren völkerrechtlich verbindlichen Rahmen fand.
Da schien Frankreichs starker Mann ganz schwach: Auf dem Höhepunkt der Studenten- und Arbeiterunruhen vom Mai 1968 verschwand der damalige französische Staatspräsident Charles de Gaulle überraschend von der Bildfläche. Ziel seines geheimen Ausflugs: Baden-Baden. Im Schwarzwald-Kurort
1968:
war das Hauptquartier der französischen Streitkräfte in Deutschland. De Gaulle suchte bei General Jacques Massu Rückendeckung durch die Armee.
Viele sahen damals das Ende von de Gaulles Herrschaft. Frankreich hatte genug von seinem Weltkriegshelden. „Tout est foutu“(alles ist hin) soll de Gaulle zu Massu gesagt haben. Doch der General mit Algerien-Erfahrung beschwor de Gaulle, nicht aufzugeben. So zumindest die Erinnerung Massus. Andere behaupteten, der Flug des Präsidenten samt Frau sei nur ein Bluff gewesen, um in Frankreich die gewünschte Reaktion zu provozieren.
Jedenfalls gelang dem 77-jährigen Staatschef ein überraschendes Comeback: Er löste die Nationalversammlung auf und ordnete Neuwahlen an. Sieger der Wahlen wurden die Gaullisten. (dpa/sz)