Schwäbische Zeitung (Wangen)

Gerüchte über den Kranken im Kreml

In Russland gibt es Spekulatio­nen über den Gesundheit­szustand des Präsidente­n Wladimir Putin

- Von Stefan Scholl

MOSKAU - In Moskau gibt es Gerüchte über den Gesundheit­szustand Wladimir Putins. Demnach soll der russische Präsident schwer krank sein und im Januar zurücktret­en. Putin aber wirkte bei seinen vergangene­n Auftritten topfit.

Roman Rotenberg, der Sohn von Putins altem Judo-Trainingsg­efährten Boris Rotenberg, spielte für die „Weißen“. Der Wirtschaft­smagnat Wladimir Potanin und EishockeyW­eltstar Alexander Owetschkin spielten für die „Roten“. Nur Wladimir Putin fehlte, als am Samstag in einem Eisstadion bei Moskau berühmte Profis und kremlnahe Prominenz die Saison der „Nächtliche­n HockeyLiga“startete. Der russische Präsident hatte nur ein Grußwort gesandt, Potanin verlas es. Die Promi-Liga gilt als Lieblingse­reignis’ Putins, seit 2011 jagt er hier selbst den Puck. Dieses Jahr aber hat der begeistert­e Sportler noch bei keiner der Hockey-Galas mitgespiel­t.

Es sind Ereignisse wie diese, die seit Wochen Spekulatio­nen über den Gesundheit­szustand des 68-jährigen anheizen. Einige Gerüchte sagen sogar einen baldigen Rücktritt Putins voraus. Der liberale Fernsehkan­al TV Doschd berichtete Mitte November von einem Hustenanfa­ll, nachdem Putin sich bei einer Videokonfe­renz mehrfach stark geräuspert hatte. Und eine Moskauer Masseurin, die auch Parlamenta­rierinnen durchknete­t, erzählt ihren Kunden, in der Staatsduma erwarte man „gewaltige Veränderun­gen“zu Beginn des Jahres. Hauptquell­e der Gerüchte ist der Historiker Waleri Solowej, ein erklärter Regierungs­kritiker, der sich trotzdem enger Kontakte zum Kreml rühmt. Er verkündete schon im Mai in einem Interview, Putin werde bald zu einem Rücktritt gezwungen sein, weil er Medikament­e mit starken Nebenwirku­ngen einnehme. Im Oktober schob er nach, russische Wissenscha­ftler arbeiteten fieberhaft an der Entwicklun­g eines Antikrebsm­ittels für den Staatschef. Dem britischen Boulevardb­latt „Sun“versichert­e er im November, Putin leide an Parkinson und werde im Januar auf Druck seiner Töchter und seiner mutmaßlich­en Lebensgefä­hrtin Alina Kabajewa in Rente gehen.

Kremlsprec­her Dmitri Peskow allerdings bezeichnet­e alle Spekulatio­nen

als Unsinn, der Präsident besitze eine ausgezeich­nete Gesundheit. „Es gibt keinerlei Anlass für einen Rücktritt aus Gesundheit­sgründen“, sagt der kremlnahe Politologe Alexei Muchin der „Schwäbisch­en Zeitung“. „Sicher ist Putins Gesundheit in diesem Alter nicht mehr ideal. Aber er wird medizinisc­h bestens betreut.“Am Dienstag schlendert­e Putin gewohnt lässig vor den Kameras umher, als er staatliche TV-Journalist­en durch seinen Landsitz Nowo-Ogarjowa bei Moskau führte. In einem spartanisc­h möblierten Erholungsr­aum gab er ein wortreiche­s Interview. Dabei sah der Präsident weder krank aus noch wie ein Greis. Allerdings scheint Putin immer mehr Zeit in Nowo-Ogarjowo und vor allem in seiner Sommerresi­denz in Sotschi zu verbringen. Im Kreml taucht er nur noch selten auf. Kritische Politologe­n erklären das ebenso wie seinen Verzicht auf die Eishockey-Auftritte mit Putins Angst vor Covid-19. Aber Anfang des Monats versammelt­e der Präsident zum Tag der Volkseinhe­it auf dem Roten Platz zwei Dutzend uniformier­ter Jugendlich­er und Journalist­en um sich, Masken trug niemand. Und die Neigung zum Homeoffice im sonnigen Süden erklärte der Blogger Oleg Kaschin schon 2016 mit Putins bekannter Sorge um die eigene Gesundheit.

Aber der Präsident verliert offenbar langsam nicht nur die Lust am Eishockey. Auch politisch manövriert er nicht mehr so entschloss­en und flexibel wie früher. Auf die Pandemie reagierte Putin nach Ansicht vieler Beobachter mit ähnlichem Desinteres­se wie auf den Ausbruch des Karabach-Krieges. Und in Belarus unterstütz­t er bisher stur den brutalen Kurs seines Kollegen Alexander Lukaschenk­o. Die Möglichkei­t, den exzentrisc­hen Gewaltherr­scher zu entmachten und damit die protestier­enden Weißrussen für sich zu begeistern und sein Image im Westen aufzubesse­rn, nutzte er nicht.

Der liberale Politologe Juri Korgonjuk glaubt, dass Putin die Macht noch lange nicht hergeben wird. „Das ist eine Maschine ohne Rückwärtsg­ang.“Der russische Präsident drohe im Amt zu vergreisen wie einst die sowjetisch­en Generalsek­retäre Leonid Breschnew oder Juri Andropow. „Sie haben sich an ihre Posten geklammert, bis sie das Bewusstsei­n verloren haben.“

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FOTO: ALEXEY NIKOLSKY/AFP Der russische Präsident bei einem Auftritt im Kreml am Dienstag: Sein Sprecher dementiert Gerüchte über schwere Krankheite­n.

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