Fünfjähriger stirbt bei Brand: War es Mord?
1990 kommt ein Kind bei Feuer in Kempten ums Leben, nun wird der Fall wieder aufgerollt
KEMPTEN - In der Nacht auf Samstag, 17. November 1990, bricht in einem Mehrfamilienhaus in Kempten ein Feuer aus. Ein fünfjähriger türkischstämmiger Bub stirbt an einer Rauchvergiftung, 27 Menschen werden obdachlos. „Nur wenige Habseligkeiten konnten die türkischen Bewohner aus dem brennenden Haus vor den Flammen retten“, steht damals in unserer Zeitung. Die Polizei schließt einen technischen Defekt sofort aus. Die Ermittlungen wegen vorsätzlicher Brandstiftung gegen Unbekannt werden nach Informationen unserer Zeitung jedoch knapp zwei Jahre später eingestellt. Jetzt beschäftigt sich die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) bei der Generalstaatsanwaltschaft München erneut mit dem Fall. Nun steht der Tatvorwurf Mord im Raum.
Vor kurzem erscheint auf „Zeit online“ein Artikel über den Brand vor 30 Jahren. Demnach soll die sogenannte „Anti-Kanaken-Front
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Kempten“kurz nach dem Vorfall ein Bekennerschreiben verbreitet haben – in Runenschrift samt Hakenkreuz. Dennoch habe die Polizei den Täter unter den Hausbewohnern gesucht. „Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Kempten aufgrund von Presseanfragen wieder aufgenommen“, sagt Dr. Klaus Ruhland, Leitender Oberstaatsanwalt und Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft München, auf Nachfrage unserer Redaktion. Mittlerweile sei es an die ZET abgegeben worden.
Lautete der Tatvorwurf 1990 noch „vorsätzliche Brandstiftung“, wurde er nunmehr in „Mord“abgeändert. Ruhland bestätigt zudem, dass in dem Bekennerschreiben Sätze stehen wie: „Wir werden nicht ruhen, bis Kempten von allen undeutschen Kreaturen befreit ist.“Auch sei darin zu lesen, dass Kempten die erste Stadt sein werde, die „nicht von Schwulen, Linken, Ausländern und anderen Schweinen geplagt“werde.
Inzwischen haben sich auch Politiker zu den Vorkommnissen geäußert. „Dass in den Ermittlungen ein rechtsextremes Bekennerschreiben einer ,Anti-Kanaken-Front-Kempten‘ einfach ignoriert wurde, ist ein skandalöses Versäumnis“, sagt Cemal Bozoglu ,Sprecher der Grünen für „Strategien gegen Rechtsextremismus“im Bayerischen Landtag. Warum dem Schreiben nicht schon in den 1990er Jahren mehr Beachtung geschenkt wurde, dazu will sich Ruhland gegenüber unserer Redaktion mit Verweis auf die laufenden Ermittlungen nicht äußern. Er sagt aber: „Es ist nicht richtig, dass das genannte Bekennerschreiben bei den ersten Ermittlungen keine Rolle gespielt hätte oder gar ignoriert worden wäre.“
Cemal Bozoglu stellte eine Anfrage an die bayerische Staatsregierung. Er will wissen, ob diese „eine Neubewertung der Tat als politisch motivierte Kriminalität für angebracht hält“. Zudem erkundigte er sich, ob eine generelle Überprüfung von möglicherweise übersehenen Anschlägen mit rechtsextremen und rassistischen Motiven geplant ist.
Diese Frage scheint naheliegend, wirft man einen Blick in den Bericht des Bayerischen Verfassungsschutzes für das Jahr 1991. Demnach setzten Unbekannte am 12. Oktober das Treppenhaus eines Gebäudes in Kaufbeuren in Brand, in dem zwei türkische Familien lebten. Drei Menschen sprangen damals aus dem Fenster und erlitten schwere Verletzungen. Bereits einen Tag später wurde ein Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Immenstadt verübt, bei dem fünf Personen verletzt wurden, zwei von ihnen schwer. Die Polizei nahm kurze Zeit später drei Täter fest, die laut Verfassungsschutz der Skinhead-Szene zuzurechnen sind.
Auf die Anfrage von Bozoglu antwortete Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), dass im Falle des Brandes in Kempten neben dem Ermitteln der Täter auch die Motive für die Straftat Gegenstand der Ermittlungen seien. Zudem überprüfe man mögliche Verbindungen zu weiteren Brandstiftungen in Kaufbeuren, Immenstadt und Kempten.