Schwäbische Zeitung (Wangen)

Arbeit ade

Jeder Zweite nutzt die Möglichkei­t, vorzeitig in Rente zu gehen

- Von Dieter Keller

BERLIN - Eigentlich ist es Ziel der Rentenpoli­tik, das Rentenalte­r schrittwei­se auf 67 Jahre zu erhöhen. Doch viele Arbeitnehm­er gehen bereits mit 63 in Rente. Im vergangene­n Jahr nutzten fast 460 000 ältere Arbeitnehm­er die Möglichkei­t, vor dem Erreichen der Regelalter­sgrenze in den Ruhestand zu gehen. Das waren 56 Prozent aller Altersrent­ner, ist dem Rentenvers­icherungsb­ericht 2020 der Bundesregi­erung zu entnehmen, den das Bundeskabi­nett am Mittwoch beschließe­n soll.

Besonders gerne wird weiter die Möglichkei­t genutzt, ohne Abschläge vorzeitig Rente zu beziehen: Davon machten 253 000 Frührentne­r Gebrauch. 2017 waren es erst 237 000. Voraussetz­ung dafür ist, dass sie mindestens 45 Jahre lang Rentenbeit­räge gezahlt haben. Allerdings wird diese Altersgren­ze stufenweis­e auf 65 Jahre angehoben. Der Jahrgang 1955, der in diesem Jahr den 65. Geburtstag feierte, kann die „Altersrent­e für besonders langjährig­e Versichert­e“erst mit 63 Jahren und sechs Monaten bekommen. Der Jahrgang 1960 muss bis 64 plus vier Monate warten.

Doch auch viele Arbeitnehm­er mit weniger Berufsjahr­en verabschie­den sich vorzeitig vom Arbeitspla­tz, obwohl sie dafür eine geringere Rente in Kauf nehmen. Im vergangene­n Jahr waren es knapp 152 000. Auch wer auf 35 Versicheru­ngsjahre kommt, kann schon mit 63 Rente bekommen. Allerdings wird sie für jeden Monat des vorzeitige­n Bezugs dauerhaft um 0,3 Prozent gekürzt. Für den Jahrgang 1955 beispielsw­eise liegt die Regelalter­sgrenze bei 65 Jahren und neun Monaten. Wer sich schon zum 63. Geburtstag vom Betrieb verabschie­det, erkauft sich das mit 9,9 Prozent weniger Rente.

Zwischen West und Ost gibt es deutliche Unterschie­de: Im Westen gehen 52 Prozent der Senioren vorzeitig in Rente, im Osten dagegen 73 Prozent. Bei allen Zahlen sind diejenigen nicht berücksich­tigt, die wegen vermindert­er Erwerbstät­igkeit weit vor 63 Rente beantragen müssen. 2019 waren das fast 162 000.

Wer sich freiwillig vorzeitig verabschie­det, ist oft relativ gut versorgt. Im Westen kommen Männer, die die Rente mit 63 nach 45 Versicheru­ngsjahren beziehen, im Schnitt auf 1587 Euro im Monat, Frauen auf 1151 Euro, jeweils vor Abzug des Beitrags zur Krankenver­sicherung. Wer nach 35 Jahren geht, hat 1379 beziehungs­weise 831 Euro. Im Osten stehen Frauen nach 45 Jahren mit 1204 Euro besser da als im Westen. Männer bekommen mit 1266 Euro nur wenig mehr. Anders sieht es für diejenigen aus, die nur auf mindestens 35 Jahre kommen: Da erhalten Männer im Osten 1069 Euro, Frauen 957 Euro.

Allerdings muss man bei diesen Durchschni­ttsbeträge­n beachten, dass die Lebensumst­ände eine entscheide­nde Rolle spielen. Ganz besonders gilt das für die Frage, wie hoch die durchschni­ttlichen Renten ausfallen. Dabei hat der Osten die Nase vorn: Dort erhielten Männer Mitte 2019 im Schnitt 1268 Euro, Frauen 1028 Euro. Im Westen waren es 1167 beziehungs­weise 694 Euro.

Dabei sind auch kleine Renten berücksich­tigt, etwa von Beschäftig­ten im öffentlich­en Dienst, die nach ein paar Jahren verbeamtet werden und neben einer kleinen Rente auch Pension beziehen. „Niedrigere Renten ... sagen nur wenig über das Nettoeinko­mmen der Rentnerinn­en und Rentner aus“, betont daher der Rentenvers­icherungsb­ericht.

Als Beleg führt er eine repräsenta­tive Studie über Rentnerhau­shalte an. Danach verfügten 2019 Ehepaare im Westen über 2910 Euro netto im Monat, alleinsteh­ende Männer über 1796 Euro und Frauen über 1606 Euro. Im Osten kamen Ehepaare auf 2554 Euro, alleinsteh­ende Männer auf 1560 Euro und Frauen auf 1571 Euro. Bei diesen Zahlen sind pensionier­te Beamte und Freiberufl­er nicht berücksich­tigt.

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FOTO: STEPHAN SCHEUER/DPA 460 000 ältere Arbeitnehm­er gingen 2019 vor dem Erreichen der Regelalter­sgrenze in den Ruhestand.

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