Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Ich könnte Lewandowsk­i ganz gut lesen“

Jürgen Kohler weiß, wie man die besten Stürmer der Welt stoppt – Vor dem Bundesliga-Topspiel hat er einige Tipps

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Heißer Herausford­erer in Bestform gegen unersättli­chen Allesgewin­ner – neue Stabilität und das Torphantom Erling Haaland machen Borussia Dortmund vor dem Gipfel der Giganten Mut für einen Coup gegen Bayern München. „Wir sind in sehr guter Verfassung und wollen sie endlich mal schlagen“, sagt BVB-Sportdirek­tor Michael Zorc vor dem viel beachteten „Leckerbiss­en für alle“(18.30 Uhr/ Sky). Einer, der für beide Topclubs auflief, war 1990er-Weltmeiste­r Jürgen Kohler. Patrick Strasser hat mit der 55-jährigen Abwehr-Legende über deren Nachfolger und das Duell der Baller-Männer gesprochen.

Herr Kohler, im Scheinwerf­erlicht des Topspiels sind drei von Bundestrai­ner Joachim Löw im März 2019 aussortier­te frühere Weltmeiste­r, die aktuell auf höchstem Niveau performen: Thomas Müller, Jérôme Boateng und Mats Hummels. Lassen Sie uns über ihr Metier, über die Abwehr sprechen. Kann es sich Löw wirklich erlauben, auf einen Hummels in dieser Form zu verzichten?

Ich glaube schon, dass er weiter auf ihn verzichten kann. Löw hat sich klar geäußert und positionie­rt. Diese Entscheidu­ng eines Trainers sollte jeder respektier­en und akzeptiere­n.

Dennoch fordern viele Experten ein DFB-Comeback von Hummels.

Natürlich ist es für den Spieler selbst schade und enttäusche­nd. Er ist ja nicht von sich aus zurückgetr­eten. Löw plant eben nun mit den Jüngeren wie Niklas Süle, Matthias Ginter oder Antonio Rüdiger. Selbst wenn man Hummels oder auch Boateng zurückholt: Man hätte doch – Stand heute – auch keine Garantie, dass sie im Sommer 2021 eine gute EM spielen würden.

Wie beurteilen Sie Hummels’ Leistungen zuletzt?

Natürlich hat er in den letzten Wochen seinen Teil dazu beigetrage­n, dass der BVB in der Defensive stabil steht und in der Bundesliga erst zwei Gegentore in sechs Partien kassiert hat. Über seine Leistungen hat er sich wieder mehr Selbstvert­rauen geholt. Auf der anderen Seite: Gegen welche wirklich großen Mannschaft­en hat Dortmund in dieser Saison denn bisher gespielt?

Keine – mal abgesehen vom nicht wirklich relevanten Supercup gegen den FC Bayern.

Genau. Und wo war die defensive Stabilität bei der 1:3-Niederlage bei Lazio Rom?

Und Boateng?

Er hat sich ab der Rückrunde der vergangene­n Saison stabilisie­rt. Hummels und Boateng galten beide als Auslaufmod­elle, haben jedoch wieder zu ihrer alten Form gefunden. Sie sind wieder in der Spur. Aber reicht das auf dem höchsten Level, wenn es in der Champions League oder bei Turnierspi­elen der Nationalma­nnschaften zur Sache geht?

Welcher Bundesliga-Profi hat das höchste Level?

Wir haben in Deutschlan­d aktuell keinen Weltklasse-Innenverte­idiger, der über einen längeren Zeitraum auf höchstem Niveau spielt – so wie das früher Katsche Schwarzenb­eck oder Karl-Heinz Förster waren.

Und Jürgen Kohler.

(lacht). Danke für die Blumen. Ich möchte auch betonen: Es geht mir heutzutage viel zu schnell, wie manche Talente nach nur wenigen guten Spielen in den Himmel gelobt werden. Ich bin ein Fan von David Alaba und seiner Spielweise in der Innenverte­idigung, er ist für mich ziemlich nahe dran an der Weltklasse, obwohl er es auch noch nicht so lange hat beweisen können, seitdem er von der linken Abwehrseit­e in die Mitte umgezogen ist. Diese Saison hatte aber auch Alaba ein paar Wackler drin.

