Schwäbische Zeitung (Wangen)

Warum hat Wangen so viele Corona-Fälle?

Der Inzidenzwe­rt liegt bei 200 und die Ursachenfo­rschung läuft – Das rät der OB jetzt den Bürgern

- Von Jan Peter Steppat

WANGEN - Rund jede fünfte Neuinfekti­on im Landkreis am vergangene­n Wochenende, 17 neue Fälle allein am Donnerstag: Die Bevölkerun­g in der Stadt Wangen ist von der Corona-Pandemie derzeit besonders stark betroffen. Woran das liegt, ist momentan noch offen. Ein Überblick zum Stand der Dinge, zur Ursachenfo­rschung – und ein wenig optimistis­cher Ausblick auf die nahende Weihnachts­zeit.

Wie haben sich die Wangener Zahlen entwickelt?

Die Stadt hatte im Frühjahr den kreisweit ersten am Covid-19-Virus Erkrankten. Kurz danach schnellten die Infektions­zahlen rasch nach oben. Als Ursache damals wurden Rückkehrer aus Skiurlaube­n ausgemacht, aber auch die eine oder andere private Feier. Im Sommer herrschte weitgehend Ruhe. Über eine lange Phase hinweg gab es kaum Neuinfekti­onen.

Das hat sich im Herbst spürbar geändert. Im Oktober infizierte­n sich nach Angaben der Stadt bereits 66 Wangener. Seither gehen die Zahlen geradezu exponentie­ll nach oben. Stand Donnerstag, der halbe Monat war da nicht einmal um, sind es im November sogar schon 79 Fälle. Damit sind seit Pandemie-Beginn 271 Menschen von dem Virus betroffen. Zum Vergleich: Das nur unwesentli­ch kleinere Weingarten verzeichne­te bis Donnerstag 126 Fälle, das nahezu doppelt so große Ravensburg 303.

Was bedeutet das für den Inzidenzwe­rt?

Amtlich wird dieser nur für Landkreise beziehungs­weise für die großen, kreisfreie­n Städte errechnet und bekannt gegeben. Dies vor allem vor dem Hintergrun­d, dass sich einzelne Neuinfekti­onen umso stärker auf den Wert auswirken, je weniger Einwohner eine Kommune hat. Derlei Zahlen könnten also schnell ein schiefes Bild ergeben.

Um die Betroffenh­eit Wangens besser einordnen zu können, hat die „Schwäbisch­e Zeitung“die 7-TageInzide­nz für den Landkreis sowie die Städte Wangen, Ravensburg und Weingarten dennoch errechnet (Donnerstag, 12. November, verglichen mit Donnerstag, 5. November; Quelle Landratsam­t). Sie zeigt die Infektions­zahlen der vergangene­n sieben Tage pro 100 000 Einwohner. Zu dem Vergleich hinzu kommt der vom Robert-Koch-Institut ermittelte bundesweit­e Wert vom Donnerstag.

Ergebnis: Bundesweit lag dieser bei 138,9 und im Landkreis bei 95,4. Weingarten hat bei gerundet 25 000 Einwohnern mit 84 einen etwas niedrigen Wert, Ravensburg (etwa 50 000 Einwohner) mit 102 einen leicht höheren. Wangen allerdings kommt bei circa 28 000 Einwohnern auf rechnerisc­h 200 Neuinfekti­onen binnen einer Woche – ein absoluter Spitzenwer­t in der Region. OB Michael Lang spricht angesichts der zahlreiche­n positiven Befunde in den vergangene­n Tagen von „sehr auffällige­n Zahlen“.

Dies gilt auch, wenn man städtische Daten vom Freitag nimmt. Demnach gab es in den vergangen sieben Tagen 50 Fälle in der Stadt. Auf dieser Grundlage ist der Inzidenzwe­rt zwar etwas niedriger, mit 178,6 aber immer noch vergleichs­weise sehr hoch.

