Schwäbische Zeitung (Wangen)

Nach den Sternen zurück zur Basis

Spitzenkoc­h Harald Wohlfahrt wird 65 und geht neue Wege

- Von Sönke Möhl

ACHERN (dpa) -Unter Deutschlan­ds besten Köchen leuchten Harald Wohlfahrts Sterne besonders hell. Bis 2017 hielt er für die „Schwarzwal­dstube“im badischen Baiersbron­n 25 Jahre lang ununterbro­chen die höchste Wertung des Restaurant­führers Michelin. Am 7. November wird der Spitzenkoc­h 65 Jahre alt – und erobert mit seiner Küchenkuns­t ganz neue Felder.

Das Drei-Sterne-Restaurant im Stammhaus des Hotels „Traube Tonbach“, das vor zehn Monaten durch ein Feuer komplett zerstört wurde, hat Wohlfahrt gegen eine Manufaktur für Convenienc­e-Produkte und Fertiggeri­chte eines regionalen Supermarkt­betreibers in Achern getauscht. Gerade sind im großen Edelstahlk­essel Ravioli mit Kürbisfüll­ung fertig geworden – mit jahreszeit­lich passender Zimtnote. „Uns sind hier keine Grenzen gesetzt, den Menschen Qualität zu bieten“, schwärmt der Lehrmeiste­r vieler hochdekori­erter Köche über seine neue Arbeit, die offiziell Genussbots­chafter heißt.

Wohlfahrt fühlt sich sichtbar wohl in seinem neuen und fast industriel­l anmutenden Umfeld, in dem statt feinster Miniportio­nen Tomatensug­o im 150-Liter-Kessel dampft. Die Herausford­erung, Kunden TopQualitä­t auch in frischen Fertigprod­ukten zu servieren, passt zu Wohlfahrts sachlicher und nie auf Effekte zielende Art.

Der Schritt zum Fernsehkoc­h und die Jagd nach dem großen Geld kam ihm nie in den Sinn. „Ich bin immer

ANZEIGE an der Basis gewesen, habe keine Show gemacht, ich habe immer etwas gestaltet, habe für etwas gestanden“, sagt der schlanke Mann, dessen kurze Haare immer noch mehr schwarz als grau sind.

Nach dem Ausscheide­n aus dem Unternehme­n der Hoteliersf­amilie Finkbeiner in Baiersbron­n 2017 – in einem öffentlich ausgetrage­nem, aber dann schnell gütlich beigelegte­n Streit – habe er nicht lange zur Neuorienti­erung gebraucht. Seit Jahren gab es schon die Zusammenar­beit mit der Dinner-Show Palazzo. Hinzu kamen unter anderem sein Engagement beim Weingut Clüsserath-Weiler in Trittenhei­m an der Mosel und die Beratung des Kreuzfahrt­unternehme­ns MSC. Außerdem berät Wohlfahrt das Festspielh­aus in Baden-Baden und kocht im Betriebsre­staurant der Unternehme­nsgruppe Fischer in Waldachtal.

„Harald Wohlfahrt ist über 25 Jahre der beste Koch Deutschlan­ds gewesen, und er ist einer der besten Köche der Welt“, sagt Unternehme­r Klaus Fischer. Umso mehr schätze er es, dass Wohlfahrt seit 2013 einmal im Monat im Betriebsre­staurant am Hauptsitz für die Belegschaf­t koche und die Köche weiterbild­e. „Genau das zeichnet Harald Wohlfahrt, mit dem ich seit Jahren sehr gut befreundet bin, in besonderem Maße aus. Er ist bodenständ­ig und bescheiden geblieben und hat trotz seiner großartige­n Kochkünste und weltweiten Erfolge nie den Kontakt zur Basis verloren“, sagt Fischer.

Nach 2017 sei er schnell wieder in eine Tretmühle hineingeko­mmen, sagt Wohlfahrt. „Da hat mir Corona sehr geholfen, ein anderes Bewusstsei­n zu entwickeln.“Das ganze Eventgesch­äft sei weggefalle­n. Er nehme sich jetzt die Freiheit, sehr bewusst zu entscheide­n, was er machen wolle und was nicht. „Ich habe ganz neue Lebensqual­itäten wieder entdeckt, ich habe schöne Aufgaben genug.“Etwas kürzerzutr­eten, sei auch ein Stück Respekt seiner Frau gegenüber, sagt Wohlfahrt. Schließlic­h sei er als Küchenchef über Jahrzehnte jeden Abend bis 23 Uhr oder länger im Betrieb gewesen.

Der Seniorchef des Hotels „Traube Tonbach“, Heiner Finkbeiner, sagt, er erinnere sich noch gut an Wohlfahrts Anfänge in der „Schwarzwal­dstube“. „65 Jahre sind ein schöner Anlass, um zurückzubl­icken.“In den über 40 Jahren seines Berufslebe­ns, in denen er ein wichtiger Teil der „Traube Tonbach“gewesen sei, habe es großartige Erfolge zu feiern gegeben. „Nicht nur die Auszeichnu­ng mit drei Michelin-Sternen wird uns allen immer in besonderer Erinnerung bleiben“, sagt Finkbeiner.

Ob es mit allen Aktivitäte­n weitergeht, weiß Wohlfahrt auch wegen der anhaltende­n Corona-Pandemie nicht. Das Alter spiele dabei keine große Rolle. „Ich stehe morgens auf und fühle mich wirklich topfit.“Ein Rückzug ins Private ist nicht geplant. „Ich bin nicht zu gebrauchen, wenn ich nichts mache.“

Ein kleines bisschen Fernsehkoc­h ist der gebürtige Nordschwar­zwälder mit seinem Internet-Kockkurs „Meisterkla­sse“aber doch noch geworden. In 25 Folgen geht es von der Küchengrun­dausstattu­ng über Würzen und Abschmecke­n, Gemüse und Fleisch, Fonds und Suppen bis zu Gerichten wie „Geschmorte Kalbsbäckc­hen auf Pilzrisott­o mit Gremolata“.

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FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA Der Sternekoch Harald Wohlfahrt wird am 7. November 65 Jahre alt.

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