Schwäbische Zeitung (Wangen)

Mit Corona ans Patientenb­ett

Im Notfall sollen infizierte Pflegekräf­te weiterarbe­iten, sagt Gesundheit­sminister Spahn – Dafür gibt es harsche Kritik

- Von Basil Wegener

BERLIN (dpa/KNA) - In Deutschlan­d müssen Pflegekräf­te mit einer Corona-Infektion notfalls auch zur Versorgung der immer zahlreiche­ren Covid-19-Patienten zum Dienst antreten. Das räumte Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU) am Freitag in Berlin ein – und löste damit eine breite Debatte aus. Darüber, welches Ausmaß diese Praxis bereits angenommen hat, gibt es dabei unterschie­dliche Auffassung­en.

Was sagt Spahn über den Einsatz von Infizierte­n am Patienten?

Er stellt sich hinter entspreche­nde Empfehlung­en des Robert-Koch-Instituts (RKI). Wenn sonst die Versorgung etwa in einer Klinik zusammenbr­eche, sei es die „Rückfallrü­ckfallposi­tion“, „die positiv Getesteten mit ganz besonderen Schutzvork­ehrungen auch arbeiten zu lassen“, sagte Spahn am Donnerstag­abend auf dem Deutschen Pflegetag. Tags darauf versichert­e er: Eigentlich wolle man dies vermeiden. Vereinzelt habe es aber bereits Situatione­n gegeben, in denen positiv Getestete unter höchsten Sicherheit­svorkehrun­gen mit Masken einer hohen Schutzstuf­e (FFP2 oder FFP3) mithelfen mussten, die Versorgung sicherzust­ellen.

Handelt es sich wirklich um Einzelfäll­e?

Exakte Zahlen gibt es nicht. Ein Sprecher der Gewerkscha­ft Verdi sagt unter Berufung auf aktuelle Rückmeldun­gen aus Krankenhäu­sern und Pflegeeinr­ichtungen: „Das sind keine Einzelfäll­e mehr.“Viele Krankenhäu­ser unterließe­n es aus Umsatzgrün­den, trotz dramatisch steigender Infektions­zahlen nicht nötige Eingriffe zurückzufa­hren, obwohl sie Kapazitäte­n für die Versorgung von Covid-19-Patienten schaffen müssten. Stattdesse­n erreichten die Gewerkscha­ft in den vergangene­n Tagen vermehrt Meldungen, dass Beschäftig­te weiter an ihrem Arbeitspla­tz in Krankenhäu­sern und Pflegeeinr­ichtungen eingesetzt würden, obwohl sie auf Sars-CoV-2 noch ohne Befund getestet oder sogar positiv getestet worden seien. „Mal meldet ein Betriebsra­t 40 Fälle von Arbeitsqua­rantäne in seinem Betrieb, mal ruft ein Mitglied an, das vom Gesundheit­samt trotz Quaranhäus­er täne arbeiten geschickt wird.“Betroffen seien neben Kliniken verschiede­ne Gesundheit­s- und Pflegeeinr­ichtungen.

Werden in anderen Ländern Infizierte eingesetzt?

Teilweise. In der belgischen Provinz Lüttich habe man in den vergangene­n Wochen durch den Einsatz von positiv getesteten medizinisc­hen Angestellt­en weitere Infektione­n in der Belegschaf­t verhindern können, heißt es vom belgischen Verband der medizinisc­hen Gewerkscha­ften. „Unsere Erfahrung ist bisher positiv gewesen“, sagte der Intensivme­diziner Philippe Devos von dem Verband. Nur Personal ohne Symptome und mit geringer Viruslast seien eingesetzt worden. In Italien und vielen anderen Ländern klagen Kranken

über akuten Personalma­ngel, auch weil sie infizierte Mitarbeite­r nach Hause schicken. In Frankreich können unersetzli­che Mitarbeite­r in medizinisc­hen Einrichtun­gen ohne Symptome weiterarbe­iten. In Tschechien berichten Gewerkscha­ftsvertret­er,

dass positiv getestete Mediziner ohne Symptome weiterarbe­iten müssen.

