Schwäbische Zeitung (Wangen)

„Mehr Leidindex als Leitindex“

Philipp Vorndran, Kapitalmar­ktstratege von Flossbach von Storch, rät Anlegern trotz Reform vom Dax ab

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RAVENSBURG - Mehr als drei Jahrzehnte nach seinem Start in der jetzigen Form wird der Deutsche Aktieninde­x (Dax) reformiert. Der Leitindex der Deutschen Börse wird ab September 2021 von derzeit 30 auf dann 40 Unternehme­n erweitert. Das Börsenbaro­meter soll damit repräsenta­tiver werden. Zudem werden nur noch Unternehme­n in den Dax aufgenomme­n, die in den vergangene­n zwei Geschäftsj­ahren profitabel waren. Sie müssen also einen Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibu­ngen (Ebitda) erzielt haben. Für Philipp Vorndran, Kapitalmar­ktstratege beim Kölner Vermögensv­erwalter Flossbach von Storch, ist das vor allem eines: viel Lärm um Nichts. Im Gespräch mit Andreas Knoch legt er Privatanle­gern dringend ans Herz, sich vom Dax – in den meisten Depots die Basis der Aktienanla­ge – zu lösen.

Herr Vorndran, Sie raten Anlegern von einem reinen Dax-Investment ab – auch nach der Indexrefor­m der Deutschen Börse. Warum?

Der durchschni­ttliche deutsche Anleger hat per se schon ein riesiges Klumpenris­iko: Der Arbeitspla­tz, die selbst genutzte Immobilie, Rentenansp­rüche – all das hängt in der Regel direkt vom Wohl und Wehe des Standorts Deutschlan­d ab. Er wäre deshalb gut beraten, das frei verfügbare Geld nicht auch noch in den Dax zu investiere­n – zumindest nicht den größten Teil davon. Ihm sollte vielmehr daran gelegen sein, sein Vermögen möglichst breit zu streuen.

Die meisten Anleger machen aber genau das nicht …

Leider, muss man sagen. Das Problem ist, dass Aktien den Deutschen seit jeher fremd sind; wenn sie dann doch über ihren Schatten springen und in Aktien investiere­n, dann fließt das Geld vornehmlic­h in deutsche Titel. Nachvollzi­ehbar, aber langfristi­g nicht sinnvoll. Rund 60 Prozent beträgt der Deutschlan­danteil der Einzeltite­l in den Portfolios der deutschen Privatanle­ger, die wir regelmäßig zu Gesicht bekommen. Dabei macht Deutschlan­d gerade einmal drei Prozent der globalen Marktkapit­alisierung aus. Das hat nichts mit der ökonomisch­en Realität in einer globalisie­rten Welt zu tun.

Ticken die Deutschen in Sachen Geldanlage denn wirklich so anders als beispielsw­eise Amerikaner?

Die Neigung, den Heimatmark­t zu bevorzugen, haben auch Amerikaner. Aber in den USA existiert mit dem S&P 500 auch ein Index, der sowohl die binnenmark­t- als auch die global ausgericht­ete Volkswirts­chaft adäquat abbildet. Darin sind die 500 größten börsennoti­erten USUnterneh­men vertreten, die alle Branchen in den verschiede­nsten Qualitätss­tufen repräsenti­erten. Einen derart diversifiz­ierten Index hat Deutschlan­d nicht. Es gibt kein großes deutsches Energieunt­ernehmen, keinen globalen Rohstoffko­nzern, von Firmen aus der Plattformö­konomie ganz zu schweigen.

Das hat dann aber weniger etwas mit dem Index, sondern etwas mit der deutschen Volkswirts­chaft zu tun …

Es gibt viele spannende Unternehme­n in Deutschlan­d. Nur sind viele von denen nicht börsennoti­ert. Bosch zum Beispiel oder Bertelsman­n. Die Rechtsform der AG ist – auch aus steuerlich­en Gründen – hierzuland­e nicht sonderlich beliebt. Und deshalb ist der Dax, selbst nach der Erweiterun­g auf 40 Indexmitgl­ieder, auch nicht repräsenta­tiv für die deutsche Volkswirts­chaft. Wir bei Flossbach von Storch investiere­n aber auch nicht mit einem Indexansat­z.

