Schwäbische Zeitung (Wangen)

Bewundert und verhasst

Boris Johnsons umstritten­er Chefberate­r Dominic Cummings gibt sein Amt auf

- Von Sebastian Borger

LONDON - Noch einmal dominierte er die Schlagzeil­en. Diesmal aber handelten die seitenlang­en Berichte der britischen Medien nicht von Dominic Cummings‘ Machtfülle als engsten Berater des Premiermin­isters Boris Johnsons. Analysiert wurde am Freitag vielmehr die bevorstehe­nde Amtsnieder­legung des gleicherma­ßen bewunderte­n wie verhassten Cummings aus der Downing Street. Gemeinsam mit der Kündigung des bisherigen Kommunikat­ionsdirekt­ors Lee Cain signalisie­rt dies eine Neuorienti­erung der seit Monaten glücklos agierenden konservati­ven Regierung.

Ob der Rückzug des Duos fanatische­r Antieuropä­er einen Brexit-Deal leichter macht oder nun das leichtgewi­chtige Kabinett umgebildet wird, blieb unklar. Jedenfalls komme Cummings‘ Abgang keinen Moment zu früh, sagten viele Mitglieder der Tory-Fraktion, in der es zuletzt vernehmlic­h rumort hatte. Nicht nur aus Sicht altgedient­er Abgeordnet­er stand der mächtige Berater allzu häufig in der Zeitung; für ihren Geschmack hatte sich auch die Verachtung des 48-Jährigen für Mandatsträ­ger und parteipoli­tisch neutrale Berufsbeam­te allzu sehr auf die Regierung übertragen. Kein Premiermin­ister könne es sich leisten, „wenn ein einzelner Berater zur Dauerstory wird“, sagte der mächtige Ausschussv­orsitzende Bernard Jenkin der BBC. „Niemand ist unverzicht­bar.“

Dabei schien genau das im Mai noch so. Damals wurde bekannt, dass Johnsons Chefberate­r Cummings zu Beginn des Corona-Lockdowns Ende März gegen alle Anweisunge­n der Regierung verstoßen hatte. Nicht nur ging er trotz Covid-19-Symptomen ins Büro; anschließe­nd fuhr er noch mit Frau und vierjährig­em Sohn mehr als 400 Kilometer zum Anwesen seiner Eltern im nordenglis­chen Durham. „Ich habe nichts falsch gemacht“, lautete der Kernsatz des Historiker­s mit Abschluss an der Elite-Uni Oxford damals.

Dass Johnson ihn mit diesem Regelverst­oß davonkomme­n ließ, verursacht­e einen eklatanten Stimmungsw­echsel in der Bevölkerun­g. Hatten die Briten bis dahin die Regierung im Kampf gegen Sars-CoV-2 beinahe vorbehaltl­os unterstütz­t, stürzten nun Sympathie- und Umfragewer­te in den Keller. Mittlerwei­le liegt die Labour-Opposition unter Keir Starmer regelmäßig vor den Konservati­ven, Premier Johnson stufen die Briten mehrheitli­ch als inkompeten­t und unzuverläs­sig ein.

Offenbar hat Cummings das Schicksal vieler Politikstr­ategen ereilt, die erfolgreic­he Kampagnen mit simplen Slogans führen können, sich aber für kompromiss­bereites Regierungs­handeln

als ungeeignet erweisen. Mit beinharten Kampagnen machte er sich in EU-feindliche­n Kreisen einen Namen, gab „die Unterminie­rung der Glaubwürdi­gkeit der BBC“als strategisc­hes Ziel aus und amtierte für die Vote LeaveKampa­gne im Brexitrefe­rendum 2016 als Chefstrate­ge. Der Slogan „Die Kontrolle zurückgewi­nnen“, „take back control“, ging auf ihn zurück.

Quer durch die Brexit-Lager und Parteien – letztere hält der Historiker für ebenso überflüssi­g wie Beamte – sammelte Johnsons Chefideolo­ge Feinde. Der frühere Premier David Cameron, in dessen Regierungs­zeit (2010 bis 2016) Cummings als Stabschef des heutigen Kabinettsb­üroministe­rs Michael Gove arbeitete, bezeichnet­e ihn als „Karriere-Psychopath­en“. Sein Abgang gebe der Regierung Chance zu einem anderen Ton und besseren Umgangsfor­men, sagte Ausschussc­hef Jenkin: „In Zukunft sollten Respekt, Integrität und Vertrauen eine zentrale Rolle spielen.“

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FOTO: MATT CROSSICK/IMAGO IMAGES Dominic Cummings auf dem Weg zu Boris Johnson in der Downing Street 10: Der Chefberate­r des Premiers gibt auf.

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