Die Qual der Wahl
VfB-Trainer Pellegrino Matarazzo hat ein Luxusproblem – seinen üppigen Kader
STUTTGART - Er sei sehr angespannt gewesen, räumte Pellegrino Matarazzo ein. „Ich hab mir Leipzig gegen Paris angeschaut, aber davor und am nächsten Morgen gleich wieder auf CNN geschaltet.“Die Wahl des US-Präsidenten berührt den 42Jährigen, der als Sohn italienischer Einwanderer in Wayne/New Jersey geboren wurde und später an der Columbia University direkt am Broadway angewandte Mathematik studierte, natürlich besonders.
Matarazzo predigt nicht nur den Doppelpass, er hat ihn auch, den italienischen und amerikanischen nämlich, und die Qual der Wahl – zuweilen auch der Mathematik – lässt den VfB-Trainer in seinem Job nicht los. Gleich 27 Feldspieler seien in dieser Woche im Training gewesen, 34 Mann groß ist der VfB-Kader insgesamt. Matarazzo könnte daraus auch drei Teams basteln, „es ist eine Herausforderung, alle Spieler bei Laune zu halten und ihnen ihre Rolle aufzuzeigen“, räumte er ein. Und doch sei das: „ein Luxusproblem.“Tatsächlich habe im Training eine „sehr gute Energie und ein herausragendes Niveau“geherrscht, und das unterscheidet den VfB vom US-Wahlkampf.
Der Bundesliga-Aufsteiger und sein Kaderplaner Sven Mislintat haben einen qualitativ und quantitativ derart homogenen Kader geschmiedet, dass fast alle Einzelnen austauschbar sind. Innenverteidiger Waldemar Anton etwa, zuvor gesetzt, ist zwar wieder fit, wird am Samstag gegen Eintracht Frankfurt (15.30 Uhr/Sky) aber wohl nur auf der Bank sitzen. „Die Dreierkette in der Abwehr war zuletzt sehr stabil, die Frage ist, ob man ein eingespieltes Konstrukt ändern soll“, sagte Matarazzo.
Wirklich gesetzt und unantastbar sind beim jüngsten Team der Liga derzeit nur wenige, der Japaner Wataru Endo etwa: „Unglaublich, wie er immer den Ball haben möchte, das Spiel von hinten nach vorne bringt, wie er kämpft. Endo ist für mich seit Monaten der beste Spieler beim VfB“, sagt Stuttgarts Ex-Nationalspieler Kevin Kuranyi.
Der mit dem höchsten Marktwert, der lange Zeit als größte VfB-Hoffnung gefeiert wurde, musste dagegen zuletzt noch warten: Torjäger Nicolás González nämlich. Beim 1:1 gegen Schalke sorgte der 22-Jährige aber für den – selbst vorbereiteten – Ausgleich per Elfmeter und brachte derart Schwung ins Spiel, dass Matarazzo fast keine Wahl bleibt: Er muss den Argentinier wieder bringen. „Nico war sehr griffig gegen Schalke und im Training hochkonzentriert, er ist definitiv eine Option für die Startelf“, lobte der Trainer. Wo genau er spielen wird, bleibt die Frage: „Seine Variabilität ist eine große Stärke. Er kann in der Sturmmitte spielen, auch in der Doppelspitze, als hängender Stürmer und außen, zumindest bald wieder. Außen braucht man enorm viel Ausdauer, vorne sind die Wege kürzer“, sagte Matarazzo. Auf seine bis dato besten Torjäger – Sasa Kalajdzic und Silas Wamangituka, der ebenfalls wieder fit ist – dürfte der Trainer aber wohl ebenfalls nur ungern verzichten.
Wie groß der Offensivpool inzwischen ist, zeigt die Tatsache, dass
Pellegrino Matarazzo
Erik Thommy, der erneut am Ellbogen operiert wird und bis Januar ausfällt – für mehr Bewegungsfreiheit kommen Schrauben ins Gelenk –, noch kaum vermisst wurde. Auch Stürmer Hamadi Al Ghaddioui (31), im Vorjahr noch gesetzt, spielt in der Bundesliga kaum mehr eine Rolle – und ließ deshalb offenbar im Alltag zuletzt den Kopf hängen. „Wenn man in den Kader will, muss man das im Training auch ausstrahlen, durch Energie, in seinem Fall auch durch Tore und Assists – wir haben ein paar Gespräche darüber geführt, jetzt war es schon viel besser“, sagte Matarazzo.
Frankfurt ist für den Trainer derweil „ein schönes Beispiel dafür, wie man sich mit qualitativ hochwertiger Arbeit in der Bundesliga etablieren und sogar den Europacup erreichen kann – auch wenn sie einen völlig anderen Weg gehen als wir. Sie haben den ältesten Kader der Liga, eine sehr erfahrene, reife Mannschaft, die einen extrem mutigen Offensivfußball spielt.“
Das wiederum hat die Eintracht, die in Stürmer André Silva ihren herausragenden Mann hat, mit dem VfB Stuttgart gemeinsam. „Wir kennen die Frankfurter Stärken“, sagt Matarazzo, „aber wir halten unsere dagegen.“
„Ich hab mir Leipzig gegen Paris angeschaut, aber davor und am nächsten Morgen gleich wieder auf CNN geschaltet.“