Warum hat Wangen so viele Corona-Fälle?
Der Inzidenzwert liegt bei 200 und die Ursachenforschung läuft – Das rät der OB jetzt den Bürgern
WANGEN - Rund jede fünfte Neuinfektion im Landkreis am vergangenen Wochenende, 17 neue Fälle allein am Donnerstag: Die Bevölkerung in der Stadt Wangen ist von der Corona-Pandemie derzeit besonders stark betroffen. Woran das liegt, ist momentan noch offen. Ein Überblick zum Stand der Dinge, zur Ursachenforschung – und ein wenig optimistischer Ausblick auf die nahende Weihnachtszeit.
Wie haben sich die Wangener Zahlen entwickelt?
Die Stadt hatte im Frühjahr den kreisweit ersten am Covid-19-Virus Erkrankten. Kurz danach schnellten die Infektionszahlen rasch nach oben. Als Ursache damals wurden Rückkehrer aus Skiurlauben ausgemacht, aber auch die eine oder andere private Feier. Im Sommer herrschte weitgehend Ruhe. Über eine lange Phase hinweg gab es kaum Neuinfektionen.
Das hat sich im Herbst spürbar geändert. Im Oktober infizierten sich nach Angaben der Stadt bereits 66 Wangener. Seither gehen die Zahlen geradezu exponentiell nach oben. Stand Donnerstag, der halbe Monat war da nicht einmal um, sind es im November sogar schon 79 Fälle. Damit sind seit Pandemie-Beginn 271 Menschen von dem Virus betroffen. Zum Vergleich: Das nur unwesentlich kleinere Weingarten verzeichnete bis Donnerstag 126 Fälle, das nahezu doppelt so große Ravensburg 303.
Was bedeutet das für den Inzidenzwert?
Amtlich wird dieser nur für Landkreise beziehungsweise für die großen, kreisfreien Städte errechnet und bekannt gegeben. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass sich einzelne Neuinfektionen umso stärker auf den Wert auswirken, je weniger Einwohner eine Kommune hat. Derlei Zahlen könnten also schnell ein schiefes Bild ergeben.
Um die Betroffenheit Wangens besser einordnen zu können, hat die „Schwäbische Zeitung“die 7-TageInzidenz für den Landkreis sowie die Städte Wangen, Ravensburg und Weingarten dennoch errechnet (Donnerstag, 12. November, verglichen mit Donnerstag, 5. November; Quelle Landratsamt). Sie zeigt die Infektionszahlen der vergangenen sieben Tage pro 100 000 Einwohner. Zu dem Vergleich hinzu kommt der vom Robert-Koch-Institut ermittelte bundesweite Wert vom Donnerstag.
Ergebnis: Bundesweit lag dieser bei 138,9 und im Landkreis bei 95,4. Weingarten hat bei gerundet 25 000 Einwohnern mit 84 einen etwas niedrigen Wert, Ravensburg (etwa 50 000 Einwohner) mit 102 einen leicht höheren. Wangen allerdings kommt bei circa 28 000 Einwohnern auf rechnerisch 200 Neuinfektionen binnen einer Woche – ein absoluter Spitzenwert in der Region. OB Michael Lang spricht angesichts der zahlreichen positiven Befunde in den vergangenen Tagen von „sehr auffälligen Zahlen“.
Dies gilt auch, wenn man städtische Daten vom Freitag nimmt. Demnach gab es in den vergangen sieben Tagen 50 Fälle in der Stadt. Auf dieser Grundlage ist der Inzidenzwert zwar etwas niedriger, mit 178,6 aber immer noch vergleichsweise sehr hoch.
Warum gibt es so viele Infektionen?
„Woran das liegt, können wir noch nicht sagen“, erklärte der Rathauschef am Freitag im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“. Derzeit analysiere man die Entwicklung, da einige aktuelle Fälle noch in der Bearbeitung seien.
Dennoch gibt es erste Aufschlüsse. Laut Lang kamen in der zurückliegenden Woche vor allem viele Einzelfälle vor, die nichts miteinander zu tun gehabt hätten. Allerdings hätten sich des öfteren komplette Familien oder Hausstände (gegenseibeitung tig) angesteckt. An Arbeitsplätzen herrsche ebenfalls Infektionsgefahr. Und wohl auch in den hiesigen Gemeinschaftsunterkünften. Dort, wo also Menschen auf beengtem Raum zusammenleben, seien „Auffälligkeiten“zu verzeichnen gewesen.
Bemerkenswert: Ganz viele Neuinfizierte gehören seinen Angaben zufolge der Generation zwischen 20 und 30 Jahren an. Rückschlüsse auf mögliche „Party-Hotspots“ließen sich daraus allein aber nicht ableiten.
Ungeachtet der laufenden Ursachenforschung der Stadt gibt es für den Oberbürgermeister einige Erklärungsansätze für die hohen Zahlen Wangens. Zum einen spiele die unmittelbare Nähe zum Landkreis Lindau mit hinein, der ebenfalls stark gestiegene Infektionszahlen aufweist – und das schon länger als dies in Wangen der Fall ist (siehe Seite 15). „Es gibt starke Verbindungen ins Bayerische“, so Lang und verweist dabei auf Bindungen der Menschen durch Vereine, Arbeitsplätze oder Wohnorte hin. „Das Virus kennt eben keine Landes- und Landkreisgrenzen.“
Der Rathauschef stellt überdies die Vermutung an, dass es anderswo mehr unentdeckte Fälle gibt als in Wangen. „Bei uns wird gut getestet“, sagt er und zollt hiesigen Ärzten sowie der Fieberambulanz im GEGGebäude ein „großes Lob“. Sicher sei er sich in der Annahme aber nicht.
