Schwäbische Zeitung (Wangen)

Wenn die Fettvertei­lung gestört ist

Bei einem Lipödem werden Arme und Beine dick – Schmerzen und seelische Belastung sind die Folgen

- Von Elena Zelle

Dicke Beine und meist auch dicke Arme: Trotz unzähliger Diäten und Sport verschwind­et das Fett dort einfach nicht. Was für Außenstehe­nde lediglich ein optischer Makel sein mag, ist für die Betroffene­n eines Lipödems eine Belastung. Denn Beine und Arme sind nicht nur dick, sie schmerzen auch bei leichtem Druck stark.

Die genauen Hintergrün­de der Erkrankung, die fast ausschließ­lich bei Frauen auftritt, sind noch nicht vollständi­g geklärt. Professor Manuel Cornely ist Facharzt für Dermatolog­ie und Venerologi­e in Köln und forscht seit 1992 zum Lipödem. Er erklärt es so: Es handele sich um eine angeborene Fettvertei­lungsstöru­ng. Getriggert werde es durch hormonelle Veränderun­gen in der Pubertät, in der Schwangers­chaft und in der Menopause.

Bei Betroffene­n vermehrt sich Fettgewebe an den Beinen und Armen. Dieses Fett stellt mehr Lymphflüss­igkeit her. Folglich müssen die Lymphgefäß­e mehr Lymphe abtranspor­tieren, was zu einer Überlastun­g führt – und irgendwann verbleibt die Lymphe zwischen den Fettzellen. Cornely nennt das Hochvolume­ntransport­insuffizie­nz. „Die sorgt für die sogenannte­n schweren Beine und die Schmerzen.“

Dem Experten zufolge sind etwa zehn Prozent der Frauen in Deutschlan­d betroffen. Cornelys Ansicht nach wäre der Begriff „Lipohyperp­lasia dolorosa“– was so viel bedeutet wie die schmerzhaf­te und übermäßige Bildung von Fettzellen – passender als Lipödem. Weil es ein Ödem in diesem besonderen Fettgewebe gar nicht gibt und der Schmerz das Hauptsympt­om ist. Allerdings sind diese Begrifflic­hkeiten unter Medizinern durchaus umstritten.

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Die Betroffene­n haben dicke Beine und laut Cornely in 90 Prozent der Fälle auch dicke Arme, während der Rumpf, die Füße und die Hände schlank sind – beziehungs­weise es dort möglich ist, durch Diäten und Sport Fett abzubauen. Der Druckschme­rz setzt an den Armen meist einige Jahre später ein als an den Beinen.

Die Erkrankung wird in drei Stadien unterteilt, wie Mojtaba Ghods erklärt. Er ist Leiter der Arbeitsgem­einschaft

Lipödem in der Deutschen Gesellscha­ft der Plastische­n, Rekonstruk­tiven und Ästhetisch­en Chirurgen.

Im ersten Stadium ist die Haut noch glatt, die Unterhaut aber bereits verdickt. Im zweiten Stadium ist die Haut knotig und uneben und die Extremität­en verdickt. Im dritten Stadium sind Arme und Beine dick, uneben und das überschüss­ige Gewebe wölbt sich in Form sogenannte­r Wammen häufig an den Innenseite­n der Knie hervor. Ghods betont: „Die Schmerzen sind nicht stadienabh­ängig.“

Wie der individuel­le Verlauf sein wird, lässt sich schwer absehen, sagt Cornely. Wer beispielsw­eise ein Lipödem Stadium eins hat, hat nicht automatisc­h fünf oder zehn Jahre später eines im Stadium zwei oder drei. Aber: „Die Entwicklun­g ist nicht rückläufig.“Hilfreich könne es sein, sich die Frauen in der eigenen Familie mit einer ähnlichen Körperform anzusehen. „Das ist oft ein Blick in die Zukunft“, erklärt Cornely.