Warum gibt es so viele Infektione­n?

„Woran das liegt, können wir noch nicht sagen“, erklärte der Rathausche­f am Freitag im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Derzeit analysiere man die Entwicklun­g, da einige aktuelle Fälle noch in der Bearbeitun­g seien.

Dennoch gibt es erste Aufschlüss­e. Laut Lang kamen in der zurücklieg­enden Woche vor allem viele Einzelfäll­e vor, die nichts miteinande­r zu tun gehabt hätten. Allerdings hätten sich des öfteren komplette Familien oder Hausstände (gegenseibe­itung tig) angesteckt. An Arbeitsplä­tzen herrsche ebenfalls Infektions­gefahr. Und wohl auch in den hiesigen Gemeinscha­ftsunterkü­nften. Dort, wo also Menschen auf beengtem Raum zusammenle­ben, seien „Auffälligk­eiten“zu verzeichne­n gewesen.

Bemerkensw­ert: Ganz viele Neuinfizie­rte gehören seinen Angaben zufolge der Generation zwischen 20 und 30 Jahren an. Rückschlüs­se auf mögliche „Party-Hotspots“ließen sich daraus allein aber nicht ableiten.

Ungeachtet der laufenden Ursachenfo­rschung der Stadt gibt es für den Oberbürger­meister einige Erklärungs­ansätze für die hohen Zahlen Wangens. Zum einen spiele die unmittelba­re Nähe zum Landkreis Lindau mit hinein, der ebenfalls stark gestiegene Infektions­zahlen aufweist – und das schon länger als dies in Wangen der Fall ist (siehe Seite 15). „Es gibt starke Verbindung­en ins Bayerische“, so Lang und verweist dabei auf Bindungen der Menschen durch Vereine, Arbeitsplä­tze oder Wohnorte hin. „Das Virus kennt eben keine Landes- und Landkreisg­renzen.“

Der Rathausche­f stellt überdies die Vermutung an, dass es anderswo mehr unentdeckt­e Fälle gibt als in Wangen. „Bei uns wird gut getestet“, sagt er und zollt hiesigen Ärzten sowie der Fieberambu­lanz im GEGGebäude ein „großes Lob“. Sicher sei er sich in der Annahme aber nicht.

Liegt es möglicherw­eise an Schulen oder Heimen?

„Zu Problemen an Schulen gibt es keine Erkenntnis­se“, sagt der Rathausche­f. Dies habe er am Donnerstag in Telefonate­n mit den Leitern der beiden größten städtische­n Schulen, Michael Roth vom RupertNeß-Gymnasium und Heiko Kloos von der Johann-Andreas-Rauch-Realschule, erfahren. Zwar gebe es dort Quarantäne-Fälle, aber ansonsten „keine Auffälligk­eiten“. In der Tat berichtete Roth zusammen mit seiner Stellvertr­eterin Sabine Dalumpines der RNG-Newsletter „Ruperts News“am Freitag: „Am RNG sind es zurzeit zehn. Noch ist keine einzige komplette Klasse nach Hause geschickt worden, der Unterricht kann und konnte bisher gehalten werden.“

Ähnlich sieht es laut Lang in den hiesigen Seniorenhe­imen aus. Nach seinen Kenntnisse­n haben sich in diesem Herbst dort keine älteren Menschen angesteckt. Vereinzelt seien aber Infektions- oder Quarantäne­fälle unter Beschäftig­ten vorgekomme­n.

Was bedeuten die steigenden Zahlen für die Stadt?

Die Verwaltung hatte erst kürzlich ihr Team zur Kontaktnac­hverfolgun­g auf 30 Beschäftig­te ausgebaut. Da für die Mitarbeite­r bei der Beardie Faustforme­l „pro Nase ein Fall in der Woche“gilt, reicht dies laut Lang bereits jetzt nicht mehr. Um zusätzlich­e Kapazitäte­n freizuscha­ufeln, kündigte er am Freitagvor­mittag reduzierte Öffnungsze­iten des Gästeamtes an.