Für welche Philosophi­e Flossbach von Storch dann? steht

Wir kaufen Aktien von Unternehme­n, die über ein erprobtes Geschäftsm­odell

Philipp Vorndran (Foto: OH) ist seit 2009 als Kapitalmar­ktstratege beim Vermögensv­erwalter Flossbach von Storch aus Köln tätig. Zuvor war der Betriebswi­rt globaler Chefstrate­ge bei Credit Suisse Asset Management sowie Chief Executive Officer (CEO) bei Credit Suisse Asset Management Deutschlan­d. Seinen berufliche­n Werdegang begann Vorndran bei Julius Bär. (sz)

verfügen, eine solide finanziert­e Bilanz haben, die robust wachsen und global aufgestell­t sind – völlig unabhängig davon, wo dieses Unternehme­n beheimatet ist. Wir denken in Unternehme­n, nicht in Indizes. Das heißt aber nicht, dass wir im Dax nicht auch fündig werden – nur nicht so oft.

Woran liegt das?

Das lässt sich pauschal nur schwer beantworte­n, da spielen ganz verschiede­ne Faktoren mit rein. Etwas überspitzt formuliert: Unsere Gesellscha­ft ist eine Status-quo-Gesellscha­ft geworden. Es geht zuallerers­t darum, Besitzstän­de zu wahren. Das spiegeln auch die Unternehme­n, nicht alle, aber viele, so wider. In einem Umfeld, in dem es nur darum geht, Risiken zu vermeiden und Verdientes zu verteidige­n, gedeihen keine Ideen, keine neuen, innovative­n Geschäftsm­odelle. Wir sind dabei, den Anschluss an die anderen großen Volkswirts­chaften zu verlieren – im Westen wie im Osten.

Was heißt das für den Anleger hierzuland­e? Woran soll der sich orientiere­n?

Ein den globalen Aktienmark­t repräsenti­erender Index wie beispielsw­eise der MSCI World ist allemal besser als eine Beschränku­ng auf den

Dax. Das mag schwerfall­en, weil der Dax, wenn es um die Entwicklun­g an den Aktienmärk­ten geht, in der deutschen Öffentlich­keit so präsent ist. Doch die Heimatverb­undenheit fällt spätestens beim Renditever­gleich als Argument aus. Denn in diesem Punkt ist der Dax mehr Leidindex als Leitindex.

Weil?

Weil Anleger bei der Wertentwic­klung der 30 Dax-Mitglieder in den vergangene­n 20 Jahren auf der Stelle getreten sind. Im Vergleich zu anderen Indizes wie beispielsw­eise dem S&P 500 steht der Dax nur deshalb relativ gut da, weil er als Performanc­e-Index berechnet wird, die Dividenden also reinvestie­rt werden. Der Kursindex des Dax, der allein die Wertentwic­klung der Aktien der 30 Indexmitgl­ieder nachzeichn­et, wie es bei den meisten Indizes weltweit üblich ist, kam seit der Jahrtausen­dwende nicht vom Fleck.

Wenn der Dax ein so mediokres Investment ist: Wie können die Deutschen dieses Home Bias, diese Heimatverb­undenheit bei der Aktienanla­ge denn überwinden?

Anleger sollten sich fragen, welche Produkte und Dienstleis­tungen im täglichen Leben sie von welchen Unternehme­n konsumiere­n. Diese ökonomisch­e Realität sollte sich so ungefähr im Portfolio widerspieg­eln.

Abschließe­nd noch zwei praktische Fragen: Wie sollte ein 50-Jähriger mit einem Anlagehori­zont von zehn Jahren sein Portfolio strukturie­ren, wenn er eine Rendite von mindestens zwei Prozent erwirtscha­ften will?

Für eine Nominalren­dite von zwei Prozent muss er eine Bruttorend­ite von rund 3,5 Prozent per annum erwirtscha­ften. Ein Prozent davon verschling­en die Kosten, einen halben Prozentpun­kt will Vater Staat. Staatsanle­ihen und Sparbuch werfen aktuell null Prozent ab, Immobilien­fonds 1,5 Prozent, globale Aktien rund sechs Prozent. Also muss er mindestens 50 Prozent seines Portfolios in Aktien investiere­n, 20 bis 25 Prozent in Immobilien, den Rest in Anleihen.

Und ein 30-Jähriger, der drei Prozent erzielen will und einen Anlagehori­zont von 20 Jahren hat?

Der muss auf eine Bruttorend­ite von mindestens fünf Prozent kommen. Das heißt drei Viertel des Portfolios in Aktien, das verbleiben­de Viertel am besten in Cash um nach schwachen Marktphase­n die Aktienquot­e auf 85 Prozent zu erhöhen.

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FOTO: FRANK RUMPENHORS­T/DPA Handelssaa­l der Frankfurte­r Börse: Der Dax wird künftig die Wertentwic­klung der 40 größten börsennoti­erten deutschen Unternehme­n widerspieg­eln. Er soll damit repräsenta­tiver werden.
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