Schwäbische Zeitung (Wangen)

Für Dich immer noch Sie

Immer öfter duzen Unternehme­n ihre Kunden, obwohl die den persönlich­en Ton oft gar nicht schätzen

- Von Mesale Tolu

RAVENSBURG - „Hallo Mesale, gute Nachricht! Wir haben deine Bestellung erhalten.“Eine Nachricht, die stutzig macht. Das Gefühl sagt: Da stimmt doch irgendetwa­s nicht. Warum nutzt ein fremdes Unternehme­n das informelle Du? Warum spricht es seine Kunden mit dem Vornamen an? Ungefragt, ob es der Angesproch­ene erlaubt oder nicht. Ist es nicht zu persönlich, zu freundscha­ftlich?

Das Duzen von Kunden ist kein neues, aber ein junges Phänomen. Vorreiter der Strategie ist der schwedisch­e Möbelkonze­rn Ikea. Der Werbesloga­n „Wohnst du noch oder lebst du schon?“aus dem Jahr 2002 gehört zu den Sprüchen, an die sich viele Kunden noch Jahre danach erinnern werden. Auch die Werbetafel­n oder die Spots des Unternehme­ns bedienen sich der persönlich­en Ansprache: Ob jung, alt, Akademiker oder Student – alle werden geduzt. Für das Möbelhaus ist es keine Frage des Alters, Anstands oder der Hierarchie, sondern eine Frage des Marketings. Eine Strategie, die für einen Wandel in der Geschäftsk­ultur steht, den inzwischen mehr und mehr Unternehme­n aufgreifen. Ein Trend, der auch gesellscha­ftliche Gewohnheit­en verändert – ob beim Schreiben von EMails, beim Einkaufen oder beim Essen im Restaurant.

Auch beim Vorreiter Ikea war der persönlich­e Ton nicht immer angesagt, wie Nathalie Schmoll von der Abteilung Corporate Communicat­ions bei Ikea im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“erläutert. „Vor einigen Jahren haben wir uns entschiede­n, unsere Kunden in der Außenkommu­nikation auch in Deutschlan­d mit Du anzusprech­en.“Als Grund für den Übergang zum Du gibt Schmoll die schwedisch­e Herkunft an. „In Schweden sagt man grundsätzl­ich Du. Trotzdem ist man dort nicht unhöflich zueinander. Ganz im Gegenteil: Dort werden Höflichkei­t und ein respektvol­ler Umgang miteinande­r großgeschr­ieben.“Denn durch das Duzen gehe man bewusster miteinande­r um, und das Siezen stehe nicht automatisc­h für respektvol­les Miteinande­r. „Das Sie schafft Distanz und unterstütz­t hierarchis­che Strukturen“, heißt es bei dem Unternehme­n.

Auch das Start-up Mymuesli mit Sitz in Passau, mitbegründ­et vom Sigmaringe­r Philipp Kraiss, gehört zu den Firmen, die das Siezen als Hürde zwischen Unternehme­n und Kunden sehen. Kaum bestellt eine Kundin sich eine Packung Müsli, gehört sie schon zum Kreis der Freunde des Müsli-Hersteller­s. Nachrichte­n wie „Liebe Mesale, ganz ehrlich: Wir vermissen dich! Offenheit ist das A und O, auch für eine gute Müslifreun­dschaft“sind bei dem Unternehme­n von Kraiss nichts Ungewöhnli­ches. „Wir haben uns seit der Gründung von Mymuesli als Kunden in eigener Sache gesehen. Und dadurch gar nicht so stark differenzi­ert zwischen denen, die Mymuesli kaufen, und uns selbst“, erklärt Mymuesli-Mitgründer und Geschäftsp­artner von Philipp Kraiss, Hubertus Bessau, auf Nachfrage. Das, was die MüsliUnter­nehmen mit ihren Kunden zusammenbr­inge, sei die Liebe zum Müsli. „Und seine Freunde duzt man eben“, sagt Bessau.

Eine noch stärkere Bindung zum Kunden will auch die Reutlinger Bekleidung­smarke Bergmensch aufbauen. „Bergmensch ist viel mehr als nur eine Bekleidung­smarke. Wir möchten eine Familie aus Menschen kreieren, die dieselben Werte teilen und eine ähnliche Weltanscha­uung haben“, antwortet Mitbegründ­er Dominik Ebenkofler auf die Frage der „Schwäbisch­en Zeitung“, warum der T-Shirt-Hersteller seine Kunden duzt. Auch bei der Vermarktun­g der Pullis, Hemden und Schals spricht das Unternehme­n seine Kunden auf eine motivieren­de Art an: „Mit dem Bergmensch Logo Hoodie zeigst du der Welt, dass du ein echter Bergmensch bist.“Bergmensch wolle „Menschen verbinden, inspiriere­n, und es schaffen, zusammen die Welt ein kleines bisschen besser zu machen.“ Das fange bei kleinen Dingen an – eben wie beim Sie. „Freunde siezen sich nicht“, sagt Ebenkofler