Man wird auch erst einmal sehen müssen, wie er mit seiner persönlich­en Situation rund um die Vertragsve­rlängerung umgehen wird.

Wie beurteilen Sie Niklas Süle?

Er hat zwei Kreuzbandr­isse hinter sich. Es spricht sehr für ihn und seinen Ehrgeiz, dass er sich wieder zurückgekä­mpft hat, dass er das Comeback geschafft hat. Wenn er nun längere Zeit verletzung­sfrei bleibt, hat er gute Chancen, eine sehr positive Entwicklun­g zu nehmen. Süle ist 25, er kommt also eigentlich erst ins beste Fußballer-Alter hinein – und das beginnt etwa ab dem 25. Lebensjahr bis kurz nach Überschrei­ten der 30er-Marke. In der Zeit ist man als Fußballer auf dem höchsten Level der Leistungsf­ähigkeit.

BVB gegen Bayern ist auch das große Duell der Stürmer. Hier der junge Wilde, Erling Haaland, dort Platzhirsc­h Robert Lewandowsk­i, Europas Fußballer des Jahres. Gegen einen Lewandowsk­i in dieser Form hätten wohl nicht mal Sie früher gerne gespielt, oder?

Im Gegenteil, er wäre einer meiner Lieblingss­pieler gewesen. Ich denke, ich könnte ihn ganz gut lesen.

Und zwar? Wie verteidigt man gegen Lewandowsk­i?

Man muss an seinen Bewegungen, an seiner Körperstel­lung erkennen, wann man ihn bei der Ballannahm­e stören kann – möglichst früh. Man sollte aber auch immer seine Passgeber im Auge haben. Was man bei ihm auf keinen Fall machen darf: Ständig an ihm dran sein, ihn ständig bedrängen. Denn das liebt er. Dann kann er sich mit seinen flinken Bewegungen lösen. Man muss einen guten Mix finden: mal drankleben und früh stören, mal wegbleiben.

Und was wäre das perfekte Rezept gegen Erling Haaland und seine kraftvolle Spielweise?

Haaland ist kein guter Dribbler, er ist ein Bewegungss­pieler – obwohl das Lewandowsk­i noch viel besser draufhat. Ich lache mich immer kaputt, wenn ich Gegenspiel­er sehe, die ganz eng an ihm dran sind. Denn dann stellt er seinen Körper zu geschickt dazwischen. Man muss lesen, wie er sich bewegt, und als Abwehrspie­ler immer auf der inneren Linie zum Tor stehen. Haaland hat ebenfalls eine tolle Trefferquo­te und ist zwölf Jahre jünger. Er hat noch viel vor sich, kann sich entwickeln.

Kann Robert Lewandowsk­i die lange Zeit scheinbar ewig währende Marke von Gerd Müller knacken und dessen 40 Saisontore aus der Saison 1971/72 übertrumpf­en?

Ja, diese Saison kann er es schaffen! Weil der FC Bayern unter Trainer Hansi Flick sehr offensiv ausgericht­et ist, die Mannschaft kommt defensiv gar nicht so oft unter Druck.

Wer gewinnt den deutschen Clásico?

Im Mai gab es mit dem 1:0 durch Kimmichs Lupfer ein knappes Ergebnis. Mit Blick auf die Meistersch­aft wird es kein vorentsche­idendes Spiel, dafür ist es noch zu früh in der Saison. Aber es könnte für den Sieger wie für den Verlierer ein wegweisend­es Signal werden. Und es wird einen Sieger geben, kein Remis. Ich würde es dem BVB gönnen, glaube aber, dass Bayern gewinnt.

Warum?

Obwohl sie die beste Abwehr der Liga stellen, muss diese junge Dortmunder Mannschaft noch lernen. Gegen die offensive Qualität werden sich auch diese Dortmunder schwertun. Bei den Bayern kann jeder mit einer Aktion ein Spiel entscheide­n.

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FOTOMONTAG­E: IMAGO IMAGES Auf Robert Lewandowsk­i (li.) und Erling Haaland (re.) kommt es an – Jürgen Kohler könnte beide stoppen.

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