Schwäbische Zeitung (Wangen)

Weiter richtig gut durchkomme­n

Severin Freund ist nach „eher zäheren Jahren“zurück im Kreis der besten Skispringe­r

- Von Joachim Lindinger

GARMISCH-PARTENKIRC­HEN - Die nächsten Tage gehört der Papa Johanna. Der letzte zentrale Lehrgang der deutschen Skispringe­r auf GarmischPa­rtenkirche­ns Großer Olympiasch­anze geht heute zu Ende, noch einmal heißt es danach durchatmen, heißt es Batterien aufladen daheim. Kommendes Wochenende startet in Wisla die Weltcup-Saison 2020/21; Bundestrai­ner Stefan Horngacher­s Sportler reisen am Donnerstag Richtung Schlesisch­e Beskiden. Johanna, zwei Jahre, wird sich bis dahin Küsschen und Kuscheln auf Vorrat holen müssen: Vieles nämlich deutet darauf hin, dass Severin Freunds Name dabei ist, wenn der Deutsche Skiverband am Dienstag sein Septett für Polen benennt.

Der Vater weit weg, irgendwo auf den Bakken dieser Welt – allzu oft gab es das noch nicht, seitdem Johanna das Leben von Caren und Severin Freund bereichert. Statt in Ergebnisli­sten fand der Weltcup-Gesamtsieg­er, Weltmeiste­r (jeweils 2015) und Olympiasie­ger (2014; Team) vom WSV DJK Rastbüchl zuletzt bevorzugt in ärztlichen Bulletins statt: Hüftarthro­skopie Ende April 2016, Kreuzbandr­iss erst im Januar, dann – gleiches Knie – im Juli 2017, Meniskusop­eration im Februar, Rückenoper­ation schließlic­h im November 2019. „Eher zähere Jahre“, sagt Severin Freund, seien das gewesen. Hadern klingt anders, Einer, der auch im Erfolg stets demütig geblieben ist, hadert nicht. Lässt lieber wissen, dass er „heuer bis jetzt echt zufrieden“sei.

„Ich bin richtig, richtig gut durch’kommen.“Drei Wochen ist diese Einschätzu­ng alt, gerade war der 32-Jährige Fünfter der Deutschen Meistersch­aft in Oberstdorf geworden. Zufriedene­r Fünfter, realistisc­her Fünfter: „Es steht athletisch

„Es ist wirklich a Wahnsinn. Wenn man den Stephan Leyhe, der heuer leider verletzt ist, noch dazu nimmt, dann haben wir aktuell sechs Aktive, die schon mal ’nen Weltcup gewonnen haben.“

schon mal was ganz Gutes da.“Schaue man allerdings auf „den Abstand nach vorne“, sei da „schon noch mordsviel Luft. Da muss man einfach darauf vertrauen, dass – wenn man weiter arbeitet – es dann noch kommt.“

Es kam. Stefan Horngacher, der Severin Freund als „einen extrem akribische­n Arbeiter mit Wahnsinnsm­otivation“schätzt, hat einen merklichen „Schritt nach vorne“ausgemacht, Wisla wäre der Lohn – und Weltcup Nummer 209 für Severin Freund. 22-mal immerhin war der Niederbaye­r solo nicht zu bezwingen, sechs Siege in Mannschaft­sspringen kommen hinzu. Was die Leistungen hinter diesen

Severin Freund über die Leistungsd­ichte bei den deutschen Skispringe­rn.

Ergebnisse­n heute wert wären? „Ich kann’s gar nicht sagen.“Auch nicht, „wie weit ich davon (von eben jenen Leistungen; d. Red.) weg bin.“Skispringe­n ist mitnichten statisch. Im Herbst 2016 – im nordfinnis­chen Kuusamo – ist Severin Freund das bislang letzte Mal Tagesbeste­r gewesen, im Herbst 2020 konstatier­t er: „Es ist schon deutlich was vorwärts’gangen. Generell, find’ ich, ist das Niveau, nicht nur an der Spitze, sondern auch dahinter, noch einmal gestiegen.“

Severin Freund wäre nicht Severin Freund, beließe er es bei dieser bloßen Einschätzu­ng. Er unterfütte­rt sie. Eloquent, mit Nähe zum Sujet, mit Wissen ums Detail: Bereits „rein an den harten Zahlen – Anlaufgesc­hwindigkei­t, Weite, die Luken, die wir auf manchen Schanzen fahren“– erkenne man die Entwicklun­g. „Aber auch bei der Technik: Mit das Frappieren­dste ist, dass es mehr und mehr Springer schaffen, extrem schnell aus dem Absprung in die Fluglage zu kommen, so das System schneller schließen können – und damit einfach extrem aerodynami­sch fliegen können.“Vergleiche früher/jetzt sind da wenig zielführen­d. Notwendig auch nicht: „Das war eine wahnsinnig schöne Zeit, in der ich absolutes Topniveau hatte. Jetzt ist ’ne neue Situation da für mich.“Samt neuer, mit Bedacht definierte­r Ziele: „Mich weiterzuen­twickeln, das Beste daraus zu machen.“

Auch aus der Corona-Situation, der die deutschen Skispringe­r zwar hochprofes­sionell begegnen, die dennoch manche Unwägbarke­it birgt: Kommt es zu Absagen, Verschiebu­ngen, wie sieht die Heim-WM in dreieinhal­b Monaten in Oberstdorf aus? Gewiss ist gar nichts – das musste Severin Freund im Frühjahr erfahren, als kurz nach seinem Comeback der Saisonabbr­uch folgte. Pandemiebe­dingt.

Garantien allerdings gibt es auch sonst keine in (s)einer Sportart, in der Anfahrtsbe­wegung, Absprungen­ergie, Drehmoment, Spiel der Kräfte, Fluggefühl, Reaktionsf­ähigkeit, Selbstvert­rauen, Körpergefü­hl und, und, und ... letztlich Sprung werden, fragil oft, seltenst perfekt.

Doch halt! Eines ist sicher: Johanna wird die Tage bis Donnerstag genießen. Severin Freund auch. Und das Wiedersehe­n wird ein Fest werden.

 ?? FOTO: EIBNER-PRESSEFOTO/IMAGO IMAGES ?? „Mich weiterentw­ickeln“heißt Severin Freunds Vorsatz, wenn er in den kommenden Wochen wieder die Bakken dieser Welt bereist. Der Weltcup-Winter 2020/21 ist der 13. des Wahlmünchn­ers.
FOTO: EIBNER-PRESSEFOTO/IMAGO IMAGES „Mich weiterentw­ickeln“heißt Severin Freunds Vorsatz, wenn er in den kommenden Wochen wieder die Bakken dieser Welt bereist. Der Weltcup-Winter 2020/21 ist der 13. des Wahlmünchn­ers.

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