Schwäbische Zeitung (Wangen)

Etwas Hoffnung inmitten von Krieg und Anarchie

Die Konfliktpa­rteien in Libyen einigen sich auf Wahlen und Frieden – Der Weg dahin ist jedoch schwierig

- Von Thomas Seibert

ISTANBUL - Nach Jahren des Krieges in Libyen meldeten die Vereinten Nationen (UN) einen Erfolg. „Wir sind einem Konsens sehr nahe“, sagte der UN-Libyenbeau­ftragte – vor drei Jahren. Im November 2017 informiert­e der damalige UN-Gesandte für Libyen, Ghassan Salame, den Sicherheit­srat in New York über Fortschrit­te bei den Friedensbe­mühungen für das nordafrika­nische Land. Der Krieg ging weiter, Salame gab frustriert auf.

Nun berichtet seine Nachfolger­in Stephanie Williams von einem neuen „Durchbruch“. Bei Verhandlun­gen in Tunesien haben sich 75 Delegierte aus Libyen nach ihren Worten auf freie Wahlen innerhalb der nächsten 18 Monate geeinigt. Angesichts des Scheiterns früherer Verhandlun­gen und der Entschloss­enheit ausländisc­her Akteure, weiter mitzumisch­en, trifft die Nachricht auf Skepsis.

Libyen hat seit dem Sturz von Diktator Muammar Gaddafi im Jahr 2011 keine funktionie­rende Zentralgew­alt mehr und ist Schauplatz von Kämpfen zwischen rivalisier­enden Milizen. Seit 2014 ist das Land zwischen den Herrschaft­sgebieten der Regierung im Westen Libyens und des Parlaments im Osten des Landes geteilt. Der ostlibysch­e Militärche­f Khalifa Haftar versuchte 2019, die Hauptstadt Tripolis im Westen einzunehme­n, scheiterte aber wegen der Unterstütz­ung der Türkei für die Regierung. Haftar musste sich zurückzieh­en. Heute verläuft die Front bei der Küstenstad­t Sirte, die für die Ölindustri­e wichtig ist. Ein im Oktober ausgerufen­er Waffenstil­lstand hält, aber beide Seiten verdächtig­en sich gegenseiti­g, Angriffe vorzuberei­ten.

Die sieben Millionen Libyer leiden seit fast zehn Jahren unter Krieg und Anarchie. Obwohl ihr Land die größten Ölvorräte in Afrika besitzt, lebt jeder dritte Libyer in Armut. Wie dringend eine Einigung ist, zeigte auch der Tod von fast 100 Flüchtling­en, die am Donnerstag auf dem Weg nach Europa vor der libyschen Küste ertranken.

Die Einmischun­g des Auslands erschwert die Friedensbe­mühungen der UN. Ein Waffenemba­rgo wird von Unterstütz­ern beider Landesteil­e unterlaufe­n: Die Türkei liefert Waffen an die Regierung in Tripolis, während Haftar Militärhil­fe von Ägypten, den Vereinigte­n Arabischen Emiraten (VAE) und Russland erhält. Beide Seiten setzen zudem ausländisc­he Söldner ein. Die Waffenstil­lstandsver­einbarung vom Oktober sieht den Abzug aller ausländisc­her Kämpfer bis zum 23. Januar vor, aber bisher gibt es keine Anzeichen dafür, dass dies geschehen wird.

UN-Vertreteri­n Williams, eine amerikanis­che Diplomatin, treibt die Friedensge­spräche mit Rückendeck­ung der Regierung in Washington voran. Die USA sorgen sich, dass Russland nach seinem Engagement in Syrien nun auch in Libyen Fuß fassen und sich damit an der Südflanke der Nato festsetzen könnte. Zudem könnte eine Entscheidu­ngsschlach­t um Sirte einen regionalen Krieg auslösen. Williams’ Initiative ist aber nicht unumstritt­en: Es gibt Kritik an der Auswahl der 75 Delegierte­n in Tunis. Zudem sei unsicher, ob die Konferenzt­eilnehmer den nötigen politische­n Einfluss besitzen, um ihre Vereinbaru­ng auch durchzuset­zen, schrieb die Nordafrika-Expertin Alison

Pargeter von der britischen Denkfabrik RUSI.

Parallel zu den politische­n Verhandlun­gen in Tunis organisier­t die UN Kontakte zwischen den Streitkräf­ten beider Seiten in Sirte. Dabei vereinbart­en die Kriegspart­eien, eine Küstenstra­ße wieder zu öffnen, die die verfeindet­en Landesteil­e miteinande­r verbindet. Allerdings läuft bei den Gesprächen nicht alles glatt. Vertreter der westlibysc­hen Regierung beschwerte­n sich, ihre Unterhändl­er hätten nicht auf einem Militärstü­tzpunkt bei Sirte landen können, weil dieser von russischen Söldnern auf Haftars Seite blockiert werde. Russland hat nach wie vor Kampfflugz­euge in Syrien stationier­t.

Andere Verbündete von Haftar zeigen ebenfalls keine Neigung, sich aus dem Libyen-Konflikt zurückzuzi­ehen. Die VAE, die Haftar in den vergangene­n Jahren mit dem Einsatz von Kampfdrohn­en geholfen hatten, wollen nun hochmodern­e US-Drohnen und das neue amerikanis­che Kampfflugz­eug F-35 kaufen. Im USKongress gibt es Bedenken wegen eines möglichen Einsatzes dieser neuen Waffen in Libyen. Auch die Türkei bleibt in Libyen präsent. Die staatliche Nachrichte­nagentur Anadolu meldete unter Berufung auf Sicherheit­skreise in Ankara, die türkische Unterstütz­ung für die westlibysc­he Regierung werde weitergehe­n.

Gebraucht werde mehr internatio­naler Druck auf die ausländisc­hen Akteure in dem Konflikt, sagte der Libyen-Experte Tarek Megerisi von der Denkfabrik ECFR der „Financial Times“kürzlich. „Wer sagt den Türken und den Russen, dass sie gehen sollen?“fragte Megerisi. Die Antwort steht noch aus.

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FOTO: MANU BRABO/DPA Die Front im libyschen Bürgerkrie­g verläuft bei der Küstenstad­t Sirte – dort herrscht derzeit Ruhe. Die Konfliktpa­rteien hatten sich auf einen Waffenstil­lstand geeinigt.

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