Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Es fühlt sich kein Amt richtig zuständig für uns“

Warum der Circus Sperlich wegen des erneuten Lockdowns mehr denn je auf Hilfe angewiesen ist – Lager in Baindt aufgeschla­gen

- Von Stefanie Keppeler

BAINDT - Der Familienzi­rkus Sperlich, der aus Tanjela und ihrem Mann Jan Sperlich sowie den gemeinsame­n fünf Kindern im Alter zwischen 13 und 29 Jahren besteht, gastierte noch Ende Oktober in Oberzell. Die Familie berichtete der „Schwäbisch­en Zeitung“zu diesem Zeitpunkt, wie schwerwieg­end sich die CoronaKris­e in den vergangene­n Monaten auf den Zirkus und die Familie auswirkte. Bis Mitte November hat der Circus Sperlich sein Lager nun in Baindt aufgeschla­gen – zu erreichen, wenn man vom Kreisverke­hr aus Richtung Tennishall­e fährt. Der erneute Lockdown und das damit verbundene, wiederkehr­ende Vorstellun­gsverbot

stelle die Familie und ihr Zirkusunte­rnehmen vor eine der bislang größten Herausford­erungen ihres Lebens, so Jan Sperlich.

„Wir erleben momentan eine Krise, wie ich sie von meinen Großeltern von damaligen Kriegszeit­en erzählt bekommen habe“, so der 48Jährige. In der Regel erwirtscha­fte sich der Zirkus im Frühjahr und Herbst Reserven, auf die in den schwach besuchten Hochsommer­monaten und für die Zeit des Winterquar­tiers zurückgegr­iffen werden könne, erzählt Sperlich. Die Sommerzeit sei generell schwierig, weil aufgrund der Hitze Menschen lieber zum Baden als in den Zirkus gingen. Da jedoch das gesamte Jahr coronabedi­ngt unter erschwerte­n Bedingunge­n

schlechter gelaufen sei als sonst, seien nun keine Reserven mehr da.

„Wir Zirkusleut­e haben von Natur aus ein hartes Fell und sind einiges gewöhnt. Wenn man uns machen lässt, kommen wir zurecht“, sagt Sperlich. Er erzählt, dass sie in heißen Sommertage­n manchmal sogar vor nur 10 oder 15 Gästen ihre Vorstellun­g gegeben haben, um wenigsten ein bisschen Geld für die notwendigs­ten Lebensmitt­el und Futter zu verdienen. Die Corona-Soforthilf­e im Frühjahr habe die Familie zwar beantragt, aber bis dato keine Antwort erhalten. „Es fühlt sich kein Amt richtig zuständig für uns, weil wir ja keinen festen Wohnsitz haben. Wir planen immer erst zwei bis drei

Wochen im Voraus unseren nächsten Standort“. Dies sei bei kleinen Zirkussen üblich, so Sperlich. Die Familie rechnet nicht damit, vom Staat eine Entschädig­ung für den jetzigen Verdiensta­usfall zu erhalten. „Wir sind deshalb so extrem wie noch nie auf Spenden der Bevölkerun­g angewiesen“, sagt Sperlich, „und zwar in jeglicher Form, ob Lebensmitt­el für die Familie, Geldspende­n oder Futterspen­den für die Tiere wie Heu, Kraft- oder Grünfutter. Allein die 1500 Kilogramm schweren Kamele benötigen circa drei große Heuballen in der Woche, das entspricht in etwa 900 Kilogramm Heu.“

Auch auf kostenlose Stellplätz­e seien sie besonders angewiesen. Sie seien für jeden Platz dankbar, auf dem ihre Tiere Auslauf bekommen und auf dem die Familie mit ihren insgesamt sechs Wohnwägen idealerwei­se den Winter verbringen kann. In Baindt stehen die Sperlichs aktuell auf einer privaten landwirtsc­haftlichen Wiese. Geplant sei der Aufenthalt bis zum 8. November gewesen, sie konnten jedoch verlängern. Allerdings müsse die Fläche bis spätestens 14. November wieder geräumt werden. Das nächste Ziel sei noch nicht bekannt. „Wir erhoffen uns sehnlichst Angebote von Gemeinden oder Landwirten“, sagt Sperlich.

Ans Aufgeben haben er und seine Frau jedoch auch jetzt nach dem erneuten Lockdown noch keine Sekunde lang gedacht. „Zweifel gibt es nicht. Schon mein Urgroßvate­r betrieb einen Zirkus, mit einem vergleichb­aren Programm wie heute wie Ponyshow, Clowns, Messerwerf­en oder Artistik – nur, dass es damals noch keine Elektrizit­ät und Musiktechn­ik im Zelt gab. Zirkus haben wir im Blut und lieben dieses Leben und unsere Tiere. Seit über 150 Jahren, meine Kinder sind die fünfte Generation“, erzählt Sperlich stolz.

Hartz 4 stelle keine Option dar, weil sich die Familie dann wohl erst von den Tieren trennen müsse. Lieber würde er sich selbst verkaufen als seine Tiere, sagt Sperlich. Die Tiere gehören zur Familie. Ja, er habe derzeit Existenzän­gste wie noch nie und mache sich vor allem auch um die Zukunft seiner Kinder Sorgen. Homeschool­ing funktionie­re zwar seit jeher problemlos, weil die Kinder sowieso schon immer auf diesem Wege lernen, aber der finanziell­e Druck sei aktuell schon enorm. „Elementare

Dinge wie Lebensmitt­el oder Krankenver­sicherung müssen einfach bezahlt werden.“

Er und seine Familie hoffen auf die Solidaritä­t der Bevölkerun­g. „Hufpflege oder Entwurmung der Tiere, Sägemehl, Futter, es fällt so vieles an, und wir freuen uns über jegliche Hilfe. Viele kleine Gesten ergeben doch am Ende etwas Großes“, sagt Sperlich.

Das Ehepaar ist sich sicher, dass es irgendwann und irgendwie weitergehe­n wird. „Spätestens, wenn wir nach der ersten Vorstellun­g wieder begeistert­es Publikum klatschen hören, wissen wir, dass es sich gelohnt hat zu kämpfen. Wir leben einfach für den Zirkus.“

Weitere Infos gibt es unter www.circus-jan-sperlich.com im Internet.

 ??  ?? Jan Sperlich mit seinem Friesenhen­gst Natan, eine der ältesten Pferderass­en.
Jan Sperlich mit seinem Friesenhen­gst Natan, eine der ältesten Pferderass­en.
 ?? FOTOS: STEFANIE KEPPELER ?? Das Ehepaar Sperlich mit der jüngsten Tochter, der 13-jährigen Elena, im Wohnzimmer.
FOTOS: STEFANIE KEPPELER Das Ehepaar Sperlich mit der jüngsten Tochter, der 13-jährigen Elena, im Wohnzimmer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany