„Es fühlt sich kein Amt richtig zuständig für uns“
Warum der Circus Sperlich wegen des erneuten Lockdowns mehr denn je auf Hilfe angewiesen ist – Lager in Baindt aufgeschlagen
BAINDT - Der Familienzirkus Sperlich, der aus Tanjela und ihrem Mann Jan Sperlich sowie den gemeinsamen fünf Kindern im Alter zwischen 13 und 29 Jahren besteht, gastierte noch Ende Oktober in Oberzell. Die Familie berichtete der „Schwäbischen Zeitung“zu diesem Zeitpunkt, wie schwerwiegend sich die CoronaKrise in den vergangenen Monaten auf den Zirkus und die Familie auswirkte. Bis Mitte November hat der Circus Sperlich sein Lager nun in Baindt aufgeschlagen – zu erreichen, wenn man vom Kreisverkehr aus Richtung Tennishalle fährt. Der erneute Lockdown und das damit verbundene, wiederkehrende Vorstellungsverbot
stelle die Familie und ihr Zirkusunternehmen vor eine der bislang größten Herausforderungen ihres Lebens, so Jan Sperlich.
„Wir erleben momentan eine Krise, wie ich sie von meinen Großeltern von damaligen Kriegszeiten erzählt bekommen habe“, so der 48Jährige. In der Regel erwirtschafte sich der Zirkus im Frühjahr und Herbst Reserven, auf die in den schwach besuchten Hochsommermonaten und für die Zeit des Winterquartiers zurückgegriffen werden könne, erzählt Sperlich. Die Sommerzeit sei generell schwierig, weil aufgrund der Hitze Menschen lieber zum Baden als in den Zirkus gingen. Da jedoch das gesamte Jahr coronabedingt unter erschwerten Bedingungen
schlechter gelaufen sei als sonst, seien nun keine Reserven mehr da.
„Wir Zirkusleute haben von Natur aus ein hartes Fell und sind einiges gewöhnt. Wenn man uns machen lässt, kommen wir zurecht“, sagt Sperlich. Er erzählt, dass sie in heißen Sommertagen manchmal sogar vor nur 10 oder 15 Gästen ihre Vorstellung gegeben haben, um wenigsten ein bisschen Geld für die notwendigsten Lebensmittel und Futter zu verdienen. Die Corona-Soforthilfe im Frühjahr habe die Familie zwar beantragt, aber bis dato keine Antwort erhalten. „Es fühlt sich kein Amt richtig zuständig für uns, weil wir ja keinen festen Wohnsitz haben. Wir planen immer erst zwei bis drei
Wochen im Voraus unseren nächsten Standort“. Dies sei bei kleinen Zirkussen üblich, so Sperlich. Die Familie rechnet nicht damit, vom Staat eine Entschädigung für den jetzigen Verdienstausfall zu erhalten. „Wir sind deshalb so extrem wie noch nie auf Spenden der Bevölkerung angewiesen“, sagt Sperlich, „und zwar in jeglicher Form, ob Lebensmittel für die Familie, Geldspenden oder Futterspenden für die Tiere wie Heu, Kraft- oder Grünfutter. Allein die 1500 Kilogramm schweren Kamele benötigen circa drei große Heuballen in der Woche, das entspricht in etwa 900 Kilogramm Heu.“
Auch auf kostenlose Stellplätze seien sie besonders angewiesen. Sie seien für jeden Platz dankbar, auf dem ihre Tiere Auslauf bekommen und auf dem die Familie mit ihren insgesamt sechs Wohnwägen idealerweise den Winter verbringen kann. In Baindt stehen die Sperlichs aktuell auf einer privaten landwirtschaftlichen Wiese. Geplant sei der Aufenthalt bis zum 8. November gewesen, sie konnten jedoch verlängern. Allerdings müsse die Fläche bis spätestens 14. November wieder geräumt werden. Das nächste Ziel sei noch nicht bekannt. „Wir erhoffen uns sehnlichst Angebote von Gemeinden oder Landwirten“, sagt Sperlich.
Ans Aufgeben haben er und seine Frau jedoch auch jetzt nach dem erneuten Lockdown noch keine Sekunde lang gedacht. „Zweifel gibt es nicht. Schon mein Urgroßvater betrieb einen Zirkus, mit einem vergleichbaren Programm wie heute wie Ponyshow, Clowns, Messerwerfen oder Artistik – nur, dass es damals noch keine Elektrizität und Musiktechnik im Zelt gab. Zirkus haben wir im Blut und lieben dieses Leben und unsere Tiere. Seit über 150 Jahren, meine Kinder sind die fünfte Generation“, erzählt Sperlich stolz.
Hartz 4 stelle keine Option dar, weil sich die Familie dann wohl erst von den Tieren trennen müsse. Lieber würde er sich selbst verkaufen als seine Tiere, sagt Sperlich. Die Tiere gehören zur Familie. Ja, er habe derzeit Existenzängste wie noch nie und mache sich vor allem auch um die Zukunft seiner Kinder Sorgen. Homeschooling funktioniere zwar seit jeher problemlos, weil die Kinder sowieso schon immer auf diesem Wege lernen, aber der finanzielle Druck sei aktuell schon enorm. „Elementare
Dinge wie Lebensmittel oder Krankenversicherung müssen einfach bezahlt werden.“
Er und seine Familie hoffen auf die Solidarität der Bevölkerung. „Hufpflege oder Entwurmung der Tiere, Sägemehl, Futter, es fällt so vieles an, und wir freuen uns über jegliche Hilfe. Viele kleine Gesten ergeben doch am Ende etwas Großes“, sagt Sperlich.
Das Ehepaar ist sich sicher, dass es irgendwann und irgendwie weitergehen wird. „Spätestens, wenn wir nach der ersten Vorstellung wieder begeistertes Publikum klatschen hören, wissen wir, dass es sich gelohnt hat zu kämpfen. Wir leben einfach für den Zirkus.“
Weitere Infos gibt es unter www.circus-jan-sperlich.com im Internet.