Schwäbische Zeitung (Wangen)

Spritzen, Verzicht und Liegestütz­e

Wie Freiburgs OB Horn seinen Diabetes-Alltag meistert

- Von Violetta Heise

FREIBURG (dpa) - Zuerst seien da über Wochen diese Muskelkräm­pfe in den Beinen gewesen. Dann kam der ungewöhnli­che Durst. Und zuletzt habe er sechs Kilo in zwölf Wochen abgenommen, erzählt Martin Horn. Mit diesen Symptomen ging der heute 36 Jahre alte Freiburger Oberbürger­meister im Sommer zum Arzt. Die Diagnose: Diabetes Typ 1.

Für Horn ist die Nachricht ein Schock. Er muss sein Leben umstellen, seinen Blutzucker­wert immer im Blick behalten und sich für jedes Brötchen, für jeden Teller Nudeln bewusst entscheide­n. Denn viele Kohlenhydr­ate im Essen sorgen dafür, dass mehr Insulin gespritzt werden muss. Anstelle eines Obstkorbs steht jetzt ein Schälchen mit Gemüse auf seinem Schreibtis­ch im Rathaus. Und die geliebten Saftschorl­en sind schnödem Wasser gewichen.

Zunächst weiht Horn nur sein engstes Umfeld ein, doch jetzt geht der Politiker mit der Krankheit an die Öffentlich­keit. „Ich habe keine Lust auf ein Verstecksp­iel“, sagt er kurz vor dem Weltdiabet­estag am Samstag. Er wolle offen mit der Krankheit umgehen. Zu einem Gespräch mit der Presse hat er auch Fußballpro­fi Sandra Starke ins Rathaus eingeladen, die ebenfalls Diabetes Typ 1 hat, aber schon seit 2018 davon weiß.

Typ-1-Diabetes ist vergleichs­weise selten. Bei der Autoimmune­rkrankung ist die Bauchspeic­heldrüse nicht in der Lage, Insulin zu produziere­n. Meist bricht die Krankheit im Kindes- oder Jugendalte­r aus, nicht wie bei Horn mit über 30. Laut Deutscher Diabetes Gesellscha­ft (DDG) sind in Deutschlan­d rund 370 000 Menschen betroffen.

Beim Diabetes Typ 2, der weitaus häufigeren Erkrankung­sform, sinkt vor allem die Wirksamkei­t von Insulin an den Körperzell­en mit den Jahren ab. Viele Erkrankte produziert­en auch immer weniger Insulin. Besonders häufig trifft die Krankheit Ältere und Menschen mit Übergewich­t. Sieben bis acht Millionen Menschen in Deutschlan­d haben laut der DDG Diabetes Typ 2. Dazu kommen demnach viele, die nichts von ihrer Erkrankung wissen.

Bei Martin Horn brach der Diabetes völlig überrasche­nd aus. Noch im vergangene­n Winter habe eine Blutunters­uchung keine Auffälligk­eiten ergeben, sagt er. Im Juli kam dann die Diagnose. „Noch bin ich in Phase eins des Nicht-Wahrhaben-Wollens“, sagt der Politiker. Er könne sich noch nicht wirklich an den Gedanken gewöhnen, sich jetzt für den Rest seines Lebens täglich Insulin spritzen zu müssen. „Turbulent“habe er die ersten Monate mit Diabetes erlebt.

Das Blutzucker­messen beispielsw­eise sei anfangs ein Kampf gewesen: Etwa ein Dutzend Mal täglich habe er sich in der ersten Woche nach der Diagnose in den Finger gepikst, weil bei vielen Versuchen kein Blut kam. Und die erste Jogging-Runde habe er nach 17 Minuten abbrechen müssen, weil er in den Unterzucke­r gerauscht sei.

Doch langsam kehrt Routine ein im Umgang mit der Krankheit. Mit dem Piksen ist es vorbei: Seinen

Blutzucker­spiegel kann Horn jetzt fast in Echtzeit auf dem Handy ablesen. Ein Sensor, den er in seinem Arm trägt, überträgt via Bluetooth die Werte. Seien sie zu hoch, mache er ein paar Liegestütz­e oder setze sich eine Spritze, erzählt Horn. Gegen Unterzucke­r habe er immer Traubenzuc­ker in der Hosentasch­e. Und vor dem Joggen esse er nun eben eine Banane.

„Ich hätte echt darauf verzichten können“, sagt Horn über seine Krankheit. Aber selbst der unvorherse­hbare Alltag eines Bürgermeis­ters lasse sich mit Diabetes Typ 1 gut bewältigen. Genau wie der von Spitzenspo­rtlerin Sandra Starke.

 ?? FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA ?? Freiburgs Oberbürger­meister Martin Horn zeigt seinen von einem Sensor an seinem Oberarm gemessenen Blutzucker­wert auf dem Display seines Smartphone­s. Er hat gelernt, mit der Erkrankung umzugehen. acht Millionen
FOTO: PHILIPP VON DITFURTH/DPA Freiburgs Oberbürger­meister Martin Horn zeigt seinen von einem Sensor an seinem Oberarm gemessenen Blutzucker­wert auf dem Display seines Smartphone­s. Er hat gelernt, mit der Erkrankung umzugehen. acht Millionen

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