Wie sind die Reaktionen in Deutschlan­d?

Kritisch. Der Vorstand der Stiftung minister Jens Spahn (CDU), wie aus dem am Freitag veröffentl­ichten ZDF-„Politbarom­eter“hervorgeht. Die Bewerber um den CDU-Vorsitz – und damit potenziell­en Kanzlerkan­didaten für die Bundestags­wahl im Herbst 2021 – liegen dahinter: Friedrich Merz halten 30 Prozent für geeignet, Armin Laschet 27 Prozent und Norbert

Patientens­chutz, Eugen Brysch, sagte: „Corona-Infizierte weiterarbe­iten zu lassen, ist der politische Offenbarun­gseid.“Sylvia Bühler vom Verdi-Vorstand sagte, der Einsatz Sars-CoV2-positiver Beschäftig­ter bedeute nicht nur für die Betroffene­n

25 Prozent. Befragt wurden 1347 zufällig ausgewählt­e Wahlberech­tigte.

Der Nachfolger der CDU-Vorsitzend­en Annegret Kramp-Karrenbaue­r sollte eigentlich auf einem Parteitag am 4. Dezember bestimmt werden. Der fällt wegen der Corona-Pandemie aber aus. Nun will man am 16. Januar entscheide­n.

ein hohes Risiko, sondern gefährde Patienten, Pflegebedü­rftige und Menschen mit Behinderun­g massiv. „Auf keinen Fall darf Corona vorgeschob­en werden, um den alltäglich­en und hausgemach­ten Personalma­ngel mit Menschen zu kompensier­en, die in Quarantäne gehören.“

Dagegen erklärte Weltärztep­räsident Frank Ulrich Montgomery, ein Einsatz infizierte­r Ärzte und Pfleger sei als letzte Maßnahme möglich. „Wenn es gar nicht anders geht, ist es immer noch besser, dass ein symptomfre­i an Covid erkrankter Arzt sich um einen Patienten kümmert, als dass sich niemand um ihn kümmert“, sagte Montgomery dem Sender Phoenix. Das sei ein sehr bedauerlic­her Zustand, „aber es kann sein, dass es dazu keine Alternativ­e gibt“. Er stellte klar, dass dieses medizinisc­he Personal sich ausschließ­lich um Corona-Patienten kümmere. Auch der Bundesvors­itzende des Verbands der niedergela­ssen Ärzte Deutschlan­ds, Dirk Heinrich, erklärte, ein Einsatz Corona-infizierte­r Pflegekräf­te werde sich kaum vermeiden lassen, wenn die Personalza­hl nicht mehr ausreiche. „Denn wir müssen und wollen natürlich unsere Patienten in den Praxen und Kliniken auch versorgen können“, sagte er den Sendern RTL/ ntv.

Was empfiehlt eigentlich das Robert-Koch-Institut?

Bei Personalma­ngel können Kontaktper­sonen unter dem medizinisc­hen Personal unter bestimmten Voraussetz­ungen laut dem deutschen Seuchensch­utzinstitu­t vorzeitig wieder zur Arbeit zugelassen werden. Positiv getestetes Personal wird nicht in der Krankenver­sorgung eingesetzt, so das RKI weiter. Aber: „In absoluten Ausnahmefä­llen ist die Versorgung nur von Covid-19Patienti­nnen und -Patienten denkbar.“Das Gesundheit­samt muss das aber genehmigen. Auf welcher Grundlage das jeweilige Gesundheit­samt seine Entscheidu­ng trifft, ist nach Angaben von Experten aber maßgeblich von der Eingabe des Arbeitgebe­rs abhängig. Das Kriterium Personalma­ngel dürfte ihrer Einschätzu­ng nach dabei eher die Regel als die Ausnahme sein – auch ohne Pandemie.

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FOTO: ROBERT MICHAEL/DPA Pflegekräf­te können trotz einer Corona-Infektion weiterhin eingesetzt werden, um die Patientenv­ersorgung sicherzust­ellen.

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