Liegt es möglicherweise an Schulen oder Heimen?
„Zu Problemen an Schulen gibt es keine Erkenntnisse“, sagt der Rathauschef. Dies habe er am Donnerstag in Telefonaten mit den Leitern der beiden größten städtischen Schulen, Michael Roth vom RupertNeß-Gymnasium und Heiko Kloos von der Johann-Andreas-Rauch-Realschule, erfahren. Zwar gebe es dort Quarantäne-Fälle, aber ansonsten „keine Auffälligkeiten“. In der Tat berichtete Roth zusammen mit seiner Stellvertreterin Sabine Dalumpines der RNG-Newsletter „Ruperts News“am Freitag: „Am RNG sind es zurzeit zehn. Noch ist keine einzige komplette Klasse nach Hause geschickt worden, der Unterricht kann und konnte bisher gehalten werden.“
Ähnlich sieht es laut Lang in den hiesigen Seniorenheimen aus. Nach seinen Kenntnissen haben sich in diesem Herbst dort keine älteren Menschen angesteckt. Vereinzelt seien aber Infektions- oder Quarantänefälle unter Beschäftigten vorgekommen.
Was bedeuten die steigenden Zahlen für die Stadt?
Die Verwaltung hatte erst kürzlich ihr Team zur Kontaktnachverfolgung auf 30 Beschäftigte ausgebaut. Da für die Mitarbeiter bei der Beardie Faustformel „pro Nase ein Fall in der Woche“gilt, reicht dies laut Lang bereits jetzt nicht mehr. Um zusätzliche Kapazitäten freizuschaufeln, kündigte er am Freitagvormittag reduzierte Öffnungszeiten des Gästeamtes an.
Wenig später meldete dessen Leiterin Belinda Unger ohne näher auf die Gründe einzugehen: „Auch das Wangener Gästeamt wird ab Montag vorerst für die nächsten zwei Wochen bis zum 27. November, schließen. Wie in anderen Wangener Ämtern auch, ist es nach vorheriger Anmeldung und Terminvereinbarung natürlich möglich, ins Gästeamt zu kommen.“Die Bürger bittet Lang vor diesem Hintergrund um Verständnis: Die Bearbeitung mancher Angelegenheiten könnten derzeit etwas länger dauern als gewohnt.
Welche Ratschläge hat der OB an die Bevölkerung?
„Die Entwicklung macht mir Sorgen, weil sie nicht richtig interpretierbar ist“, erklärt Lang. Den Menschen rät er deshalb „in der Öffentlichkeit konsequent Maske zu tragen“. Dies sollte auch in Bereichen geschehen, in denen Abstände gewahrt werden können. „Das ist meine ganz große Bitte. Denn man weiß nicht, was zehn Meter weiter ist.“
Hintergrund des Appells: Trotz zum Beispiel an den Eingängen zur Altstadt vor einigen Wochen aufgestellter Schilder kommen viele Bürger diesem Hinweis nach wie vor nicht nach. Der OB hat selbst beobachtet: Wo das Tragen des MundNasen-Schutzes Pflicht ist, halten sich die Bürger daran. Wo nicht, „könnte dies besser sein“.
Persönlich gibt Michael Lang zu: „Ich habe mich anfangs schwer getan mit der Maske, jetzt aber überhaupt nicht mehr.“Selbst trage er den Schutz „konsequent“in der Stadt und in Verwaltungsgebäuden, bis er dort an seinem Arbeits- oder Sitzplatz angekommen sei. Den Bürgern legt er dies ebenfalls nahe: „Maske tragen ist ein freundliches Signal anderen gegenüber.“
Einen weiteren Appell richtet er speziell an Schüler: „Sie verhalten sich in den Schulen vorbildlich.“Das sollten sie aber auch auf den Wegen zu den Bildungseinrichtungen, an Bushaltestellen oder am Bahnhof tun und damit ein Zeichen der Solidarität setzen.
Wie sieht es mit baldigen Lockerungen aus?
Aktuellen Einschätzungen nach wohl schlecht. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn fordert als Voraussetzung ein deutliches Absinken der Infektionszahlen – obwohl der Teil-Lockdown zunächst auf den Monat November begrenzt worden war. Dieser Tage hatte sich bereits die Landtagsabgeordnete Petra
Krebs (Grüne) nicht sonderlich optimistisch gezeigt. Und Michael Lang erklärte mit Blick auf den am Montag anstehenden nächsten Corona-Gipfel der Ministerpräsidenten mit der Bundeskanzlerin: „Ich glaube nicht, dass man da zu Ergebnissen kommt, dass es bald mehr Kontakte gibt.“Lediglich „punktuelle Korrekturen“
ANZEIGE seien realistisch, etwa für die Kultur.
Selbst glaubt der OB: „Man sollte in den Weihnachtsferien auf die Bremse treten und bis dahin konsequent bei der Linie bleiben – auch wenn ich das sehr bedaure.“Die aktuellen Schließungen treffen die Innenstadt hart. Es drohe die Gefahr „langfristiger Auswirkungen“.