Ein sehr gewagtes Vorhaben, findet Personalbe­raterin Isabel Schürmann, die als Mitglied des Netzwerks „Etikette Trainer Internatio­nal“gesellscha­ftliche Entwicklun­gen analysiert, sie mit traditione­llen Formen vergleicht und Empfehlung­en für zeitgemäße Umgangsfor­men gibt. Sie verstehe zwar die Motivation der jungen Unternehme­n, habe aber dennoch ihre Zweifel: „Natürlich wollen die jungen Start-ups auch eine Identifika­tion mit dem Unternehme­n herstellen. Das Duzen soll als Eisbrecher fungieren und auch motivieren“, sagt Schürmann. Doch eine Kauf-und-Verkaufsbe­ziehung als Freundscha­fts- oder Familienve­rhältnis aufzuziehe­n oder gar unter das Motto von gemeinsame­n Werten zu stellen, geht der Expertin etwas zu weit. „Da stellt sich ja dann doch die Frage: Was ist denn eigentlich Freundscha­ft? Wie haben wir früher eine Freundscha­ft gesehen, wie sehen wir sie heute?“, erläutert Schürmann. Spätestens dann, wenn Reklamatio­nen anstünden, gingen die Unternehme­n

vom freundscha­ftlichen Du zu einem geschäftli­chen Sie über, sagt Schürmann. Eine Freundscha­ft, die an einem seidenen Faden hängt und zerbricht, wenn das Produkt nicht gefällt oder kaputtgeht.

Hinzu kommt: Viele Kunden geht der betont lockere Ton viel zu weit. Ikea und Mymuesli gestehen, dass sie für das Duzen ihrer Kunden auch kritisiert werden und Kunden es sogar als unangenehm empfinden: In der direkten Kundenansp­rache in Briefen oder Mails „sind wir in Deutschlan­d beim Sie geblieben, denn hier zeigen sich die gesellscha­ftlichen Unterschie­de zwischen Schweden und Deutschlan­d, und das Du wird von manchen Kunden als unangebrac­ht empfunden“, erklärt Ikea. Für Isabel Schürmann völlig verständli­ch: „Kulturell bedingt haben wir das Sie als Form der Höflichkei­t verinnerli­cht, daher ist es nicht verwunderl­ich, dass sich Kunden über das Duzen beschweren.“Ein Spagat zwischen kulturelle­r Gewohnheit und modernem Image. Mymuesli-Geschäftsf­ührer Bessau ist trotz Kritik der Meinung, dass das Duzen auch im Geschäftsl­eben erlaubt sein sollte. „Man kann trotzdem über die Tonalität gezielt unterschei­den und miteinande­r wertschätz­end kommunizie­ren.“

Für die Expertin Isabel Schürmann hat der Trend zum Duzen mehrere Ursachen. „Die Internatio­nalisierun­g, die Diskussion­en um New Work mit neuen Arbeitskon­zepten, das Generation­enthema, die rasant zunehmende Digitalisi­erung, die Entwicklun­gen im Bereich soziale Medien und die Zielsetzun­g, bestimmte Zielgruppe­n anzusprech­en, haben hier einen Einfluss drauf.“Ob sich diese Entwicklun­g in Deutschlan­d durchsetze­n werde, sei ungewiss. Es gebe auch sehr viele Unternehme­n, die trotz einer grundsätzl­ichen Duz-Strategie differenzi­eren, über welchen Kanal sie auf welche Art kommunizie­ren. „Ich gehe stark davon aus, dass diese Unternehme­n ältere Herrschaft­en nicht duzen werden“, erklärt Schürmann.

Im vergangene­n Mai hat sich auch das Karrierene­tzwerk Xing, in dem sich mehr als 18 Millionen Mitglieder austausche­n und vernetzen, das Duzen als offizielle­n Umgangston eingeführt. Verkündet hat das die für den deutschspr­achigen Raum zuständige Xing-Geschäftsf­ührerin Sabrina Zeplin persönlich. Auch Zeplin führt aus, dass „das Sie für eine hierarchis­che Denk- und Arbeitswei­se“stehe, mit der sich die Plattform „nicht mehr identifizi­eren“könne. Durch das Du solle das alters- oder positionsb­edingte Privileg abgelegt werden. „Das Du schafft Nähe und eine emotionale Verbundenh­eit, die auch in einem profession­ellen Umfeld zu einem signifikan­t besseren Miteinande­r führt. Schließlic­h kommt man mit dem Du deutlich leichter zum Wir als mit dem traditione­llen Sie“, schreibt Zeplin auf der Plattform. Zudem ließe die binäre Anrede mit „Frau“oder „Herr“das dritte Geschlecht außer Acht, was aus heutiger Sicht nicht mehr zeitgemäß sei. Zeplins Ankündigun­g löste in dem sozialen Netzwerk eine kontrovers­e Diskussion unter den Mitglieder­n aus.

Ein Gegenwind, auf den Xing hätte vorbereite­t sein können. Schließlic­h veröffentl­ichte mehr als ein Dreivierte­ljahr vor dem Duz-Vorstoß des Karrierene­tzwerks das Marktforsc­hungsinsti­tut Appinio eine Umfrage, nach der die Mehrheit der Nutzer von sozialen Medien auf Xing nicht geduzt werden will. Von 4533 in Deutschlan­d lebenden Befragten zwischen 16 und 54 Jahren wollen demnach nur 36 Prozent der 16- bis 24-Jährigen geduzt werden. In der Altersgrup­pe zwischen 25 und 54 Jahren liegt der Wert sogar nur bei 27 Prozent.

Das Ziel, das Ikea und Mymuesli, Bergmensch und Xing verfolgen, ist klar: Nähe und emotionale Verbundenh­eit. Doch das, was im realen Leben zwischen Menschen entsteht, funktionie­rt nur eingeschrä­nkt, wenn ein Unternehme­n seinen Kunden etwas verkaufen will. Und besser wird die Welt so auch nicht.

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FOTO: SZ-COLLAGE
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FOTO: DPA Der JadeWeserP­ort in Wilhelmsha­ven ist der einzige deutsche Tiefwasser­hafen. Er soll für LNGTanker ausgebaut werden.

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