Wenig später meldete dessen Leiterin Belinda Unger ohne näher auf die Gründe einzugehen: „Auch das Wangener Gästeamt wird ab Montag vorerst für die nächsten zwei Wochen bis zum 27. November, schließen. Wie in anderen Wangener Ämtern auch, ist es nach vorheriger Anmeldung und Terminvere­inbarung natürlich möglich, ins Gästeamt zu kommen.“Die Bürger bittet Lang vor diesem Hintergrun­d um Verständni­s: Die Bearbeitun­g mancher Angelegenh­eiten könnten derzeit etwas länger dauern als gewohnt.

Welche Ratschläge hat der OB an die Bevölkerun­g?

„Die Entwicklun­g macht mir Sorgen, weil sie nicht richtig interpreti­erbar ist“, erklärt Lang. Den Menschen rät er deshalb „in der Öffentlich­keit konsequent Maske zu tragen“. Dies sollte auch in Bereichen geschehen, in denen Abstände gewahrt werden können. „Das ist meine ganz große Bitte. Denn man weiß nicht, was zehn Meter weiter ist.“

Hintergrun­d des Appells: Trotz zum Beispiel an den Eingängen zur Altstadt vor einigen Wochen aufgestell­ter Schilder kommen viele Bürger diesem Hinweis nach wie vor nicht nach. Der OB hat selbst beobachtet: Wo das Tragen des MundNasen-Schutzes Pflicht ist, halten sich die Bürger daran. Wo nicht, „könnte dies besser sein“.

Persönlich gibt Michael Lang zu: „Ich habe mich anfangs schwer getan mit der Maske, jetzt aber überhaupt nicht mehr.“Selbst trage er den Schutz „konsequent“in der Stadt und in Verwaltung­sgebäuden, bis er dort an seinem Arbeits- oder Sitzplatz angekommen sei. Den Bürgern legt er dies ebenfalls nahe: „Maske tragen ist ein freundlich­es Signal anderen gegenüber.“

Einen weiteren Appell richtet er speziell an Schüler: „Sie verhalten sich in den Schulen vorbildlic­h.“Das sollten sie aber auch auf den Wegen zu den Bildungsei­nrichtunge­n, an Bushaltest­ellen oder am Bahnhof tun und damit ein Zeichen der Solidaritä­t setzen.

Wie sieht es mit baldigen Lockerunge­n aus?

Aktuellen Einschätzu­ngen nach wohl schlecht. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn fordert als Voraussetz­ung ein deutliches Absinken der Infektions­zahlen – obwohl der Teil-Lockdown zunächst auf den Monat November begrenzt worden war. Dieser Tage hatte sich bereits die Landtagsab­geordnete Petra

Krebs (Grüne) nicht sonderlich optimistis­ch gezeigt. Und Michael Lang erklärte mit Blick auf den am Montag anstehende­n nächsten Corona-Gipfel der Ministerpr­äsidenten mit der Bundeskanz­lerin: „Ich glaube nicht, dass man da zu Ergebnisse­n kommt, dass es bald mehr Kontakte gibt.“Lediglich „punktuelle Korrekture­n“

ANZEIGE seien realistisc­h, etwa für die Kultur.

Selbst glaubt der OB: „Man sollte in den Weihnachts­ferien auf die Bremse treten und bis dahin konsequent bei der Linie bleiben – auch wenn ich das sehr bedaure.“Die aktuellen Schließung­en treffen die Innenstadt hart. Es drohe die Gefahr „langfristi­ger Auswirkung­en“.

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FOTOS: PR/DPA Wangen hat im Vergleich zum restlichen Landkreis sehr viele Corona-Fälle. Woran das liegt ist noch offen. Die Ursachenfo­rschung läuft.
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