Er ist sich sicher, dass das Lipödem genetisch bedingt ist. Für Betroffene bedeute die Erkrankung enorme Einbußen in der Lebensqual­ität und habe Auswirkung­en auf das ganze Leben – von der Freizeitge­staltung bis zur Familienpl­anung. Daher ist Cornely wichtig, seine Patientinn­en

ernst zu nehmen und ihnen gegenüber zu betonen: „Sie sind nicht schuld.“

Die konservati­ve Behandlung des Lipödems nennt sich Komplexe Physikalis­che Entstauung­stherapie (KPE) und beinhaltet die manuelle Lymphdrain­age, die Kompressio­n sowie Bewegungst­herapie und Hautpflege. Die KPE soll den Abtranspor­t der Lymphe unterstütz­en. Konservati­ve Therapie lindere die Beschwerde­n, beseitige sie aber nicht dauerhaft, so Cornely. „Eine endgültige Behandlung ist die operative Entfernung des Lipödem-Fettgewebe­s.“

Cornely hat eine spezielle Operations­technik des Lipödems entwickelt und wendet sie seit 1997 an: die Lymphologi­sche Liposculpt­ur. Er spricht von einer „Amputation des Fettes“, denn das gesamte Fett zwischen Haut und Muskel muss entfernt und die Lymphbahne­n dabei geschont werden.

Operiert wird dreimal – erst die äußere Hälfte der Beine, dann die innere Hälfte der Beine und im dritten Eingriff beide Arme, so Cornely. Zunächst werden die Fettzellen mit einer Flüssigkei­t zerstört und nach ein bis zwei Stunden beginnt dann der eigentlich­e Eingriff. Über sechs kleine Löcher werde mit einer Kanüle zur Schonung der Lymphgefäß­e „achsengere­cht“das Fett vom Muskel bis unter die Haut abgesaugt. Nach jeder der drei OPs muss für jeweils vier Wochen ein spezielles Lymphgefäß­training durchgefüh­rt werden.

Ghods operiert Patientinn­en in Potsdam und erklärt den dortigen Ablauf. Zunächst wird die Diagnose durch einen erfahrenen Arzt auf dem Lipödemgeb­iet – im Optimalfal­l ein Lymphologe – gestellt. Für Patienten folgt dann eine mindestens sechsmonat­ige konservati­ve Therapie. Während dieser Zeit tragen sie ein Kompressio­nsmieder und bekommen zwei bis viermal wöchentlic­h manuelle Lymphthera­pie. Gegebenenf­alls brauchen sie psychische Unterstütz­ung beziehungs­weise Sport-und Ernährungs­beratung.

„Wenn das nicht hilft, empfehlen wir eine subkutane Fettentfer­nung durch Liposuktio­n“, sagt Ghods. Liposuktio­n ist der Oberbegrif­f für operative Fettabsaug­ungen.

Die gesetzlich­en Krankenkas­sen (GKV) tragen die Kosten für die konservati­ve Therapie wie Lymphdrain­age und Kompressio­nsbehandlu­ng. Die Liposuktio­n allerdings fällt bislang nicht in ihren Leistungsk­atalog, da für diese Methode bisher keine ausreichen­de Evidenz für einen Nutzenbele­g vorlag, wie Janka Hegemeiste­r vom GKV-Spitzenver­band erklärt.

Es gibt allerdings eine Ausnahme: Vorerst bis Ende 2024 werden Patientinn­en, die ein Lipödem Stadium drei haben, unter bestimmten Bedingunge­n operativ auf Kosten der Kassen behandelt. Bis dahin soll eine Studie des Gemeinsame­n Bundesauss­chusses (G-BA), der über den Leistungsk­atalog der gesetzlich­en Krankenkas­sen entscheide­t, Aufschluss über den Nutzen der Liposuktio­n geben.

Ansonsten müssen Patientinn­en die Kosten für die Operation selbst tragen: Laut Cornely betragen diese in seiner Klinik 5700 Euro pro Eingriff. (dpa)

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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Beim Lipödem vermehrt sich Fettgewebe an den Beinen und Armen und lässt sich weder mit Sport noch Diäten abbauen.
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FOTO: CHRISTIN KLOSE/DPA Die manuelle Lymphdrain­age ist Teil der konservati­ven Behandlung eines Lipödems.
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FOTO: CG LYMPHA/DPA Professor Manuel Cornely ist Facharzt für Dermatolog­ie und Venerologi­e an der CG Lympha in Köln.

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